Marcel Kircher

Die Chroniken von Eskandria


Скачать книгу

      „Was wirft mir mein dekadentes Volk zu Füßen“, fragte Baloras übertrieben und seine Frage war eigentlich falsch. Wie alle Seeschnecken hatte er keine Füße oder Flossen, sondern ein rundliches Ende, wie es bei Schnecken üblich ist.

      „Die Meerjungfrau und einen ihrer Schutzgeber“, antwortete die Wache. „Selwyn höchst selbst hat ihn niedergeschlagen, ganz nach Eurem Befehl.“

       Baloras musterte uns. An Tamina klebte sein Blick fast schon zu lange. Zornig schlug sein schleimiger Arm auf die Lehne des Thrones. „Einen schönen Fang hat Selwyn mir gemacht! Das ist nicht Lamons Tochter, sondern eine einfache Menschenfrau.“

      „Ich bin eine Zauberschülerin“, warf Tamina ein, doch fing sie sich einen Schlag der Wache.

      „SELWYN!“, brüllte der Herrscher der Seeschnecken und kurze Zeit später trat der Gerufene selbstsicher ein.

      „Ihr habt nach mir gerufen, mein Fürst“, grüßte Selwyn, „hier bin ich.“

      „Du Lurch hast versagt“, kam Baloras gleich zur Sache. „Und du weißt, wie ich mit Versagern verfahre.“

      „Mein Fürst, ich bitte Euch. Tut das nicht. Es war eine bloße Verw…“

      „Verwechslung?“, höhnte Baloras. „Eine Verwechslung, die man sich in Zeiten wie diesen nicht leisten darf!“

      „Aber mein Fürst. Seid gnädig“, flehte Selwyn und irgendwie empfand ich ein wenig Mitleid für den Befehlshaber des Fürsten.

      „Gnade? Du verlangst nach Gnade?“ Höhnisch blickte Baloras auf seinen Untergebenen und Entschlossenheit loderte in seinen Augen. „Wenn Baloras Gnade walten ließe, wären wir weiterhin die Sklaven dieser Meermenschen. Verabschiede dich von deinem Lebensodem.“

       Neben dem Thron des Fürsten stand ein Wagen mit rotschimmernden Kugeln. Baloras nahm sich die Kugel von Selwyn und wog sie in seiner Hand. „Ihr habt mir als Befehlshaber meiner Streitkräfte gute Dienste geleistet, Selwyn, doch so viel Schludrigkeit kann ich nicht durchgehen.“

       Selwyn wollte noch etwas entgegnen, doch in diesem Moment zerschlug Baloras die Kugel mit seinem Schwert. Roter Staub fiel zu Boden. Aus Selwyns Mund kam nur noch ein hilfloses Gurgeln, dann brach der Seeschneck tot zusammen. Zwei Bedienstete des Fürsten kamen herbeigeeilt, um die Überreste des Befehlshabers aus dem Saal zu bringen. Sein kühler und gehässiger Blick war nun wieder uns zugewandt.

      „Was euch Beide angeht. Für mich seid ihr nutzlos. Also werdet ihr entsorgt. Stellas! Borgword! Ertränkt sie am Wasserloch!“

      „Darf ich Euch eine Frage stellen?“, rief ich dem Fürsten zu. „Wie ist es möglich, dass wir unter Wasser atmen können?“

      „Unsere Gebäude werden von Sauerstoffblasen umschlossen, mein neugieriger Gefangener“, entgegnete Baloras. „Und jetzt ertränkt sie!“

       Die beiden Wachen packten uns grob und führten uns zurück in unsere Zelle.

      „Hier wartet ihr, bis wir das Wasserloch vorbereitet haben“, tönten sie und verschlossen die Tür unserer Zelle.

      „Was sollen wir nur tun?“, fragte Tamina.

      „Auf ein trockenes Wasserloch hoffen oder darauf, dass Balon und Rodge uns irgendwie retten“, antwortete ich, doch schwand auch in mir die Hoffnung.

      „VERFLUCHTER MIST!“ Balon schlug mit der Faust auf das Holz. „Nicht nur, dass sie das Schiff zum Kentern gebracht haben! Sie haben auch noch Marcel und Tamina entführt.“

      „Und die Meerjungfrau hiergelassen“, spottete Rodge. „Sie ist vollkommen nutzlos für unser Vorhaben. Wie wollen wir unsere Freunde retten können? Wir sind keine Wassermenschen.“

      „Ich werde das schon schaffen und wenn ich zehn Stunden die Luft anhalten muss“, entgegnete Balon.

      „Das schaffst du nie.“ Lavinia, die bisher schweigend der Diskussion gelauscht hatte, meldete sich zu Wort. „Aber ich kann euch sicher runterbringen und eure Freunde retten.“

      „Und wie willst du das anstellen? Ohne dich wären wir jetzt nicht in diesem Schlamassel.“ Rodge war stinksauer.

      „Ich gebe zu, dass ich an eurer Lage nicht ganz unschuldig bin und ich wäre lieber an Marcels und Taminas Stelle Gefangene der Seeschrecken, aber das kann ich nicht ändern, Rodge.“ Mitleid schwang in Lavinias Stimme. Sie wusste genau, wie sie Rodge auf ihre Seite bringen konnte. „Zunächst einmal, muss ich mich von diesem Fummel befreien.“

       Mit einem kräftigen Ruck, dem man dieser zarten Meerjungfrau gar nicht zugetraut hätte, riss sie das Kleid von ihrem Körper und sprang ins Wasser. Kaum berührte das Nass ihren nackten Körper, wuchs ihr eine Schwanzflosse und ein Büstenhalter aus Muscheln bedeckte ihre Brüste. „Springt rein“, rief sie. „Es sei denn ihr wollt eure Freunde doch nicht retten.“

       Ohne weiter nachzudenken sprang Balon ins Wasser. Rodge folgte ihm nach kurzem Zögern.

      „Und weiter?“, schrie Balon, um gegen den Lärm der Wogen, die an das Schiff schlugen anzukämpfen.

      „Balon und Rodge, ihr erhaltet diese Luftblasen, um eure Freunde retten zu können.“ Lavinia tauchte bis zur Nasenspitze ins Wasser, stieg wieder auf, formte ihre Hände kreisförmig und blies zweimal. Zwei Luftblasen erschienen, die sich um die Köpfe von Balon und Rodge schlossen. Dann tauchte die Meerjungfrau ab und die beiden Smorland-Krieger folgten ihr.

      „Soso, dann wollen wir mal euch ins Wasserloch tauchen“, tönte die Stimme von Stellas oder Borgword. Taminas und mein Ende war gekommen.

      „Gibt es irgendwie einen Anti-Ertrinkungszauber, den du parat hast“, flüsterte ich Tamina zu.

      „Das ist höchst fortgeschrittene Magie. Nichts für eine Zauberschülerin, wie mich“, war ihre Antwort und ihre Stimme war enttäuscht.

      „Nicht schlimm“, meinte ich und versuchte optimistisch zu klingen. „Lass uns erhobenen Hauptes, dem uns erdachten Schicksal entgegentreten.“

       Die Tür flog auf und die beiden Wachen traten ein. Grob packten sie uns am Arm, nahmen uns in die Mitte und schleppten uns über den Korridor.

      „Nicht so schnell.“ Eine mir bekannte Stimme erklang und ehe ich reagieren konnte, lagen die beiden Wachen bewusstlos am Boden und im nächsten Augenblick steckten zwei Schwerter in ihrem Hinterkopf.

      „Habt ihr gedacht, wir würden euch im Stich lassen?“

      „Balon“, jubilierte ich, während Rodge uns die Fesseln befreite. „Wir danken euch beiden.“

      „Wir hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben“, schluchzte Tamina erleichtert. „Dankeschön.“

      „Bedankt euch bei Lavinia. Ohne ihre Hilfe wären wir niemals hier heruntergekommen“, antwortete Rodge. Aus dem Hintergrund winkte uns die Meerjungfrau zu.

      „Lasst uns aufbrechen“, befahl Balon. „Je früher, wir diesen Schreckensort zurücklassen, umso besser.“

      „Warte.“ Ich trat an Balons Seite und flüsterte ihm meine Idee ins Ohr.

      „Wenn du meinst Marcel. Dann los. Auf in den Thronsaal.“

       Tamina und ich führten