Attila Heller

R.O.M.E.


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Spinne, deren Gift ihn schrittweise willenlos zu machen schien. In diese Zwickmühle gedrängt, platzte Beth herein und riss ihn geradezu mit einer klar formulierten Frage aus seiner verschwommenen, undurchsichtigen Gefühlsduselei.

      „Braucht ihr noch etwas?“

      Neraj schaute Beth mit wutverzerrtem Gesicht an.

      „Ein wenig Ruhe wäre schön“, zischte sie und sah ihre hart umkämpfte Beute schon davonlaufen. Diese taktlose, rothaarige Tussi zerstörte ihren Plan, obwohl sie die liebliche Schlinge um Jakobs Hals fast schon zugeschnürt hatte. Jetzt stand alles auf Messers Schneide. Innerlich angefressen, bereute sie bereits ihre Idee mit dem Glaswerk. Mit diesem Gedanken befasst, beobachtete sie, wie Jakob sein Portemonnaie öffnete und der Rothaarigen seine Kreditkarte reichte. Sauer glotzte sie auf ihr halbvolles Glas und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Entscheidung war gefallen. Sie war geschlagen und ins Abseits gestellt worden von einer Kellnerin.

      „Die Rechnung, bitte. Auch für ihn hier. Und du?“

      „Ich zahle selber“, lehnt Neraj ab, während Beth ging. „Von dir brauche ich keine Almosen.“

      „Wie bitte? Ich wollte nur …“

      „Was wolltest du nur?“, fiel sie ihm ins Wort.

      „Ich wollte nur höflich sein dir gegenüber.“

      „Ach so, höflich nennst du das, mir Hoffnungen machen und mich dann eiskalt abservieren, einfach nass im Regen stehen lassen. Vielen Dank, du kannst mir gestohlen bleiben.“

      „Was hast du nur? Wir sind kein Paar!“

      „Stimmt, aber nur deinetwegen, Jakob.“

      Dieser biss sich auf die Unterlippe. Er hasste sie. Genau diese Art hasste er so an ihr und das war der alleinige Grund, wieso sie kein Paar waren und auch niemals eines sein würden. Sein Entschluss stand fest und im Herzen dankte er Beth, dass diese ihn aus den Fängen seiner schizophrenen Kommilitonin, deren Gesicht sich von jetzt auf gleich vollständig ändern konnte, gerettet hatte. Es war schade, denn die eine Neraj mochte er sehr, mit der anderen jedoch konnte er sich nicht arrangieren und wollte es auch gar nicht versuchen, zu groß waren seine Zweifel.

      Beth kam wieder und hielt die Rechnung in der Hand, die sie Jakob zusammen mit einem Kugelschreiber überreichte. Dieser nahm das Stückchen Papier und legte es vor sich auf den Tisch, nachdem er einige leere Flaschen und Gläser beiseitegeschoben hatte. Neraj schmollte immer noch und fixierte weiter ihr Glas. Jakob blickte rasch über die Quittung. So viel hatte er noch nie entrichten müssen, Andrej, dieser Schluckspecht. Zügig unterschrieb er den Beleg, als ihm zufällig ein kleines Detail ins Auge sprang. Er steckte den Stift weg.

      „Elizabeth?“

      „Ja“, bestätigte diese, sie strich sich verlegen eine ihrer widerspenstigen Haarsträhnen aus dem Gesicht hinters rechte Ohr. „Beth ist kürzer.“

      Jakob bemerkte sogleich, dass sie keine Ohrringe trug und dass ihre kleine Muschel etwas abstand. Sie sah niedlich aus!

      „Das ist ein schöner Name“, erklärte er.

      „Vielen Dank, Jakob Lemmon“, leitete Beth von der Karte her ab.

      Blitzartig flackerte das Neonlicht. Die von endlosen bunten Lichterketten durchzogenen Glaswände, Mauern und Böden der Lounge fingen mit den Lichtstrahlen, welche es erzeugte, zu spielen an. Die Musik setzte aus und es legte sich völlige Dunkelheit über den Raum. Plötzlich war ein starkes Klirren zu hören. Augenblicke später verschwand die düstere Atmosphäre genauso jäh, wie sie gekommen war, und die Musik und das Licht sprangen wieder an.

      Geistesgegenwärtig musterte Jakob Neraj. Vor dieser auf dem Tisch stand nur noch eine Ruine aus Glas, die, umringt von tausenden kleinen Scherben, einen todbringenden Ozean aus Alkohol und winzigen Glassplittern bildete.

      „Ich denke, wir sollten jetzt gehen.“ Nachsichtslos griff er nach Andrej und zerrte diesen von der Sitzecke hoch. „Es hat mich gefreut, Elizabeth.“

      „Ja, mich auch“, stammelte Beth, ein wenig verwundert aufgrund der unerwarteten Eile.

      Jakob schleifte Andrej unterm Arm aus der Lounge und weg von Neraj, ohne ein Wörtchen des Abschieds an diese zu richten. Er wollte nur raus und Abstand gewinnen. Endlich am Ausgang angekommen, schnürte es ihm fast die Kehle zu. Die Temperaturen waren sturzartig in den Keller gepurzelt und gestatteten es kaum, einen Spaziergang ohne Jacke zu wagen. Er rieb sich die Hände, hauchte mehrmals hinein und gab, während er Ausschau nach seinem Wagen hielt, Andrej die Schlüssel.

      „Du wartest am Auto auf mich, kapiert? Kannst dich ja schon mal reinsetzten. Ich fahre dich dann nach Hause, einverstanden?“

      „Zu Befehl, Capitano“, lallte der und schlurfte beiseite.

      Jakob wollte kurz allein sein, nur zwei bis drei Minuten, doch dann bemerkte er Andrejs Not. Angetrunken taumelte dieser von einem Bordstein zum anderen und schien völlig die Orientierung verloren zu haben. Jakob rannte los über die Straße und auf direktem Weg zu seinem hilflosen Freund. Auf gleicher Höhe angelangt, packte er ihn an den Schultern und richtete ihn auf.

      „Die Schlüssel!“

      Andrej reagierte nicht und Jakob riss sie ihm aus der Hand.

      „Du bleibst jetzt lieber bei mir, bevor du dich oder andere noch in Gefahr bringst“, befahl Jakob und stiefelte mit seiner Fracht im Schlepptau auf seinen parkenden Flitzer zu. Aber dann, auf halber Strecke, blieb er unversehens im Schein der Straßenlaterne stehen.

      Irritiert blinzelte er umher. Ihm war, als hätte er soeben eine Stimme seinen Namen rufen hören, ganz schwach und wie aus dem Nichts. Konzentriert und mit gespitzten Ohren wartete er auf ein erneutes Geräusch, jedoch nahm er nur einen anderen, leisen und zischenden Ton wahr, der geradewegs von seinem Auto herrührte.

      Es dauerte ein paar Sekunden, bis Jakob verstand, dass irgendetwas nicht stimmte. Er fackelte nicht lange, schnellte zu Andrej hinüber und riss diesen rücklings nach unten. Mit einem Mal erschütterte eine heftige Explosion die Stille. Jakobs Auto stieg, getragen von einer gewaltigen Feuerwalze, in die Höhe, um dann, vom Flammenmeer eingehüllt, am Boden zu zerschellen.

      Die Druckwelle zwang Andrej noch tiefer in die Knie und riss ihm förmlich den Boden unter den Füßen weg, sodass er kurz darauf auf der Straße lag. Er schmeckte den beißenden Qualm, hustete und hielt sich seinen Ellenbogen vor den Mund. Neben ihm schepperten Glasscherben, Blechteile und Plastikstücke zur Erde, die die Explosion aus dem Fahrzeug gerissen hatte und wie feurige Pfeile durch die Nacht fegen ließ. Erstaunlicherweise war er unverletzt geblieben, weil keines der Geschosse ihn zu treffen vermocht hatte. Alle Wrackteile, die in seine Richtung geschleudert wurden, prallten wie Sandklumpen an dem Schutzschild, welches Jakob darstellte, ab. Nahezu unberührt trotz der immensen Kräfte, stand dieser felsenfest vor ihm, die Arme leicht vom Körper weggedreht sich gegen die Erschütterung stemmend. Der Splitterregen legte sich und Jakob wandte sich an ihn.

      „Bist du okay?“

      Andrej brachte keinen Mucks hervor, aber er war jetzt hellwach, die Explosion schien auch seinen Alkoholpegel fortgefegt zu haben.

      Vom Lärm alarmiert, rannten immer mehr Personen zum Ausgang des Glaswerks, um zu schauen, was geschehen war. Das Feuer loderte. Die Alarmsirenen umstehender Autos heulten und einige Jungs sprinteten zu ihren Kisten, um ein Übergreifen der Flammen auf diese zu verhindern. In diesem Wirrwarr schnappte sich Jakob Andrej.

      „Lass uns gehen.“

      Verdutzt stand Andrej auf und folgte Jakob, der das Tempo vorgab, zügigen Schrittes. Ihr Ziel war die U-Bahn am vorderen Ende des Fabrikgeländes. Unter den Augen einiger entsetzter Personen, darunter Beth, die sich in einer Seitengasse versteckt und alles mitangesehen hatte, verschwanden die beiden.

      8. Kapitel

      Die mit Graffiti verschmierten Türen des letzten U-Bahn-Waggons, welchen Jakob und Andrej nur mit Mühe und Not erreichten, schlossen sich und der Zug fuhr los. Ohne ein Wort