Attila Heller

R.O.M.E.


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versteh nicht ganz?“

      „Was verstehst du nicht?“

      „Ich dachte, wir hätten Sie gekränkt?“

      „Ach was. Ihr müsst verstehen, dass ich als Professor und stellvertretender Direktor dieser Universität mein Gesicht zu wahren habe. Wenn ich Schwäche zeige, tanzt mir bald die ganze Elite auf der Nase herum.“

      „Das leuchtet ein.“

      „Ich will euch beiden mal etwas verdeutlichen, um beim kubisch kristallisierten Kohlenstoff zu bleiben.“ Friedmann rührte wieder in seinem Tee. „Der Diamant ist doch quasi das härteste Mineral auf unserem Planeten, das ist ein anerkannter, wissenschaftlich bewiesener Fakt?“

      „So weit ich weiß“, stimmte Neraj zu.

      „Und um ihn bearbeiten zu können, braucht es was?“

      „Einen zweiten“, ging Jakob schnell dazwischen.

      „Ja, vorausgesetzt, das edle Steinchen befindet sich noch in seinem gefestigten und gehärteten Zustand, mein Lieber“, wandte Jakobs besserwisserische Platznachbarin anmaßend ein, sodass dieser mit den Augen zu rollen begann. Neraj und ihre schwulstigen Beiträge gingen ihm gehörig auf den Senkel. Er winkte ab.

      „Schon gut. Gehen wir also davon aus, dass sich beide Kristalle in ihrem ursprünglichen, festen Zustand befinden und nicht in einem geschmolzenen, Neraj.“

      „Dann ist es definitiv nur möglich, den einen Diamanten mit einem anderen zweiten Diamanten zu bearbeiten“, stellte Jakob klar.

      „Entdeckt ihr die Parallele?“

      Jakob war sich nicht sicher. Neraj dafür jedoch schon.

      „Natürlich“, sagte sie. „Ein Student kann letztlich viel effektiver und wirkungsvoller von einem anderen Studenten geformt werden.“ Sie deutete mit den Mittel- und Zeigefingern beider Hände Anführungszeichen an.

      „Bingo!“, der Professor schlürfte derweilen wieder seinen Tee. „Wisst ihr, die Schüler dieser Universität können mich nicht besonders gut leiden, das ist kein Geheimnis, sondern eine weit verbreitete Ansicht. Euch jedoch vertrauen sie umso mehr.“ Friedmann stand vor der Spüle und stellte seine Tasse drauf ab. „Jakob, Neraj, ihr beiden habt Fußstapfen hinterlassen, fruchtbare Fußstapfen, wenn ich für die moderne Demokratie sprechen darf. Ihr habt euren Kommilitonen auf fundamentale Weise etwas vermittelt, wie ich es niemals hätte besser tun können!“

      Emmerich begann sich zu räuspern, auf seinen Rucksack zusteuernd. Er war irgendwie eine drollige Person, ein Mann Ende der Fünfziger mit längerem, lichtem Haar, das er von der einen Seite seines Kopfes auf die andere als Scheitel hinüberzog. Ein birnenartiger Zinken stach aus seinem Durchschnittsgesicht heraus, durchzogen von Unmengen klitzekleiner Äderchen, die ihm zu Unrecht das Vorurteil eines Säufers einbrachten. Er war kräftig gebaut und sein schlaksiger Gang erinnerte Jakob jedes Mal an eine Zeichentrickfigur.

      „Sag mal Jakob, wie weit bist du eigentlich mit deinem Abschlussprojekt?“, wollte Friedmann plötzlich und ohne eine Vorwarnung wissen. „Benötigst du noch Hilfe?“

      Jakob blickte auf die Papierrollen, die neben ihm auf der Couch lagen. Kein Einziges seiner Projekte war vollendet.

      „Ich bin im Soll“, log er.

      „Ausgezeichnet, das hört man gern.“ Während der Professor dem Fortschritt seines Schützlings nachforschte, zerrte er einen dicken Batzen gefalteter Karten aus dem Rucksack.

      „Achtung“, bemerkte Neraj.

      Friedmann sah auf den Stapel und begriff, dass sich der Haltegummi im Reißverschluss seines Tornisters verklemmt hatte und augenblicklich zu zerreißen drohte.

      „Ups!“, murmelte er. „Den brauchen wir noch!“

      Vorsichtig zog er das Gummi aus der Falle.

      „Was ist das?“

      „Die Einladungen für Jakobs Ausstellung.“

      „Darf ich?“

      Friedmann reichte Jakob und dann Neraj ein Exemplar.

      „Was meint ihr?“

      „Dass Lemmon sich ranhalten muss.“

      Jakob sah Neraj ärgerlich an, weil sie wusste, dass er mit der Fertigstellung seiner Ausstellungsstücke ein paar Probleme hatte. In einem dussligen Moment seinerseits hatte sie davon Wind bekommen. Natürlich konnte man von ihr nicht erwarten, dass sie dieses Wissen vernachlässigen oder gar ganz für sich behalten würde. Jakobs Freude darüber hielt sich in Grenzen.

      „Wie darf ich das verstehen“, wollte der Professor wissen.

      „Ach, nur so. Ich meine, so eine Ausstellung ist eben ein ganzes Stück Arbeit. Aber Jakob wird das schon schaffen. Wer sonst, wenn nicht er?“

      „Das glaube ich auch.“ Friedmann nickte, sich damit zufriedengebend. „Wir haben schließlich den Besten“, lachte er und ergänzte: „Dieser Frühlingsabend wird sicherlich für jeden Kunstliebhaber unserer Stadt zum Pflichttermin. Und Jakob, die ersten Zusagen habe ich bereits erhalten. Politik und Adel freuen sich darauf, dich kennenzulernen. Ich kann es kaum erwarten, Lemmons Atelier zu sehen. Dein erster Beitrag, um diesem Staat etwas von dem zurückzugeben, was er dir geliehen hat.“

      Der Professor strahlte über beide Ohren. Würde er auch so genügsam schauen, wenn er die Wahrheit wüsste, dachte Jakob. Auf dem Papier war es sein Projekt. Doch der Einfluss der Future Group of Europe unter dem Schutzschirm des ach so tollen und brillanten Professors Emmerich Friedmann war nicht von der Hand zu weisen. In Wirklichkeit brüstete dieser sich mit fremden Federn vor der Elite des Landes, mit Jakobs Federn, die hart erarbeitet waren. Vielleicht war ja dies die Ursache für seine künstlerische Gedankenstarre?

      „Hier, der Stapel ist für dich.“ Friedmann übergab das Paket an Jakob. „Wenn du noch welche benötigst, sag einfach Bescheid, ich lasse gerade einige hundert Abzüge nachdrucken, okay?“ Dann ging er wieder an die Spüle und schaute nach seiner Tasse. Schließlich nahm er zum wiederholten Male einen Schluck Tee daraus und stellte sie zurück auf den Unterteller. Die Temperatur seines Getränkes schien jetzt gerade richtig zu sein.

      „Im Übrigen gibt es da noch etwas.“

      „Was denn jetzt noch?“ Neraj tippte ungeduldig mit ihren Fingern auf der ledernen Armlehne. Den letzten Tag in diesem Semester wollte sie nicht stundenlang mit Jakob und Friedmann in einem Schulbüro verbringen. Schließlich gab es auch noch Wichtigeres. „Bei allem Respekt …“

      „Das betrifft euch beide“, unterbrach sie der Professor.

      Neraj stellte ihr Tippen ein.

      „Mir ist der Bescheid eures mehrwöchigen Wehrdienstes zugefallen. Im neuen Jahr geht es los, quasi als Bestandteil des Abschlusssemesters. Es führt euch beide an die See, auf die Halligen und an den Nordwall.“

      „Na super, Strand und Meer“, spaßte Neraj. Doch Jakob war alles andere als nach Scherzen zumute, vor diesem Tag X hatte er sich seine gesamte Studienzeit über gefürchtet. Die Möglichkeit als Student dieser Universität, den Dienst an der Waffe zu verweigern, gab es zwar, doch nicht für ihn. Er gehörte zu einem auserwählten arischen Geschlecht und war dadurch zwangsweise zum Dienst verpflichtet.

      „Nun komm schon, es hätte auch bedeutend schlimmer kommen können. Dir sagt doch bestimmt Gora Kazbek etwas, Georgische Republik?“ Der Professor drehte den Globus ein wenig. „Jetzt mal ganz unter uns. Wir drei kennen doch die wahre Bedeutung eurer Existenz. Was soll euch denn schon passieren? Neraj wird ihr Medizinstudium durch den Dienst um ein Kapitel erweitern und du, Jakob, sicherst acht Wochen die Grenze. Danach hast du noch genügend Zeit, um deiner Ausstellung den benötigten Feinschliff zu verpassen.“

      Der Professor schien im Recht. Der Nordwall zwischen England, das sich seit der Revolution zu den Amerikanern und deren Verbündeten zählte, und dem Neuen Europa war die wohl ungefährlichste Option, da es sich dabei