Dorothy Ettrich

Eine amerikanische Liebe


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warum ist es so wichtig, dass ich deine Familie kennenlerne? Versteh mich bitte nicht falsch, aber ich bin morgen nicht mehr hier“, erwiderte Marie.

      Tatsächlich hatte sie keine große Neigung, der ganzen Familie gegenüber zu stehen. Sie wollte mit Paul einen schönen Abend verbringen und vor allen Dingen wollte sie seine Nähe genießen. Ob das so gelang, wenn sie inmitten der Familie stand, bezweifelte Marie sehr. Doch sie folgte Paul zum Ausgang und hoffte, auf dem Ball trotz seiner Familie die Gelegenheit zu haben, mit ihm allein zu sein. Paul half Marie in den Wagen und sie fuhren zur City Hall.

      Während der Fahrt hingen beide ihren Gedanken nach. Sie spürten, es verband sie sehr viel mehr miteinander, als nur ein netter Abend. Sie wussten instinktiv, dass jeder für den anderen so etwas wie das eigene Schicksal bedeutete und jeder empfand bereits Gefühle für den anderen, die weit über Sympathie hinausgingen. Paul spürte nach dieser Frau ein Verlangen, das neu für ihn war. Das gemeinsame Schweigen war entspannt und gut. Es war, als ob sie sich schon immer kannten. Nach einiger Suche fand Paul einen Parkplatz.

      „Mein Gott, das ist ja eine große Veranstaltung“, rief Marie aus.

      „Ja, hier ist das ganze Tal versammelt, alle die wichtig sind oder sich dafür halten“, sagte Paul und schaute sie zärtlich an. Er hakte Marie unter und gemeinsam betraten sie den Festsaal der City Hall. Paul sah glücklich aus. Marie riss erstaunt ihre Augen auf. Sie war auf Anhieb von diesem lauten und fröhlichen Tanzen fasziniert. Diese Musik, dieses dichte Gedränge der vielen Festbesucher und diese Kleider! Wie sie glitzerten im Licht!

      Paul erblickte über etliche Köpfe hinweg seine Eltern an der Theke. Matt unterhielt sich mit Charles. Seine Mutter sagte gerade etwas zu Sean, der seine Blicke unaufhörlich durch den Tanzsaal gleiten ließ, auf der Suche nach einer Talschönheit. Seans Blick blieb an Sharadon hängen, die mit John den üblichen Square Dance tanzte. Es war jedes Jahr ein „Muss“, auf dem Ball diesen uramerikanischen Tanz zu tanzen.

      In diesem Moment richtete Matt seinen Blick auf den Eingang und erblickte das Paar, das dort reglos verharrte. Matt lächelte, doch dann sah er seinen ältesten Sohn, den er überall wähnte, nur nicht hier. Sein Gesicht erstarrte, als er eine unbekannte junge Frau an Pauls Seite entdeckte. Nun wurden auch Ivy, Charles und Sean aufmerksam und blickten ungläubig in dieselbe Richtung. Auch Sean wandte sich um und grinste sofort, als er bemerkte, welche Schönheit seinen Bruder begleitete. Ach so, die schöne Fremde vom Rodeo, dachte er. Die Gerüchte waren bereits zu ihm durchgedrungen.

      Paul und sein Vater blickten sich sekundenlang an, ehe die Spannung zwischen beiden nachließ. Marie bemerkte die plötzliche Veränderung der Atmosphäre, verstand sie aber nicht und wagte ein zaghaftes Lächeln hinauf zu Paul und in die Richtung der Familie: Das ist die Familie, mein Gott, was ist hier los? Diese plötzliche Stille und diese Blicke haben eindeutig mit uns zu tun, na ja, wohl eher mit mir. Ihr wurde unbehaglich zumute. Tatsächlich hatte der Tanz für den Moment des Erblickens und Erkennens aufgehört und die Tanzenden und Umstehenden musterten Paul und Marie neugierig. Jeder mit seinen ganz eigenen Gedanken zu diesem schönen Paar dort am Eingang. Doch Paul kümmerte sich nicht weiter darum und schob Marie durch die Menge. Und tatsächlich, als wäre ein Bann gebrochen, begannen der Tanz und das fröhliche Geplauder von neuem. Aber sehr viele Blicke folgten dem Paar.

      „Nanu, ich dachte, Paul gibt heute Abend seine Verlobung mit Sharadon bekannt“, sagte Charles sichtlich verwirrt zu Ivy. Er hatte sich zwar über John als Begleitung gewundert, aber doch gedacht, das sei wieder eine Kapriole seiner ältesten Tochter.

      Nun tauchte sein Fast-Schwiegersohn mit einer anderen Frau auf, noch dazu vollkommen indiskret auf dem wichtigsten Fest des Tals. Er blickte zu seiner Tochter hinüber. Sharadon stand stocksteif am Rande der Tanzfläche. Ihre Fingernägel hatten sich in Johns Arm gekrallt und sie starrte mit aufgerissenen Augen auf das Paar. Wut zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.

      Paul war mit Marie bei seiner Familie angelangt.

      „Mum, Pa, Bruderherz“, begrüßte Paul seine Eltern und Sean, “darf ich euch meine Begleiterin vorstellen? Das ist Marie aus München“. Marie blickte Matt, Ivy und Sean an. Sie hatte wohl bemerkt, dass ihr Erscheinen für Aufruhr sorgte. Sie konnte allerdings - trotz ihres Unbehagens - an dieser Situation nichts ändern. Da muss ich jetzt wohl oder übel durch, dachte sie und sagte artig: “Guten Abend, es freut mich, Sie kennenzulernen. Ich freue mich, Paul auf diese Veranstaltung begleiten zu dürfen.“

      „Bis ihr euch erholt habt, entführe ich Marie auf die Tanzfläche“, rief Paul und wirbelte Marie schwungvoll durch die Menge der tanzenden Menschen. Ehe sich Marie versah, befanden sie sich mitten darin. Sie blickte Paul tief in die Augen. Marie erschauerte unter seinen Blicken. Ihr Herz schlug wild. Sie fühlte sich in seinen Armen geborgen. So war es ihr bisher bei keiner ihrer Männerbekanntschaften ergangen. Marie hatte sich Hals über Kopf in diesen durch und durch amerikanischen Mann verliebt. Sie hielt sich an seinen tiefblauen Augen fest und hatte das Gefühl zu ertrinken. Marie blickte Paul an. Für alle Außenstehenden war zu erkennen, dass dieses Paar glücklich ineinander verliebt war. Paul betrachtete liebevoll und zärtlich Maries Gesicht. Ihm kam nur eine Frage in den Sinn und er wusste, wenn er ihr diese Frage jetzt nicht stellte, dann würde er vielleicht nie wieder die Gelegenheit haben. Ihn quälte plötzlich der Gedanke, einfach keine Zeit mehr zu haben. Also sprang er in die wichtigste Frage seines Lebens: „Möchtest du mich heiraten? Ich liebe dich. Ich war noch nie so glücklich und so sicher, die richtige Frau meines Lebens in den Armen zu halten.“

      Marie bekam einen Schreck und wusste nicht, was sie Paul entgegen sollte. Sie ihn heiraten? Jetzt hier im Urlaub? Was sollte sie antworten? Sie hatte sich unsterblich in diesen Mann verliebt und fürchtete sich bereits vor dem Moment der Abreise. Und jetzt ein Heiratsantrag? In Sekundenschnelle dachte sie an ihr Leben in Deutschland, an ihr Studium, das sie sich hart erkämpft hatte und das sie liebte.

      „Ich bin doch völlig fremd hier. Aber ich mag dich auch“, stammelte sie völlig fassungslos. Vor Aufregung war sie stocksteif auf der Tanzfläche stehen geblieben. „Lass mir etwas Zeit, ich kann mich hier und jetzt nicht entscheiden. Du weißt doch von mir nicht viel und auch nicht, worauf du dich einlässt.“

      Paul nahm ihr Gesicht in seine starken Hände und sagte mit rauer Stimme: „Ich liebe dich und werde nie eine andere Frau lieben. Ich möchte dich heiraten, an meiner Seite haben und dich sehen, wenn ich mit der Arbeit auf der Ranch abends fertig bin. Ich möchte dich fühlen und spüren und mit dir alt werden. Aber ich lasse dir Zeit und werde dich immer wieder fragen“, erwiderte Paul ernst. Dann nahm er Marie in die Arme und tanzte mit ihr den Wiener Walzer.

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      Sharadon, der Beringerclan, aber auch Matt, Ivy und Sean sahen, dass dort auf der Tanzfläche zwischen Paul und Marie etwas Wichtiges vor sich ging. Sie sahen es an Pauls Gesichtsausdruck, an der Art, wie die junge Frau erschrocken versuchte, zu ihren Füßen hinabzublicken und wie Paul ihr Gesicht in seine Hände nahm und es zu sich empor hob. Sein Gesichtsausdruck war sehr ernst während er auf sie einredete. Jetzt tanzten beide zum Wiener Walzer. Die Röcke des schwarzen Kleides der jungen Deutschen bauschten sich auf und betonten ihre gertenschlanke Figur, während sie mit Paul über die Tanzfläche schwebte. Sie sah wirklich wunderschön aus.

      „Ich wette, mein Bruder hat eben für meine neue Schwägerin gesorgt. Es wäre schön dumm, dieses tolle Mädchen weiterziehen zu lassen“, bemerkte Sean zu seinen Eltern. Er fühlte Eifersucht auf seinen Bruder in sich aufsteigen und blickte zu Sharadon hinüber, um ihre Reaktion zu sehen. Ihre grünen Augen sprühten Funken. Matt, Ivy und auch Charles sahen Sean befremdet an und wunderten sich über dessen taktlose Bemerkung; schließlich stand Charles auch hier bei den McGreggans. Sean bemerkte die Unruhe nicht und bahnte sich den Weg zu Sharadon, John und den anderen Freunden.

      Sharadon äußerte sich nicht laut, dachte aber wütend: Wer ist das überhaupt? Erst wollte Paul überhaupt nicht zu dem Ball kommen und dann taucht er mit dieser Fremden auf.

      „Hey John, hey Sharadon“, lächelte Sean zuckersüß, “Na, was sagt ihr zu meinem Bruder? Was er sie wohl eben gefragt hat? Es sah ja sehr ernst aus. Aber ich glaube, bald weiß es hier ohnehin jeder, wenn ich mich nicht täusche.“

      Sean