Attila Heller

R.O.M.E.


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nicht das Warum?“

      „Das Warum ist sekundär, absolut zweitrangig. Das Ziel solltest du eliminieren, Max, nur das hatte Priorität. Da du dem nicht gerecht werden konntest, stellt sich die Frage nach dem Warum nicht mehr.“

      „Aber was ist, wenn uns das Ziel weiterhelfen könnte“, versuchte sich Max zu verteidigen.

      „Das kann ich mir nicht vorstellen.“

      „Es hat aber den Anschein.“

      Seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung verschlug es die Sprache und so vergingen einige Momente. Es verdichteten sich die Anzeichen, dass die Konversation in eine Sackgasse führen würde.

      „Lass es mich beweisen“, fuhr Max schließlich fort in der Hoffnung, man würde ihm die Chance geben, alles zu erklären. Heilfroh nahm er die nächsten Worte zur Kenntnis.

      „In Ordnung, aber nicht hier am Telefon. Ich werde mich zum gegebenen Zeitpunkt bei dir melden. Ach, und Max, ich kann für nichts garantieren.“

      Die Verbindung brach ab. Max atmete einmal tief durch. Das war knapp, doch sie würden es verstehen, davon war er überzeugt.

      9. Kapitel

      Die Uhr auf dem verstaubten Wandregal, halb versteckt hinter umgefallenen Büchern und Heftern und vom Bett aus kaum zu erspähen, zeigte mit dem kleinen Zeiger bereits auf die Elf. Man musste sich schon aufrichten, um einen Blick zu ergattern, der einem sagte, wie spät es war, bevor man entweder erleichtert auf die Matratze zurücksinken und weiterschlafen oder verstört aus den Federn hüpfen konnte, um den verschlafenen Tag doch noch irgendwie zu retten.

      Jakob lag noch im Bett, die Daunendecke neben ihm, aber das Kissen eisern auf und nicht unter seinem Kopf. Er versuchte so der nervenden Sonne einen Strich durch die Rechnung zu machen, die sich Stück für Stück in Position gebracht hatte und nun von Süden her freundlich durchs Fenster lachte, um ihn mit ihren Strahlen wachzukitzeln. Er wälzte sich unruhig vom Bauch auf die Seite und wandte seinem aufdringlichen Wecker den Allerwertesten zu. Doch auch das half nichts. Er drehte sich wieder auf den Rücken und starrte an die Decke. Die Nacht war vorbei!

      Also kämpfte er sich hinüber zur Bettkante und schob die Decke beiseite. Dann kramte er die Wollpantoffel unterm Lattenrost vor, zog sie an und setzte sich gequält in Gang. Im Bad angekommen, stellte er sich vor das Porzellanbecken und betrachtete die bräunlichen Perlen in der Senke rund um den silbern glänzenden Ausguss. Das getrocknete Blut vor ihm in der Schüssel riss die Erinnerungen der vergangenen Nacht aus seinem schläfrigen Hirn und beförderte ihn schlagartig zurück in die Gegenwart. Er schaute zur Wanne, die, übersät von aufgerissenen Sc hachteln, Verpackungen, Mullbinden und Heftpflastern, wie eine Müllkippe aussah. Zwei Handtücher hingen über dem Wannenrand und auf dem Fliesenboden lag eine Schere unmittelbar neben seinem zerfetzten Ausgehhemd von gestern Abend.

      Er stützte sich auf das gerundete Waschbecken und betrachtete emphatisch sesein Spiegelbild, welches ihn mit aschfahlem Gesicht und einem angeschwollenen Auge begrüßte. Den Cut über seiner rechten Braue hatte er problemlos mit etwas Fibrinkleber geschlossen und auch sonst schaute sein athletischer Körper, auf den er schon ein bisschen stolz war, topfit und kerngesund aus. Die Schürf- und Schnittwunden hatte er in den frühen Morgenstunden noch gereinigt und desinfiziert. Das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen. All die Furchen, die die Detonation in seinen Körper gerissen hatte, waren bereits verschlossen und man konnte deutlich das frische rosa Fleisch unter der dünnen, noch jungen Haut erkennen. Was für ein erstaunliches Phänomen, Jakob fühlte sich gut, wäre da nicht diese beschissene Bauchwunde!

      Poch, poch! Es klopfte am Rolltor. Überrascht verließ Jakob das Bad und ging auf die Treppe zu. Er befand sich im Obergeschoss seiner Wohnung, wo sich neben dem Bad auch noch das Schlaf-, das Gäste- und das Arbeitszimmer befanden. Das Erdgeschoss war zum größten Teil ein offener Saal, quadratisch und in jeder Ecke mit einer verklinkerten Säule ausstaffiert. Es diente ihm hauptsächlich als Werkstatt und war vollgestopft mit allem möglichen Krimskrams aus etlichen Projekten. Man konnte es als sein persönliches Atelier bezeichnen, auch wenn die uralte Küche, so sehr man sich auch bemühte, keinesfalls ins Bild passte. Sie schien den liebevoll gestalteten Raum regelrecht zu verschlingen wie ein fetter grauer Elefant inmitten einer zierlichen Blumenwiese, heruntergewirtschaftet und alt.

      Es klopfte erneut.

      „Ich komme ja schon!“, brüllte Jakob und warf sich ein T-Shirt über. Sein zügiger Gang brachte die Stahltreppe zum Schwingen und mit jeder Stufe, die er nahm, ertönte blechern ein feiner Gong. Er öffnete das quietschende Rolltor, welches sich als Tür seines bescheidenen Heims herausstellte und stand, nur mit Shirt und Shorts bekleidet, vor zwei Männern, die ihn durch ihre dunklen Sonnenbrillen anstarrten.

      „Jakob Lemmon?“

      „Wer will das wissen?“

      „Der Weihnachtsmann“, gab der kleinere von den beiden Pinguinen kalt zurück, die Gesichtszüge steif und unnahbar. In schwarze Anzüge gewickelt, sahen die Jungs wie Zwillinge aus und, abgesehen von dem skurrilen Unterschied in der Körpergröße, meinten sie es todernst, das verriet ihm sein Bauchgefühl. Also tat Jakob das, was er in solchen Situationen immer tat, er hörte auf seine innere Stimme und antwortete den beiden.

      „Ja, der bin ich.“

      Ungläubig schauten sich die beiden an. Nach längerem Warten öffnete der größere Typ sein kleines Mobiltelefon und linste, die Augenbrauen zusammengezogen, auf das Display. Schließlich begann er zu nicken. Jakob vermutete sein Foto auf dem mickrigen Bildschirm, das den beiden die Gewissheit verschaffte, dass er wirklich der war, für den er sich gerade ausgab, bevor sie mit ihrem Anliegen herausrückten.

      „Wir haben den Auftrag, Sie nach Wien zu eskortieren.“

      „Wien?“ Jakob war sichtlich irritiert. Was sollte er denn in Österreich und überhaupt, wer waren die beiden dunklen Gestalten an seinem Tor und in wessen Auftrag kamen sie?

      „Das ist ja schön für Sie, doch leider Gottes sehe ich da ein klitzekleines Problemchen auf uns zukommen“, sagte er nüchtern. „Mein Auto hat sich erst kürzlich, nun, sagen wir mal, in Rauch aufgelöst.“ Er zog die Schultern unschuldig dreinblickend nach oben, doch seine beiden neuen Freunde ließ die Story freilich kalt. Entschlossen traten sie ein Stück zur Seite und ermöglichten Jakob so einen flüchtigen Blick auf die glänzend schwarze Limousine vor seinem Haus. Die Sonne spiegelte sich auf dem Perllack und am Steuer saß noch so ein harter Artgenosse.

      „Noch Fragen?“

      „Eigentlich passt es mir momentan überhaupt nicht.“

      „Sie haben eine Minute“, zischte der Große jetzt finster, und um Jakob die nötige Dringlichkeit zu verklickern, schlug er mit der Faust eine breite Delle in den Rahmen des Tores.

      „Den NSD lässt man nicht warten!“

      ***

      Das Flugzeug drehte eine zusätzliche Runde über den mikroskopischen kleinen Vororten der Stadt, bis der Crew endlich die lang ersehnte Freigabe zur Landung erteilt wurde. Mit einer weiten Kurve flog der Kurzstrecken-Airbus von Osten her die Landebahn an, langsamer werdend und allmählich an Höhe verlierend. Ein jeder, der hier landete, fragte sich, wo die Berge blieben. Einen Flughafen in Österreich assoziiert man doch unmittelbar mit schwierigen Bedingungen wie spitzen Felsen und schmalen Tälern, die den Piloten alles abverlangen. Doch Schwechat war anders, bedrohlich wirkten hier nur die schlanken Schlote der Raffinerien am westlichen Ende des Flughafens, mit gigantischen Tanks, die einen ungemein feindseligen Teppich voller hochgefährlicher Inhaltsstoffe bildeten. Ansonsten sah Jakob nur Hügel und Felder, Bäume und Dickicht unter sich, Meter um Meter näherrückend, so als schaute er durch eine Lupe. Gelassen hielt er sich die Nasenflügel zu und schluckte mehrmals, um das nervige Druckgefühl in seinem Gehörgang zu vertreiben, das sich immer wieder aufgrund des enormen Höhenverlusts an seinem Trommelfell festkrallte. Auch seine wortkargen Freunde vom NSD, einer auf dem benachbarten Sitzplatz und die anderen beiden eine Sitzreihe weiter, plagte ein ähnliches Leiden. Schluckend und