Karina Förster

Spring!


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gelebt und unterscheidet sie von der breiten Masse. Der Teufel macht immer auf den größten Haufen. Allerdings muss ich sagen, dass Lisa überhaupt nicht wie eine verwöhnte Göre wirkt. Selbstbewusst ja, arrogant nein.

      Kai und Yanick öffnen nun die bodentiefen Fenster und schieben sie zur Seite. Hinter den Fenstern öffnet sich ein Wohnzimmer, in dem ein sehr großes Buffet aufgebaut wurde. Der Wohnraum wird so Teil der Terrasse und umgekehrt. Ein Sommer hier muss himmlisch sein. Luxus in der Natur.

      Das Buffet sieht erstklassig aus und wirkt wie eine kulinarische Offenbarung. Der Tisch ist mit einer Menge Hingabe angerichtet worden. Dieses Buffet einen kleinen Happen zu nennen gleicht einer Beleidigung und ist zugleich eine Ohrfeige für die Köche. Eindeutig ist zu erkennen, dass an nichts gespart wurde.

      Ich fühle mich wie in einem Märchen. Ein schmuddeliges, armes Mädchen darf für einen Tag ein völlig anderes Leben führen.

      Wie spät ist es? Ich will wissen, wie viel Zeit mir noch bleibt, bis die Pferde wieder zu Mäusen werden. Ich bin Aschenputtel. Kam die sich genauso komisch vor wie ich mir?

      Die Gäste strömen murmelnd auf das Abendessen zu. Sie verteilen sich um die kulinarischen Köstlichkeiten, die mit Liebe zum Detail angerichtet wurden. Ich schaue über einige Schultern und finde es fast zu Schade etwas zu entnehmen und es sich dann schnöde in den Mund zu schieben. Hätte ich mein Handy dabei, würde ich Uta jetzt ein Foto schicken. Sicher würde sie genau wie ich Bauklötze über diese Pracht staunen. Wo sie doch schon bei meinen Röllchen ausflippt. Die sind glatt lächerlich.

      Der Mann in den blauen Shorts erscheint neben mir und lächelt mich freundlich an. Es ist der, der Lisa vorhin auf dem Boot geküsst hatte.

      »Entschuldige bitte, ich habe leider deinen Namen vergessen«, begründe ich ihm, dass ich ihn nicht mit seinem Namen ansprechen kann. Er lächelt. Wie ich wartet er darauf, einen Blick auf die Speisen zu werfen. Das Gedrängel ist dicht. Nur langsam lichten sich die Reihen.

      Jetzt haben wie einen Spalt und ich betrachte mir das Angebot aus der Nähe.

      »Schon gut. Bei so vielen neuen Namen kein Wunder. Ich bin Johannes, aber alle nennen mich Jo.«, sagt er.

      »Ja, extrem viele neue Namen«, lächele ich. »Ihr kennt euch sicher alle untereinander.«

      Ich bin dankbar, dass er mir meine Vergesslichkeit nicht nachträgt. Es waren einfach zu viele Namen in zu kurzer Zeit.

      »Ich habe jetzt echt Hunger«, sagt Jo, hält sich seinen Magen und verschafft sich einen Überblick über das reichliche Essensangebot. Er deutet auf einen Teller und sieht mich an: »Hier, probiere das! Eigentlich musst du von allem probieren. Kai hat in der Bölschestraße ein angesagtes Restaurant. Alles auf dem Tisch kommt von dort. Sein Essen ist schlicht und einfach köstlich.«

      Gemeinsam gehen wir das Buffet ab. Wir füllen unsere Teller und plaudern miteinander.

      Ich lausche Jos Erklärungen über Speisen, die mir fremd sind. Ich stelle Fragen und zu guter Letzt ist mein Teller randvoll. Wir suchen uns einen freien Sitzplatz, setzen uns und essen.

      Ich schnappe auf, dass Lisa heute dreißig wird. Sie feiert einen runden Geburtstag.

      Dreißig ist für viele Frauen eine mystische Zahl. Entweder löst die Panik aus oder Trübsal.

      Ich sehe kurz zu ihr. Danach schweift mein Blick über die Terrasse.

      Eine ungewohnte Welt. Ich fühle mich ein wenig fremd. Niemand ist unhöflich, niemand sieht mich schief an, aber wäre ich nicht im Bikini, wäre glasklar, dass ich anders bin.

      Im Hintergrund läuft dezent Musik. Einige Gäste tanzen auf einer kleinen Tanzfläche. Die Atmosphäre ist wie die in einer gepflegten Bar in der Innenstadt.

      Eine spezielle Party, auf der das Leben mit Sorgen, Geldnöten und Wirren des Alltages keine Rolle zu spielen scheint.

      »Hmhm, wirklich. Du hast recht. Es ist kaum zu glauben!«, sage ich die delikat gefüllten Schinken-Röllchen in meiner erhobenen Hand betrachtend.

      Sie sind paniert und mit einem würzigen, schmelzenden Käse umhüllt. Die Gewürze passen dabei wahnsinnig gut zum Käse.

      Das müsste Uta mal probieren. Ihre Schaltzentrale wäre ganz gewiss das Buffet. Schade, dass sie nicht hier ist und diesen Nachmittag mit mir teilen kann. Wir hätten einen Wahnsinnsspaß. Ich fingere mir als Nächstes den Happen mit dem Steinpilzpesto und würde am liebsten in die Waagerechte sinken. Göttlich! Jo bemerkt meine Verzückung und grinst breit kauend.

      Ich folge seinen Augen zu Lisa, die bei Kai steht und vertraut mit ihm flirtet.

      »Sind sie ein Paar?«, erkundige ich mich bei Jo, der auf seinen Teller sieht.

      »Nein. Wem ihr Herz gehört ist nicht leicht zu durchschauen. Also jedenfalls für mich«, antwortet er und guckt mich an.

      »Vorhin auf dem Boot dachte ich du und sie …«

      »Freie Liebe. Das volle sechziger Jahre Programm«, unterbricht er mich in meinem Satz.

      »Das ist doch kein Konzept, das aus den sechziger Jahren stammt«, widerspreche ich. »Schon lange vorher setzten sich Frauen für die gesellschaftlich akzeptierte Trennung von Ehe und Sexualität ein. Es wurde der Masse leider erst durch die Pille möglich. In den sechziger Jahren.«

      »Du kennst dich aber aus.«

      »Weil es ein interessantes Thema ist. Vor allen, wie viel Arbeit uns noch für dieselben Rechte bevorsteht.«

      »Bist du eine Emanze?«

      »Wenn du damit meinst, dass sexuelle Übergriffe als solche geahndet werden, ohne dass mehr als ein Nein dazu gehört. Für gleiche Arbeit der gleiche Lohn gelten sollte, ja. Dann fasse ich jetzt mal Emanze als Kompliment auf. Nimm es mir nicht übel, aber solche Sprüche zeigen doch, wie geduldig Papier ist. Auch Gesetzestexte. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Pah!«

      »Schon gut!«, lacht Jo amüsiert auf. »Ich bin einer von der guten Sorte.«

      »Scheint so, denn sonst würdest du ja Lisas Vorlieben ablehnen. Damit auch sie«, necke ich ihn.

      Er sieht verträumt zu Lisa, die sich lachend in Kais Arm schmiegt. »Sie ist einfach unglaublich. Als Frau. Lisa ist die Verrückte von den beiden und war schon immer eine kleine Rebellin. Weißt du, Lisa bindet sich nicht, sie will leben. Und ich will sie genau so, wie sie ist.« Er lächelt geistesabwesend und beißt von einer Käsekartoffel ab.

      »Wie lange kennst du die beiden?«

      »Lisa und Yanick? Schon ne gefühlte Ewigkeit.«

      »Ninette mag wohl keiner hier, außer Lisas Bruder?«, horche ich ihn dezent aus.

      »Ich glaube, selbst der nicht mal. Schau dir das doch an«, sagt er abfällig und nickt mit seinem Kopf in die Richtung, in der Ninette steht. Schmollend lehnt sie an der Hauswand. Sie starrt zu Yanick, der sich mit Lisa auf der Tanzfläche zu einem langsamen Merengue dreht. Elegant bewegen sich Bruder und Schwester. Seine Drehungen führt er geschickt aus und er baut gekonnt Salsa-Schritte ein, wenn Lisa kurz von ihm getrennt tanzt. Sie scheinen gut zu harmonieren und lächeln glücklich. Sicher tanzen sie oft zusammen und haben Spaß daran. Lisa fädelt sich unter seinem Arm durch und bewegt sich erotisch mit der Hüfte, als die nächste Drehung durch Yanick erfolgt. Das Lied ist zu Ende. Er dreht sie schnell, während er ihre Haare freundschaftlich küsst. Lisa lacht laut hörbar auf und stupst ihn in seine Seite.

      »Sie merkt das nur nicht«, holt Jo mich aus meinen Beobachtungen und sieht angewidert zu Ninette hinüber.

      »Ich habe sie in Aktion erlebt und konnte sie auf Anhieb nicht ausstehen!«, gestehe ich leise und er nickt mir zu. Ich konzentriere mich auf meinen Teller, der noch immer mit vielen Köstlichkeiten beladen ist. Genüsslich falte ich etwas Bündner Trockenfleisch und schiebe es in meinem Mund, wo es leicht säuerlich auf meiner Zunge prickelt und dann schmilzt.

      »Lisas