Attila Heller

R.O.M.E.


Скачать книгу

trat ein und ließ seinen Blick über die Menschen schweifen. Die vielen Grüppchen saßen an den Tischen zusammengepfercht wie Schweine, die auf den Schlachter warteten, Bier trinkend, grölend und lachend. Ein abstoßendes Bild, welches ihm die Lust auf diesen Abend gleich wieder nahm. Er wollte schon auf dem Absatz kehrtmachen, als ihn eine wohlbekannte Stimme ansprach.

      „Hi, Süßer.“

      Ohne zu schauen, wer da neben ihm stand, sagte Jakob: „Hallo, Neraj.“

      „Schön, dass du gekommen bist!“

      „Ach ja, wie soll ich es sagen …“, trickste Jakob.

      „Dass du mich unbedingt sehen musstest?“

      „Was ist schon eine Party ohne mich, oder?“

      Neraj lachte und reichte ihm ein Glas. Jakob lehnte ab.

      „Na, dann folgen Sie mir mal unauffällig, Mister wichtig.“

      Neraj ging voran. Sie schlängelte sich durch die vielen Gänge, ihre beiden Gläser dabei fest in den Händen haltend. Elegant umkurvte sie einige Hindernisse des aus Menschen, Hockern und Tischen bestehenden Parcours. Ihr Charme schien sie geradezu schweben zu lassen.

      Jakob hingegen hatte es schon etwas schwerer. Er war für die vielen angetrunkenen männlichen Gäste nicht ganz so attraktiv und daher eher ein Rivale auf dem Schlachtfeld der Partnersuche. Aus welchem anderen Grund waren die meisten denn sonst hier? Es ging doch offensichtlich fast allen immer nur um das eine, wie das innige Pärchen am Eingang zur Lounge ausdauernd bewies.

      Genüsslich musterte er seine kleine Gefährtin. Neraj sah überwältigend aus, wie eine indische Perle eingewickelt in ein hautenges, schulterfreies Minikleid. Ihr pechschwarzes Haar reichte bis knapp über den süßen Po und auch sonst waren ihre wohlgeformten weiblichen Rundungen eine Augenweide. Prompt musste er an die Worte des Professors denken.

      Neraj stoppte und sah über ihre gebräunte Schulter zurück, um sich zu vergewissern, dass ihr Jakob immer noch folgte. Dann deutete sie auf eine Sitzecke. Dort saß der Rest der Truppe fröhlich vereint und feierte in Hochstimmung.

      „Hey Leute, schaut mal, wen ich mitgebracht habe.“

      Andrej sprang auf und umarmte seinen Kumpel.

      „Toll, dass du es doch noch geschafft hast“, freute er sich.

      „Wir waren gerade dabei, euren grandiosen Auftritt von heute Nachmittag auszuwerten, das war ’ne Bombe, der alte Friedmann hat ganz schön geschluckt.“

      „Längst überfällig.“

      „Ach, ich weiß nicht.“

      „Absolut überfällig“, die Gruppe war sich einig.

      „Aber jetzt setzt euch doch erst einmal zu uns.“

      In der Sitzecke rückten Andrej, Nelson, Erik und zwei Mädchen, die Jakob nur vom Sehen her aus der Uni kannte, zusammen, sodass Neraj und er noch Platz darauf fanden.

      „Hast du schon etwas zu trinken?“

      „Er wollte nicht.“

      „Das lass ich heute nicht durchgehen, Alter, heute nicht.“ Andrej stand sogleich auf und blickte um sich. Dann pfiff er. Ein junges Fräulein mit einem Tablett in der Hand setzte sich in Bewegung und kam auf die Gruppe am Tisch Nummer vier in der gelben Reihe zu.

      „Hi, ich bin Beth, ihr wollt was bestellen?“ Sie schaute auf die vollen Gläser und dann zu Jakob. „Okay, was willst du denn trinken?“

      „Etwas Alkoholfreies, bitte.“

      „Ach, komm schon.“ Andrej verdrehte die Augen.

      „Einen Glas Orange 21 eventuell?“, fragte die Bedienung und notierte sich Jakobs Wunsch nach dessen zustimmendem Nicken. „Sonst noch was? Gut, dann bis gleich.“

      Sie klemmte sich das sperrige Tablett unter ihren Arm und verschwand so schnell, wie sie gekommen war, wieder im Gewühl. Nach ein paar Minuten kam sie zurück und reichte Jakob seinen Drink. Etwas ungeschickt rutschte ihr dabei das leere Tablett aus der Hand und es landete laut scheppernd vor den Füßen des Mädchens, welches neben Nelson saß. Der fing auf der Stelle zu schreien an.

      „Kannst du nicht aufpassen, blöde Gans!“

      „Hey, jetzt komm wieder runter“, beschwichtigte Jakob ihn und hob dabei das Tablett vom Boden auf. Er reichte es Beth, die etwas eingeschüchtert vor ihm stand. „Alles in Ordnung?“

      „Ich glaube schon.“

      „Das freut mich und übrigens, danke für den Drink.“

      Beth lächelte wieder, entschuldigte sich und ging ihrer Arbeit weiter am Nachbartisch nach. Mit einem Ohr verfolgte sie die aufkommende Diskussion zwischen Jakob und Nelson.

      „Deine Reaktion war nicht etwas übertrieben?“

      „Was heißt denn da übertrieben? Die wird dafür bezahlt, Getränke auszuteilen, und nicht dafür, mit Sachen um sich zu werfen. Und außerdem …“, Nelson beugte sich vor, „… sind wir die Elite, wir können uns alles erlauben.“

      „Können wir das?“

      „Machen wir doch ständig.“ Nelson schwang sich wieder zurück und Jakob schaute in die Runde, seine folgenden Worte betonend.

      „Vielleicht ist es gerade unser Status, mit dem wir nicht umgehen können und der uns zu so arrogantem Abschaum werden lässt.“

      Nelson glotzte ihn entgeistert an und konterte: „Ich habe keinen blassen Schimmer, was du da quatschst oder was du dir in deinem kleinen Hirn zusammenspinnst. Und eigentlich ist es mir auch wurscht. Ich für meinen Teil koste die Vorzüge meines Lebens aus, alle Vorzüge, die mir mein Status verleiht, kapiert!“

      Jakob schwieg.

      „Natürlich kann jeder tun und lassen, was er für richtig und angemessen hält“, Andrej übernahm mit diesem Statement jetzt gekonnt die Initiative. Die aufgestaute und dicke Luft musste dringend durch anderes ersetzt werden und dieser Aufgabe fühlte er sich gewachsen. Demonstrativ hielt er sein Bierglas in Höhe: „Auf das Ende des Semesters und auf Neraj, deren Idee es war, uns alle heute Abend hier in dieser lustigen Runde“, er blickte ostentativ zu Nelson und Jakob hinüber, „zu vereinen. Prost!“

      „Prost!“

      ***

      Es war kurz nach ein Uhr. Jakob saß gelangweilt auf dem Sofa neben Andrej, dessen Gags allmählich ins Lächerliche glitten, was dem vielen Alkohol zuzuschreiben war. Nelson und Eric waren bereits vor geraumer Zeit gegangen, um sich mit ihren Mädels auf der überfüllten Tanzfläche im Nachbarsaal zu vergnügen. Man konnte sie alle durch eine Glaswand verfolgen, im Laserlichtgewitter tanzend und lachend im kunterbunten Durcheinander unzähliger wild schwingender Haare, Arme und Beine.

      „Ich hab genug.“

      Neraj schaute mit ihren tiefbraunen Augen auf.

      „Du willst schon gehen?“

      „Ja. Und diesen Kasper hier nehme ich gleich mit!“

      Andrej schielte in ein leeres, völlig verdrecktes Glas.

      „Schade, denn eigentlich hatte ich mich soeben gefragt, was wir mit unserer neugewonnenen Zweisamkeit anfangen könnten.“ Neraj rückte näher auf der Sitzfläche heran und präsentierte lächelnd ihre weißen Zähne.

      Verunsichert wich Jakob zurück, fasste an seinen Ring und schob ihn auf seinem kleinen linken Finger mehrfach auf und ab. Er glich einem gehemmten, unsicheren Jungen, der konfrontiert war mit dem Verlangen einer kompromisslosen Diva, die unnachgiebig und schonungslos ihr Ziel verfolgte.

      Neraj war sehr direkt, schon zum zweiten Male innerhalb kürzester Zeit, und Jakob stellte sich erstmals die Frage, was er tatsächlich für sie empfand. Verlegen suchten seine Augen nach Antworten, beginnend an den glatten Beinen