Attila Heller

R.O.M.E.


Скачать книгу

haben Recht, Professor.“

      „Das freut mich. Alles Weitere dann später.“

      Neraj schaute auf die Uhr.

      „Und ja, das war es jetzt endgültig.“

      „Na dann, wir sehen uns heute Abend, Jakob!“

      „Ja, vielleicht bis später.“

      Neraj stand auf, nahm ihre Mappen, spazierte durch die offene Tür und verschwand allmählich am Ende des langen Korridors, die Wasserflasche immer noch in der Hand haltend. Jakob und der Professor folgten vergnügt ihrem bezaubernden Anblick.

      „Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich mir dieses Juwel nicht entgehen lassen, ein Traum von einer Frau, findest du nicht auch?“

      „Sind Sie jetzt auch noch mein Beziehungsguru?“

      „Ich mein ja nur.“

      „Was meinen Sie?“

      „Das du zu wählerisch bist.“

      „Es ist weiß Gott nicht ihr Aussehen, was mich stört.“

      „Sondern?“

      Sondern ihre paranoide Art, dachte Jakob.

      „Wissen Sie was, vergessen Sie es einfach.“

      „Warum? Ich finde, ihr passt ganz wunderbar zusammen! Manchmal müssen halt Menschen auf ihr Glück hingewiesen werden. Ich wäre froh gewesen, wenn das hin und wieder mir passiert wäre.“ Friedmann musterte aus dem offenen Fenster den Universitätseingang. „Überleg doch mal, Jakob. Sie ist bildhübsch, intelligent und ein Spross der ersten Stunde, so wie du. Das macht vieles einfacher in einer Beziehung. Keine Geheimnistuerei, wenn du verstehst, was ich meine.“

      Jakob sträubte sich gegen diesen Gedanken, doch tief in seinem Innersten musste er Friedmann erneut Recht geben: Er und Neraj, das könnte passen. Sie trug das gleiche Geheimnis mit sich, ein Geheimnis, welches nur ganz wenige Personen kannten. Er wusste es von ihr und sie es von ihm. In der Tat würde das eine Verbindung einfacher gestalten, wenn da nicht diese endlos nervenden Ticks und diese herrische Art wären, die ihm so an ihr missfielen. Und warum war das dem Professor überhaupt so wichtig?

      Jakob schaute hinüber zu dem alten, gewichtigen Mann am Fenster und richtete sich auf. Er vergewisserte sich, dass sie alleine waren, ging auf Friedmann zu und blieb dicht vor dessen Gesicht stehen. Er schaute den Professor eindringlich an und fragte.

      „Weshalb Neraj?“

      Emmerich war überrumpelt. Für einige Sekunden ließ er es zu, dass Jakob ihn in seinen Bann zog. Mit allerletzter Kraft warf er seinen Kopf zur Seite und widerstand der Attacke.

      „Vergiss es, Lemmon!“, protestierte er.

      Jakob, seine tiefschwarzen Pupillen geweitet, ließ locker und Friedmann wandte sich, das Haupt leicht gesenkt, ab.

      „Alles, was du wissen musst, habe ich dir gesagt, der Rest bleibt mein Geheimnis, verstanden? Mein Innenleben ist kein Tagebuch für dich oder sonst irgendjemanden, kapiert! Und jetzt entschuldige mich.“

      Der Professor ging zügigen Schrittes zur Tür. Auf halber Strecke drehte er sich um und drohte mit erhobenem Finger.

      „Mach das nie wieder, Lemmon, nie wieder!“

      6. Kapitel

      Sechster Stock, Raucherebene. Theresa hasste diesen Arbeitsbereich. Mit einem Wagen, halb so schwer wie ihr Eigengewicht, ratterte sie über den langen Flur des Fünfsternehotels ihres Arbeitgebers. Der Teppich war vor Kurzem fabrikneu ausgelegt worden – und zwar eindeutig zu ihrem Nachteil, fand sie. Denn die kleinen weißen Rollen ihres Putzwagens verhedderten sich dauernd in dem flauschigen, noch ungebrauchten Gewebe. Außerdem war sie mit diesem neuen Farbton, einem milden Olivgrün, keineswegs einverstanden. Die Hotelleitung bewies dadurch zum wiederholten Male ihr Unvermögen, die Räume sukzessiv ein wenig der zeitgenössischen Welt anzupassen. Die hohen Räume, die veralteten Zimmer, die überaus hässliche Tapete an den Wänden und dazu noch der trübe Qualm auf dieser Etage – das alles würde sie noch um den Verstand bringen. Und eines war sicher, dieses Hotel sicherte sich seinen fünften Stern mit gewolltem Siebzigerjahre-Flair. Daran würde sich jetzt und auch in naher Zukunft nichts ändern!

      Theresa hatte ein Problem mit ihrem Job. Das Stilgefühl sowie die Ausrichtung des Ambientes waren nur die Spitze des Eisberges. Unter der Wasseroberfläche lauerten viel größere und tiefer sitzende, mit Problemen behaftete Eisbrocken.

      Ihr Chef war ein alkoholabhängiger Choleriker und nur in den frühen Morgenstunden zu ertragen. Wenn sie mal gutgelaunt von der Arbeit kam, lag das nur daran, dass sie es irgendwie geschafft hatte, diesem Mistkerl an jenem Tage aus dem Weg zu gehen. Diese glücklichen Momente genoss sie sehr, denn sie waren selten, leider. Viel eher passierte es, dass irgendein großspuriger Gast die Dienstleistungen des Zimmerpersonals in Frage stellte und sich beim Geschäftsführer über ein Haar in der Wanne oder ein zu kaltes Zimmer beschwerte. Wenn es ihren Bereich betraf, dauerte es nicht lange, bis sie die volle Breitseite aufgestauter Wut des Chefs unter Alkoholeinfluss zu spüren bekam. Sie hatte sich dran gewöhnt, auch an die Schmerzen. Sie kuschte, ging ihrer Arbeit nach und arrangierte sich mit dem Taschengeld, welches groteskerweise nach jedem Anfall gutversiegelt in einem pinken Umschlag in ihrem Spind lag. Ein kleiner Bonus sozusagen, für ihre Loyalität und Treue, oder vielmehr ihre Verschwiegenheit. Ihr Boss wusste – wenn er denn einmal bei klarem Verstand war –, dass sie ihm ganz schnell die Schlinge um den Hals legen könnte und diese dann auch zuziehen würde. Er ließ sich seine Eskapaden einiges kosten und absurderweise spielte Theresa mit. Sie brauchte ihn, sie brauchte sein Geld, sie nahm die Scheine und hielt ihre Klappe.

      Eine Zimmertür zu ihrer Linken öffnete sich gerade einen Spalt weit und Theresa beobachtete eine Hand, schmal und graziös, die flink das Schild „Bitte nicht stören“ am Türknauf anbrachte. Zweifellos gehörten diese geschickten Finger einer Frau, nur war es eine Einzimmersuite, gemietet von einem Herrn, und Theresa wusste sofort, was dies zu bedeuten hatte. Sie hatte das schon hunderte Male erlebt. Ehemänner und Familienväter, die sich hier, direkt vor ihrer Nase, ihren Phantasien hingaben, während sie ihren Frauen zu Hause die heile Welt vorgaukelten. Theresa war angewidert und vergrämt zugleich, doch wäre da nicht dieses Quäntchen Anstand gewesen, das sie besaß, dann hätte sie gewiss das unmoralische Angebot von manch wohlhabendem Gast angenommen.

      Das Hotel, unmittelbar am Westbahnhof gelegen, schräg gegenüber einigen dubiosen Straßen mit Clubs und Bars, war trotz seiner exorbitanten Preise offenkundig auch Anlaufpunkt des allgemeinen Abschaums. Denn kaum im Zimmer angekommen und ferngesteuert von einem schamlosen Verlangen, passte Theresa ins Beuteschema einiger Gäste, die es nicht mehr bis auf die Straße schafften. Hin und wieder musste sie sich vor ekelhaften Übergriffen schützen und klarstellen, dass sie hier als Zimmermädchen arbeitete und keine üblen und dreckigen Dienstleistungen anbot. Männer waren doch alle gleich!

      Sie blieb stehen, um zu verschnaufen und Kraft zu sammeln, denn die Rädchen ihres Wagens standen verdreht, jedes in eine andere Richtung, als ob sie sich abgesprochen hätten, um Theresa zu ärgern. Sie bückte sich und begann alle Räder in ein und dieselbe Stellung zu bringen. So kopfüber, stieg ihr das Blut in den Schädel und ihr wurde unerwartet schwindelig. Unsicher zog sie sich am Putzwagen hoch und riss dabei einige frische Handtücher herunter, die danach verteilt auf dem neuen, gebauschten Teppich lagen und deutlich gebrauchter ausschauten als dieser. Sie akzeptierte ohne ein Wort des Kummers ihr Missgeschick und wollte gerade die Handtücher auflesen, als ihr ein Mann zuvorkam.

      „Benötigen Sie die noch?“

      Überrascht und sprachlos nickte Theresa. Sie hatte ihn überhaupt nicht bemerkt. Der Mann reichte ihr die Tücher. Er war groß, hübsch und trotz seines Alters anscheinend in den besten Jahren. Er gefiel Theresa auf Anhieb. Er schien Anstand zu besitzen, ganz anders als die Leute, die sonst so hier einkehrten, und sein französischer Akzent ließ ihn noch begehrenswerter wirken.

      „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“

      Theresa