Brigitte Brandl

Malverde


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Bier.“

      Piet musste lachen. „Was trinken die Männer denn hier?

      Die Frau deutete auf die Flaschen im Regal. „Agua Ar­diente, das kolumbianische Nationalgetränk, das man mit oder ohne Wasser trinken kann.“ Sie lachte. „Doch nun essen Sie erst einmal!“ Dann reichte sie ihm die Hand und sagte: „Willkommen in Casillas del Bosque, Señor. Ich bin Flor de Maria.

      „Piet Lober,“ stammelte der Deutsche. Flor de Maria – was für ein Name! Piet versuchte sich an all die Gattinnen seiner hochdekorierten Professoren zu erinnern, und ihm fiel keine einzige ein, die auch nur annähernd eine Dame gewesen wäre wie die­se kolumbianische Wirtin!

      Der Eintopf war ausgezeichnet. Eine kräftige Brühe mit schwarzen und roten Bohnen darin, Fleisch, Mais und kartoffelähnli­chem Wurzelgemüse, das aber viel aromatischer schmeckte als das, was Piet von zuhause kannte. Er genoss es, wie die warme Köst­lichkeit seine Speiseröhre hinunterlief und sich in seinem Ma­gen ausbreitete, als wolle sie ihn für allen Ärger und allen Unbill des heutigen Tages entschädigen und nicht nur seinen Körper sätti­gen, sondern auch seine Seele mit ihrem Duft und ihrem Aroma streicheln und ihn auf eine entspannte und erhol­same Nacht vorbereiten. In diesem Moment schwor sich Piet, dass er nie wieder etwas anderes essen wollte!

      Nachdem er bezahlt hatte schenkte Flor de Maria ihm noch ein kleines Glas des berühmten Agua Ardiente ein und wünschte ihm eine gute Nacht. In seligem Dämmerzustand kehrte Piet in das kleine Hotel zu­rück und schlief kurz darauf erschöpft ein. Alles war weggefegt, die Wut, die Unsicherheit, der Ärger, der Dreck, der Staub, die Höhenluft und vor allem Acacio Varela.

      4

      Am nächsten Morgen weckte ihn nicht, wie erwartet, die Kirchenglocke, da die Dorfkirche von Casillas del Bosque nicht über ein elektronisches Läutwerk verfügt wie der Hambur­ger Michel, das ab sechs Uhr in der Frühe viertelstünd­lich ein­setzt, sondern noch von Hand mittels eines langen Seils ange­stoßen wird, und dies frühestens zur Mittagsandacht, nach der die Bewohner sich dann zur Siesta zurückziehen. Die einzigen Ausnahmen bil­den die Markttage, da wird schon morgens um 8 geläutet, zur Eröff­nung.

      Stattdessen hämmerte jemand gegen die Zimmertür, und Piet hörte Acacios Stimme mit deutlich gereiztem Unter­ton: „Levantate, dóctor, du bist hier um zu arbeiten.“

      Piet kniff die Augen zusammen und krallte seine Hände ins Kopfkissen. Lieber Gott! Mach, dass dieser Alptraum schnell zu Ende geht! Ganz schnell!

      „Fünf Minuten!“ zischte er zurück. Es ärgerte ihn, dass er zu allem Übel auch noch verschlafen und so Acacio erneut die Gele­genheit gegeben hatte, in die Offensive zu ge­hen. Zu peinlich aber auch, das mit der Kirche!

      Piet wand sich ein Handtuch um, taumelte mit halb geöff­neten Augen ins Badezimmer und drehte den Hahn am Waschbecken weit auf. Er warf sich das kalte Wasser mit beiden Händen ins Gesicht, schau­dernd und bemüht, zu sich zu kom­men und dies möglichst schnell. Auf einmal kam ihm die Idee, dass Angriff die beste Verteidigung war.

      Mit der Zahnbürs­te im Mund ging er zur Tür, öffnete sie und bedeutete Acacio mit einer schnellen Handbewegung, dass er reinkommen und auf ihn war­ten solle. Der Kolumbianer verdrehte die Augen und trat ins Zimmer.

      „Apurate,“ knurrte er und stellte sich ans Fenster, „heute wird es sehr sonnig!“

      Im Auto stellte Piet erstaunt fest, dass das Verdeck geschlossen war. Durchs Seitenfenster sah er auf dem Rücksitz den bekannten Styropor-Behälter mit der leuchtend roten Aufschrift Urgent medi­cine. Die Medikamente! Und seinetwegen standen sie nun län­ger als nötig in dem von der Sonne aufgeheizten Wagen! Er wagte nicht, Acacio anzusehen.

      Der Kolumbianer fing an zu berichten, zwar deutlich ergriffen, aber ebenso widerstrebend und mürrisch. „In den letzten 48 Stunden gab es vier neue Krankheitsfälle. Die Inkubationszeit ist aber deutlich länger als 48 Stunden, wir müssen mit noch mehr Erkrankungen rechnen. Die Sympto­me sind wie bei Noro, aber die Ursache ist nicht viral, und die Beschwerden dauern länger an und sie werden immer heftiger und die Ab­stände immer kürzer. Es ging so erschreckend schnell! Drei alte Menschen und drei Kinder! Sie waren nicht die Robustesten, gut, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt! Sie sind nach drei Tagen ge­storben! Kreislaufversagen auf­grund des Flüssigkeits­verlustes. Die jetzt neu Er­krankten sind gesunde Erwachsene, also Leute, die bis­lang ver­schont blieben! Den Flüssigkeitsverlust haben wir jetzt gut therapiert und die kör­perliche Konstitution der Leute ist zwar deutlich besser, aber trotzdem verschlech­tert sich ihr Zustand jetzt schnell; der verdammte Erreger rea­giert nicht mehr auf unsere Therapie!“

      Piet vernahm zum ersten Mal so etwas wie Sorge in Aca­cios sonst so selbstsicheren und aggressiven Reden.

      „Bakterielle Toxine. Den Brunnen im Dorf haben wir bereits unter­sucht; er kommt nicht in Frage. Trotzdem haben wir ihn vorsorglich präpariert. Wir vermuten die Ursache eher im Milchpulver.“

      Lober biss sich auf die Lippe.

      „Das Milch­pulver wurde vernichtet,“ fuhr Acacio fort, „doch wir kennen weder die Inkubati­onszeit, noch wis­sen wir, wie viele Leute noch im Dorf etwas davon verwendet ha­ben. Und niemand hat das Pulver mit kochendem Wasser aufgegossen. Warum auch? Wer braucht kochendheiße Milch?“

      „Gab es schon früher Probleme mit Lebensmittelvergfitungen?“

      Acacio lachte bitter. „Das, was an Lebensmitteln hierher kommt, ist nicht das, worum sich die Städter schlagen. Das Dorf ist nur eine Stunde von Casillas del Bosque entfernt, aber das reicht für einen tiefen Graben zwischen den Bewohnern der Stadt und den bitterarmen Coca-Bauern im Regen­wald.“

      Zum ersten Mal beschlich Piet das Gefühl, dass dies hier nicht der sicher erfolgreiche Kurzeinsatz werden würde, den er sich seinerzeit in Hamburg ausgemalt hatte, als er Morales sein Kommen andiente.

      Acacio berichtete weiter: „Seit Ausbruch der Epidemie hat keiner der Bewohner mehr das Dorf verlassen. Die Dorfbewohner wollten sich nicht davon machen und ihre Familien, Nachbarn und Freunde dem Schicksal über­lassen. Im Gegenteil! Sie haben angefangen, ihre alten indianischen Rituale wieder aufzu­legen! Leute, die bis vor kurzem noch mit beiden Beinen im gegenwär­tigen Leben standen, fingen an, dem bö­sen Geist durch Brand­gaben und andere Magie zu Leibe zu rücken! Zu­letzt haben sie sich sogar geweigert, dem Arzt die Be­handlung der Kranken zu gestatten. Zuerst sah es auch so aus, als hätte der Zauber tat­sächlich Erfolg! Zu­mindest den alten Leuten ging es kurz bes­ser. Aber dann gewannen die Gifte des Erregers doch die Macht über die ausgezehrten Körper. Als kurz danach auch die Kinder starben, habe ich Morales angerufen.“

      „Wie lange lagerten die Medikamente im Rathaus?“ wollte Piet wissen, und Acacio lachte grimmig.

      „Hast du wirklich geglaubt, die Medikamente wurde im Rat­haus aufbewahrt?“ Er warf Piet einen verächtlichen Blick zu.

      Lober wollte sich verteidigen, doch dann seufzte er nur gnädig und hielt den Mund. Acacio schaltete einen Gang runter und ließ den Motor aufheulen, die hinteren Räder drehten durch, und das Auto tat einen heftigen Satz nach vorne. Lober hielt die Luft an, aber es passierte nichts. Acacio peitschte den Buick schweigend über die Landstraße.

      „Soso,“ dachte Piet, „du hast also bislang noch keinen maßgeblichen Beitrag zur Lösung des Problems geleistet, außer, dass du Morales angerufen hast! Kennst dich wohl nicht aus mit Infekti­onskrankheiten und deren Behandlung, hm? Und Morales, der gute Professor Morales, hat das gewusst und ist dir in den Rücken gefallen, als er nicht einfach Medikamente anforderte son­dern einen Spezialisten gleich mit. Und die Tatsache, dass der Krankheitsherd gefunden wurde, ist wohl auch eher dem Arzt der Krankenstation anzurechnen als dir, chico. Also, tu mir jetzt gleich bitte den Gefallen und misch dich nicht in meine Ar­beit, ja?“ In diesem Moment