Jo L.L. Roger

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den Rücken zu, bevor sie den Rest ihres Pizzastücks in den Mund schiebt.

      „Dann bleibt mehr für uns“, freut sich BlitzKey.

      * * *

      Die Haustür wird von außen geöffnet. BlitzKey blickt Richtung Flur. Von dort erklingen die leichtfüßigen Schritte seiner jüngeren Schwester, die ihren Kopf neugierig ins Wohnzimmer streckt.

      „Hallo, Schwesterchen! So früh zurück?“

      „Yo! Wollte nicht nass werden, falls der Regen wiederkommt.“

      „Ich dachte, du übernachtest bei deinem Freund?“

      „Nö, nö. Hatte ich überhaupt nicht vor.“ Zögernd betritt das dünne, rotblonde Mädchen das Wohnzimmer und nähert sich behutsam den Pizzaschachteln auf dem Tisch.

      „Bedien dich ruhig“, lädt Martin sie ein.

      „Danke!“ Sie bahnt sich den Weg zu den Kartons. Nach kurzem Überlegen greift sie zur vegetarischen Pizza. Carl rutscht zur Seite, sodass sie neben ihm und Brigitta, die mittlerweile ebenfalls am Boden sitzt, Platz nehmen kann. Unruhig beobachtet Martin die Schwester seines besten Freunds beim Essen. Aufmerksam mustert er den grazilen Körper, der in Jeans und Flanellhemd steckt. Während er den Rest seines zweiten Stücks in sich hineinstopft, bewundert er die violetten Fingernägel.

      „Dein Freund hat kein allzu großes Stehvermögen, oder?“, fragt Vincent gespielt beiläufig.

      „Wie kommst du darauf?“

      „Du hast sturmfrei und anstatt dich bei ihm zu vergnügen, hängst du lieber mit uns rum. Man könnte fast glauben, dass es dir hier mit den vielen Männern besser gefällt.“

      „Das ist wie mit dir und deiner Freundin“, erwidert sie mit geröteten Wangen, „wenn man Kerle anfangs ausreichend zappeln lässt, fressen sie dir nach einer Weile brav aus der Hand.“

      BlitzKey und Martin kichern.

      „Bei uns Erwachsenen ist das etwas ganz anderes“, verteidigt sich Vincent.

      „Wie lange hat sie dir heute Ausgang erlaubt“, feixt Spidi.

      Vincent gibt ein unverständliches Grunzen von sich. Er steht auf, um ein viertes Stück Pizza, diesmal Quattro Stagioni, zu nehmen. Martin beäugt die Schwester auffälliger als ihr lieb ist, sodass sie sich demonstrativ von ihm abwendet. „Ist es nicht langweilig, den Jungs beim Spielen zuzusehen?“, fragt sie Brigitta, die mit dem Rest ihres zweiten Pizzastückes kämpft.

      „Zuschauen ist tatsächlich sehr langweilig“, erwidert Brigitta. „Vielleicht solltest du auch mal mitspielen, das macht nämlich riesigen Spaß.“

      „Du spielst mit?“

      „Warum nicht?“

      Die Schwester schaut Brigitta, die kaum älter als sie selbst aussieht, sprachlos an. Diese zuckt mit den Schultern und lächelt sie freundlich an. Martin steht auf und legt das letzte Stück der Fleischpizza in den Karton zu dem übrig gebliebenen Teil der Quattro Stagioni. „Will noch jemand Pizza?“, fragt er in die Runde.

      „Ich nehme noch ein vegetarisches Stück“, antwortet Carl. Die anderen schütteln die Köpfe oder winken ab. Nachdem sich Carl das Stück herausgenommen hat, klappt Martin die Kartons zusammen und bringt sie in die Küche. BlitzKey sammelt die Reste der Alufolie ein und packt sie in die leere Schachtel, die er zur Mülltonne trägt. Auch die anderen Gamer werden wieder munter, stehen auf, waschen die Hände oder holen Getränke aus der Küche. Die Schwester verschwindet in ihr Zimmer im ersten Stock. Brigitta sieht sich misstrauisch um. Spidi folgt Martin ebenfalls nach oben. Sie geht in die Küche und wäscht die fettigen Finger. Dennoch kehrt sie nicht ins Wohnzimmer zurück, sondern schlendert auf die Terrasse. Entspannt beobachtet sie die untergehende Sonne, die hinter einigen dunklen Wolken zum Vorschein kommt. Nur Vincent und Carl kämpfen noch mit ihren Pizzastücken. „Wer was rauchen will, der soll mitkommen“, erinnert BlitzKey die beiden auf seinem Weg nach oben.

      „Bin schon unterwegs!“, entgegnet Vincent, der sogleich aufspringt.

      „Darf ich an deine Kiste?“, fragt Thorsten, der von der Toilette kommt. „Wollte noch ein paar Sachen ziehen.“

      „Bedien dich. Das Zeug ist für alle da“, erwidert Carl.

      „Danke!“

      „Die neuesten Grafikdemos fehlen aber in der Liste. Musst du dir daher selbst auf dem Server zusammensuchen.“

      „Hab mich schon gewundert, wo die abgeblieben sind.“

      Schließlich steht auch Carl auf. Er wäscht seine Hände ebenfalls in der Küche, holt zwei eiskalte Dosen Red Bull und stellt sie auf die Anrichte. Durch das Küchenfenster beobachtet er für einen Moment den Himmel. Er atmet tief durch, greift zu den Dosen und schlurft auf die Terrasse. Sein Herz rast.

      * * *

      Brigitta sitzt auf der Holzbank neben der Terrassentür. Sie hat einen Fuß auf der Bank platziert, damit sie den Ellenbogen auf dem Knie abstützen kann. Sie balanciert ihr Kinn vorsichtig auf dem Handrücken. Fasziniert beobachtet sie das Lichtspiel der untergehenden Sonne, das die Wolkenfetzen in unendliche Varianten von Orange und Rot färbt. Als Carl die Terrasse betritt, ignoriert sie ihn scheinbar. Er zögert. „Hi!“

      Sie blinzelt ihn an. Wie so oft an diesem Nachmittag zaubert Brigitta ein strahlendes Lächeln auf ihre kindlichen Gesichtszüge. Wortlos bietet ihr Carl eine Dose an. Mit einem Wink deutet sie auf die Holzbank. Er setzt sich, hält jedoch deutlichen Abstand. Zaghaft rutscht sie in seine Richtung, bis sie ihn mit der Fußspitze am Schenkel berührt. Mit einer zärtlichen, kreisenden Bewegung stupst sie ihn an. Carl antwortet mit einem Grinsen. Er öffnet seine Dose und hält sie in ihre Richtung. Sie erwidert die Geste. Behutsam stoßen die beiden miteinander an.

      „Ich wollte mich noch bei dir bedanken, dass du überhaupt zur Party gekommen bist.“ Er macht eine kurze Pause, sein Blick wandert zu Boden. „Ich hoffe nur, dass meine Freunde nicht zu komisch auf dich wirken. Die sind es einfach nicht gewohnt, dass Mädels dabei sind oder mitspielen.“

      „Das habe ich gemerkt.“

      „Es tut mir wahnsinnig leid, dass Spidi so aufdringlich ist.“ Mehrmals blinzelt Carl in Brigittas Richtung. „Da wir in derselben Jahrgangsstufe sind, hängt der Kerl dummerweise von Zeit zu Zeit mit uns rum.“

      „Du brauchst dich nicht für das ekelhafte Verhalten entschuldigen. Das muss er schon selbst machen. Außerdem ist er nicht der erste Typ, der mir an die Wäsche will.“

      „Dann bin ich irgendwie beruhigt“, erwidert Carl, der sich vergeblich bemüht, Brigitta in die Augen zu sehen.

      „Deine übrigen Freunde sind dafür aber alle ziemlich liebenswert und sehr sympathisch.“ Sie streckt sich ein wenig und blinzelt Richtung Sonne, die nun die Wolkenfetzen in tiefe Rottöne taucht. Carl ignoriert das Lichtspiel, da er ihr Gesicht betrachtet, auf dem sich die warmen Farben widerspiegeln. Mit trauriger Miene sieht er sie an. Sie bemerkt, dass sein Lächeln schwindet. „Warum so schweigsam? Habe ich etwas Falsches gesagt?“

      „Nein!“ Er quält sich ein Lächeln ab. „Mir fällt es nur schwer, anderen Menschen zu sagen, was ich denke.“

      Brigitta lächelt ihn an. Ihre Augen strahlen absolute Ruhe aus.

      „Ich bin ziemlich überrascht, dass du heute hier bei uns und nicht bei deinem Freund bist.“

      „Ach so!“ Sie fährt sich mehrmals durch die Haare. „Das war nur eine Ausrede, um Spidi abzuwimmeln.“

      Carl seufzt.

      „Ich bin seit zwei, nein drei Jahren solo“, gesteht Brigitta. Nervös wandern ihre Blicke bei diesen Worten über die Natursteine der Terrasse.

      „Oh!“

      „Hast du denn keine feste Freundin?“, fragt sie. Behutsam hebt sie den Kopf, um Carls Antwort nicht nur zu hören, sondern ihn dabei auch zu beobachten.