Hilde Sturm

Zerbrechliche Ichbrücken


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Haben Sie sich gefreut, waren Sie niedergeschlagen oder wütend?“

       „War traurig .... oder wütend.“

       „Warum?“

       „Weil Sie nicht da waren.“

       „Die Trennung ist Ihnen also schwer gefallen?“

       „Ja.“

       „Und sonst?“

       „Tabletten hab ich nicht so viel gebraucht.... Auto bin ich gefahren.... viel.“

       „Haben Sie ein bisschen über unsere Gespräche nachgedacht?“

       „Nnein.... “

       „Haben Sie etwas über sich aufgeschrieben?“

       „Nein.“

       „Dann werden wir noch mal von vorn anfangen.“

       „Bitte, nicht böse sein!“

       „Bin ich böse?“ Hanna lächelt entspannt.

       „Nee, jetzt nicht.“

       „Natürlich nicht. Das war damals für Sie alles ziemlich neu. Wir wollen jetzt öfter gegen Ihre doppelte Buchführung üben. Aber zuerst erzählen Sie von sich.“

       „Ich hab’ geträumt, es sei ganz doller Hagel, immer dichter.... Der Baum, auf dem ich rumkletterte, ging kaputt .... dann bin ich gestorben.“

       „Verstehen Sie den Traum?“

       „Kann ich verstehen, wovor ich Angst habe?“

       „Ich glaube, es ist umgekehrt. Erst wenn Sie die Zusammenhänge verstehen, kann die Angst zurückgehen. Wir wollen gemeinsam versuchen, Ihren Traum zu entschlüsseln. Im Traum fallen die seelischen Hemmungen weg. Und, wie Sie schon wissen, beherrscht das Unbewusste die Bilder, die Symbole. Ihre Träume beziehen sich jetzt auf unsere Beziehung. Wäre es nicht möglich, dass Ihr Traum etwas mit mir und meiner Abreise zu tun hat? Versuchen Sie es herauszufinden!“

       „....?“

       „Was symbolisiert der Baum?“

       „Sind Sie der Baum?“

       „Vielleicht. Was an mir könnte der Baum denn symbolisieren?“

       „Stütze.“

       „Ja. Der Baum könnte für die Hilfe stehen, die Sie von mir erwarten. Und was geschieht mit dem Baum?“

       „Der Baum geht kaputt.“

       „Warum?“

       „Weil Sie verschwunden sind.“

       „Ja, Sie fühlten sich verlassen. Sie haben das nur nicht in Worte fassen können. Sie sagten vorhin, Sie waren traurig?“

       „Ja.“

       „Dieses traurige Gefühl hat Ihr Traum wiederholt.“

       „Muss ich dann immer schlecht träumen, wenn.... Probleme da sind?“

       „In gewisser Hinsicht ja. Wir träumen das Unerledigte, das nicht Verarbeitete.“

       „Dann werde ich die Träume nie los.“

       „Wenn sie durchgearbeitet und verdaut sind, verschwinden sie meist.“ Simones Träume symbolisieren die anstehenden Probleme ziemlich offen. Freud sah in ihnen den „Königsweg“ zum Unbewussten.

       „Ich weiß nicht.... Ich habe mal ein Gedicht geschrieben.... Ich habe eine Maske vor.... das sind die Tabletten.... es war niemand da, der mich verstand.... Tabletten hatte ich immer.... Damals auf Station habe ich Faustan gestohlen.... An Faustan bin ich immer rangekommen.... meine ‚Narrenfreiheit’.“

       Die Therapeutin denkt eine Weile nach.

       „Was wollen Sie damit sagen?“

       „....?“

       „Faustan oder andere Tabletten, auch Alkohol, werden oft als Ersatz für das Fehlen einer nahen, positiven Person gebraucht. Unbewusst wollen die Tabletten-Nehmer damit ihre innere Leere überspielen. Haben Sie einen Menschen, der Sie mag, sich für Sie interessiert, für Sie da ist und Ihnen wichtig ist?“

       „Nein, eigentlich nicht.... Meine Tochter.... meine Mutter.... trotzdem alles leer.... “

       „Sie haben damals Ihr Problem poetisch verarbeitet. Tabletten als Maske. Können Sie mir das noch ein bisschen erklären?“

       „Maske .... so als Schutz....

       „Wovor?“

       „.... Vor.... dem Leben.“

       „Was gibt es noch für einen Schutz?“

       „Weiß nicht.“

       „Menschen. Freundschaft und Liebe von anderen Menschen.“

       „Sie möchte ich als Freundin haben!“

       Verständlich, so ein Wunsch. Geht aber nicht. Würde ihr auf Dauer nicht helfen. Ich muss Neutralität bewahren. Wie mach ich ihr das klar? Ironie, aber nur eine Spur.

       „Schön, dann hätte ich keine Verantwortung mehr und könnte nett mit Ihnen plaudern! Und wer soll sich dann um die Therapie kümmern? Therapeutischer Auftrag und Freundschaft sind nicht in einer Person verfügbar. Sympathie von beiden Seiten hilft aber, die Strapazen so einer Therapie besser zu ertragen.“ Pause. Hanna befällt ein Gefühl von innerer Abwehr. Bin ich gemein oder nur unfreundlich? Nein, entweder Therapeutin oder Mutter. Schwierige Situation!

       „Als Therapeutin bin ich zu Neutralität angehalten. Mein Ich ist dazu da, Ihnen als feste und neutrale Brücke in die Welt zu dienen.“

       „....! “ Hab es ja gewusst.... Sie will mich nicht. Niemand!

       „Sind Sie jetzt enttäuscht?“

       „Entschuldigung.... Sie haben.... Recht.“

       „Ich habe großes Vertrauen zu Ihnen. Sie werden es schaffen! Über die Spaltungen und wie Sie helfen können, sie zu überwinden, müssen wir aber noch oft miteinander reden.“ Hanna hat langsam gesprochen, zögernd. Verständlich, dass in so einer Beziehung mehr verlangt wird als der Therapeut geben kann. Grenzüberschreitung. Wie wird sie mit dieser Frustration fertig? Das müssen wir durcharbeiten.

       Die 6.4.93 Gespräch mit Hanna Leider

       „Das Gespräch gestern hat mich sehr belastet.... Ich konnte nicht einschlafen.... so um zwei in der Nacht bin ich losgefahren.... alles war weit weg.... Dann war die innere Unruhe wieder da.... Dann habe ich stundenlang Flaschen zusammengeknallt.... Den Ball an die Wand gedonnert.... bis wieder alles weit weg war.“

       „Sie haben also wieder ‚Abspaltung’ trainiert?“

       „Na ja, ich gebe es zu.“

       „Was genau haben Sie dabei erlebt?“

       „Willenlosigkeit.... Alles gedämpft.... die Angst ist ganz weit weg.... dann fühl’ ich mich leer und erschöpft.“

       „Was hat Sie in unserem gestrigen Gespräch so erregt?“

       „Der Traum.“

       „Ihr Traum von dem Baum?“

       „Mh....“

       „Es geht um Ihre Beziehung zu mir.“

       „ .... “

       „Was ist los?“

       „ .... “

       „Habe ich Sie gestern enttäuscht?“

       „Hm.... ja.“

       „Wovon genau sind Sie enttäuscht?“

       „Sie wollen mich nicht!“

       „Wir haben viele Gespräche zusammen. Da müssen wir beide hart arbeiten. Reicht das nicht?“

       „Ich bin fast immer allein.... “

       „Meine Aufgabe ist, Ihr Ich zu stärken.“ Hannas Stimme wird sehr vorsichtig, zart: „Nicht, mit Ihnen schöne Stunden zu verbringen. Das ist unsere Realität. Die Therapie im Hier und Jetzt ist für Sie wertvoller als eine Freundschaft.“