Uwe Bekemann

Im Bann des Augenblicks


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von ihm gesammelten Informationen gibt, die anderen in die Hände fallen könnten.“

      „Was haben Sie damit gemacht?“

      „Sie meinen, was wir getan haben, um dafür zu sorgen, dass seine Erkenntnisse nicht doch noch in falsche Hände geraten können?“

      „Ja, genau!“

      „Wir haben alles sorgfältig eingesammelt, was Daten enthalten konnte, und aus der Wohnung des jungen Mannes entfernt. Inzwischen ist bereits alles gelöscht, vernichtet und entsorgt.“

      „Also gut! Wird die Kripo auf Grund anderer Auffälligkeiten eine Verbindung zwischen den beiden Todesfällen herstellen können?“

      „Nein, wird sie nicht! Sie wird feststellen, dass zwei Fälle eines, sagen wir mal, plötzlichen gewaltsamen Ablebens ungewöhnlich sind, aber einen Zusammenhang wird niemand erkennen können. Der junge Mann hat ganz offensichtlich als Programmierer gearbeitet, was sein PC und die darauf gespeicherten Daten verraten. Seine Besucher hatten es in den Augen der Kripo ganz eindeutig auf seine Arbeit abgesehen, denn sie haben alles, und zwar nur dies, mitgenommen, was seine Daten enthalten konnte. In diesem Umfeld wird die Kripo nach den Tätern suchen.“

      „Mir gefällt das alles nicht, trotz allem!“, erklärte der Angerufene. „Ich möchte noch wissen, ob ...“

      Er konnte seinen Satz nicht zu Ende bringen, da ihm der andere dazwischenfuhr.

      „Meister, es ist genug jetzt! Mir ist ohnehin schon zu viel von uns besprochen worden, hier am Telefon! Bleiben Sie ruhig und vergessen Sie den Vorfall!“

      „Na gut“, willigte der Angerufene ein. „Dann bleibt es also bei unserem Treffen morgen um zehn Uhr“.

      „Ja, bis morgen“, kam es zurück, bevor ein kurzes Klicken in der Leitung anzeigte, dass der Anrufer das Gespräch beendet hatte.

      22 – Im Stahlbad der Gefühle

      Wie oft noch würde sich dieser Einstieg in einen Tag wiederholen müssen? Wie oft würde sie sich noch früh morgens vor den Monitor ihres Computers setzen müssen, um nachzusehen, ob die Nacktbilder von ihr noch im Internet eingestellt waren?

      Es war noch früh, aber Nina fühlte sich ausgeschlafen wie schon lange nicht mehr.

      „Kein Wunder!“, hatte sie, noch im Bett liegend, zu sich selbst mit einem Blick auf ihren Wecker gesagt, als sie festgestellt hatte, dass sie, mit kurzzeitigen Unterbrechungen, fünfzehn oder sechzehn Stunden geschlafen haben musste.

      „Das müssen KO-Tropfen gewesen sein!“, hatte sie ergänzt und sich gefragt, ob sie das ihr verordnete Mittel vielleicht versehentlich überdosiert hatte.

      Ihr erster Weg nach dem Aufstehen hatte sie heute nicht ins Bad, sondern ins Wohnzimmer geführt. Mit von der Nacht gezeichneter Frisur und leicht verquollenem Gesicht wartete sie darauf, dass der PC endlich hochgefahren war und sie die Verbindung zum Internet herstellen konnte.

      Wie schon am Vortage war Geduld von ihr gefordert, da der Browser auch heute wieder ungewöhnlich lange suchen musste.

      Warum dauerte es denn schon wieder so lange? Noch immer hatte der Browser die Seite nicht gefunden. Plötzlich aber erschien eine mit großen roten Buchstaben vor einem gelben Hintergrund geschriebene Meldung auf dem Bildschirm. "Hallo, mein Freund, ich habe mir erlaubt, mir Zugang zu deiner Seite zu verschaffen, deine widerlichen Bilder zu entfernen, alle deine Daten komplett zu sichern und für Bedarfsfälle (z.B. staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren) vorzuhalten. Ich rate dir dringend, keinen weiteren Gebrauch von den Bildern zu machen, diese vielmehr sofort und unwiederbringlich zu beseitigen, egal in welcher Form sie dir vorliegen. Du willst doch nicht, dass man solches Material bei dir findet, oder? Sollten die Bilder in irgendeiner Form wieder auftauchen, so werden alle deine Daten - ein wirklich aussagekräftiges Profil! - der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige begleitend übermittelt. Mit Onlinergruß, der Cracker"

      Was war denn das? Handelte es sich um irgendeine Fehlfunktion oder war die ursprüngliche Seite tatsächlich nicht mehr da?

      Nina klickte auf die Befehlsschaltfläche zum erneuten Ladeversuch. Erneut verstrich Sekunde um Sekunde, ohne dass die Bilder erschienen, bis wiederum der Gruß des Hackers angezeigt wurde. Nina schloss das Browserprogramm vollständig, um es sogleich wieder zu starten. Es änderte nichts daran; erneut erschien nur die für sie so erfreuliche Mitteilung. In banger Hoffnung, dass selbst nach einem Neustart ihres Computers die Bilder verschwunden bleiben würden, fuhr sie ihn herunter, um ihn sogleich wieder zu starten. Als der PC wieder einsatzbereit zur Verfügung stand, stellte sie eine neue Verbindung zum Internet her und startete ihren Browser. Das Ergebnis blieb gleich, die Bilder waren aus dem Internet gelöscht.

      Eine plötzliche, eine unendliche Erleichterung überkam sie. Sie konnte darauf vertrauen, was sie sah! Bis in den Hals hinein spürte sie ihr Herz vor Aufregung und Freude wie wild schlagen. Ein Hochgefühl ersetzte die Beklemmung, die sie noch vor Minuten fest im Griff gehalten hatte. Die Bilder waren verschwunden, einfach weg! Nein, sie waren nicht einfach nur weg, jemand hatte sie beseitigt! Alex hatte sie beseitigt! Sie hatte gewusst, dass auf ihn Verlass war!

      „Alex, ich liebe dich!“, entluden sich ihre Emotionen in einem überschwänglichen, aber ungehörten Ausruf.

      Sie musste ihm danken! Nein, sie wollte ihm danken! Aber nicht jetzt, nicht am Telefon! Für einen Anruf war es ohnehin noch zu früh. Alex würde sicher noch im Bett liegen. Wahrscheinlich hatte er ohnehin einigen Schlaf nachzuholen, denn er würde sich kaum viel Ruhe gegönnt haben, bevor er die Bilder aus dem Internet beseitigt hatte.

      Ein plötzliches über ihr Gesicht huschendes Lächeln zeigte, dass sie eine Idee hatte.

      Ja, sie würde Alex mit einem Frühstück überraschen!

      Kaum hatte sie ihren Entschluss spontan gefasst, als das gerade eben noch flüchtige Lächeln zurückkehrte, diesmal aber nicht sogleich wieder verschwand. Sie freute sich auf Alex´ zu erwartendes erstauntes Gesicht, wenn sie mit ihrem mit Brötchen und allen ein opulentes Frühstück erlaubenden Delikatessen gefüllten Korb vor seiner Tür stehen würde.

      Allzu lange würde sie ihn nicht ausschlafen lassen dürfen. Wenn sich in den vergangenen Monaten nichts daran geändert hatte, würde er normalerweise gegen neun Uhr zu arbeiten beginnen, würde somit spätestens kurz nach halb neun das Haus verlassen müssen.

      „Um halb acht muss ich vor seiner Tür stehen“, sagte sie sich. Sie würde sich beeilen müssen, um noch rechtzeitig alles beschaffen zu können, was sie nicht im Haus hatte, um den Frühstückskorb füllen zu können. Es würde wohl nicht ganz einfach werden, da noch kein Supermarkt geöffnet hatte.

      „Über die Brötchen hinaus werde ich manches beim Bäcker bekommen, vielleicht auch in einer Tankstelle“, überlegte sie.

      Alex würde wohl bis spät in die Nacht gearbeitet und erst zur Schlafenszeit die Fotos aus dem Internet beseitigt haben, denn sonst hätte er sicher angerufen. Wahrscheinlich hatte er sie zu wecken befürchtet.

      „Oder hat er es vielleicht versucht, mich aber nicht erreicht? Habe ich es vielleicht überhört? Vielleicht hat er auf den Anrufbeantworter gesprochen.“

      Sie fuhr ihren PC herunter und schaltete ihn und den Monitor aus, erhob sich und ging zum Anrufbeantworter hinüber. Sie musste ihn gestern irgendwann abgestellt haben, denn er war nicht auf Empfang geschaltet.

      „Mist!“, schoss es ihr durch den Kopf, wobei ein verkniffener und Bedauern ausdrückender Gesichtsausdruck ihren Ärger unterstrich. Vielleicht hatte Alex sie erfolglos zu erreichen versucht und vielleicht ebenso ihre Mutter.

      „Ja, vielleicht auch Mutti!“

      Es lag schon rund zwanzig Stunden zurück, dass sie ihre Mutter von ihrem Auto aus gleich im Anschluss an ihren Besuch der Lagerhalle angewählt hatte.

      „Versuch du es später dann bitte nicht auch noch!“, hatte ihre Mutter gebeten, sie abends nicht anzurufen. Und diesen Wunsch hatte sie am frühen gestrigen Abend auch noch einmal wiederholt, als sie sich nach der Rückkehr von ihrer Arbeit gemeldet hatte.

      „Ja, Mutti hat sich zu melden versprochen,