Marcel Kircher

Die Chroniken von Eskandria


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mit euren Kriegern an meiner Seite, können wir die Seeschn …“

       Weiter kam sie nicht. Die Tür zu Balons Kabine wurde aufgerissen und Rodge kam hereingestürmt.

      „Balon. Komm schnell an Deck. Die Seeschnecken greif…“ Er unterbrach sich, als er Lavinia und seinen Heeresführer in relativ eindeutiger Lage sah. „In Ordnung. Ich geh wieder raus und frag die Seeschnecken, ob sie später angreifen.“

      „Spar dir deinen Sarkasmus. Ich stehe dir zur Seite.“ Balon stieß Lavinia zur Seite, zog sich etwas an und schnallte sich seinen Gürtel mit dem Schwert um seine Hüfte. „Gehen wir!“

      „So will ich dich hören“, erwiderte Rodge ernst.

      „Und was ist jetzt mit mir?“, fragte Lavinia.

      „Ich schließe dich hier ein, dass die Seeschnecken nicht sofort auf dich aufmerksam werden. Verhalte dich leise“, knurrte Balon. Er schloss die Tür und drehte den Schlüssel ins Schloss.

       Auf dem Deck waren die Soldaten bereits in Alarmbereitschaft. Aus der Umgebung war Gekicher zu hören, wie ein kleines Kind, das gerade seinen Schabernack getrieben hatte. Auch ich hatte mich mit Tamina an Deck begeben und hatte mein Schwert gezückt.

      „Bleib ja in meiner Nähe“, flüsterte ich der Zauberschülerin zu. „Eine Seeschnecke könnte schon zu viel für dich sein.“

       Sie nickte.

      „Sind wir schon zu spät?“, fragte Balon außer Atem.

      „Nein. Sie scheinen uns zu belauern.“

       Balon und Rodge stellten sich vor uns und machten sich bereit. Das Gekicher wurde lauter. Mehrstimmiger. Wir blickten in die Dunkelheit. Plötzlich platschte es. Fünf Gestalten sprangen aus dem schwarzen Wasser.

      „Ein hübsches Schiff habt ihr da, Fremde“, sagte einer der Seeschnecken. „Ein bisschen angeschlagen, aber noch seetauglich.“ Das noch betonte der Seeschneck besonders.

      „Und ihr wollt uns garantiert auf dem Grund des Meeres versenken“, entgegnete Balon kühl.

      „Bitte. Welch schrecklicher Verdacht, Ihr gegen uns hegt. Wir wollen nur eines und dann lassen wir Euch und Euer Schiff seiner Wege ziehen.“

      „Was soll das sein?“

       Im Licht des Mondes konnte ich ein Grinsen auf den Lippen des Seeschnecks erhaschen.

      „Die Meerjungfrau“, zischte er. „Gebt sie uns und ihr seid uns los.“

      „Wie kommt ihr darauf, dass wir sie euch ganz einfach so überlassen?“, fragte Balon und er klang selbstbewusst.

      „Weil ihr ziemlich aufgeschmissen seid ohne Schiff. Ihr seid keine Meeresbewohner, wie wir.“ Der Seeschneck kniff die Augen zusammen. „Ihr habt bis zum morgigen Sonnenuntergang Zeit. Wenn die Meerjungfrau bis dahin nicht in ihrem Territorium ist, machen wir euer verbliebenes Schiff zu Kleinholz. Ihr habt die Wahl über euer Schicksal.“

       Mit diesen Worten, wandte er sich mit seinen Begleitern ab und sie sprangen mit einem lauten Platsch ins Wasser.

      „Damit ist die Entscheidung gefallen. Ich hole Lavinia und dann schicken wir sie über die Planke.“ Ich spürte die Entschlossenheit in Rodges Worten und war erschrocken, wie egoistisch er sein konnte.

      „Wie kannst du nur so ein Arsch sein, Rodge?“, entfuhr es mir. „Von einem Krieger des Königs hätte ich mehr erwartet, als eine hilflose Meerjungfrau zu opfern.“

      „Es geht mir um das Leben meiner Kameraden und vor allen Dingen darum dich heil nach Tyrrell zu bringen“, entgegnete Balons Adjutant. „Aber dir scheint das mit deiner Gutmütigkeit egal zu sein, wenn dafür unsere Truppen sinnloserweise umkommen.“

       Rodge ließ mich stehen und zischte davon.

      „Rodge ist kein schlechter Kerl“, versuchte Balon die Situation zu entspannen. „Ihm geht es wirklich um das Leben unserer Truppen und um dein Leben. Wir werden Lavinia nicht ihrem Schicksal überlassen. Wir werden die Seeschnecken gebührend empfangen.“ Er wandte sich an Tamina. „Wir brauchen dein ganzes Repertoire an Schutzzaubern. Enttäusche uns nicht.“

      „Kann denn nicht Velrotach ihr helfen?“, fragte ich.

      „Er kränkelt noch immer. Ihm bekommt die Seefahrt überhaupt nicht“, antwortete Tamina für Balon. „Ich werde sehen, was ich machen kann.“

       Den Rest der Nacht und des mit Anbruch des Tages tüftelten wir einen Schlachtplan aus. Sämtliche Kräfte wurden auf Wachposten gestellt. Tamina beschäftigte sich mit dem Schutzzauber, versuchte dabei sogar Informationen von Magier Velrotach zu bekommen, doch der alte Magier war zu schwach, um ihr nützliche Hinweise geben zu können. Hochkonzentriert saß sie über verschiedenen Zauberbüchern und studierte diese.

      „Der Schutzzauber, den du beim Angriff der Drachen verwendet hast war doch gut“, meinte ich aufmunternd. „Warum wendest du diesen nicht erneut an?“

       Tamina blickte kurz hoch. „Das funktioniert nur bei Drachenfeuer und auch da nur bedingt. Für diese Seeschnecken brauche ich etwas Anderes. Etwas was das Schiff rundum schützt. Wahrscheinlich gegen Stich- und Sägewerkzeuge.“

      „Verstehe. Ich helfe dir“, bot ich Tamina an.

       Sie wollte etwas einwenden, doch ich schüttelte den Kopf. „So kompliziert kann das doch gar nicht sein.“

       Ich schnappte mir ein Buch in schwarzem Einband und öffnete es. Wie ich mich doch irrte. Kompliziert war gar kein Ausdruck für die Zeichen und Schriften in diesem Buch. Stirnrunzelnd konzentrierte ich mich auf den Inhalt.

      „Doch schwieriger als gedacht?“, fragte Tamina und das Grinsen der blonden Zauberschülerin hatte etwas Rechthaberisches.

      „Nun ja, das sind sehr komplizierte Zeichen und Schriften, die da drinstehen. Völlig anders, wie in meiner Welt“, entgegnete ich.

       Tamina hielt mir ein Pergament mit einer Feder hin. „Schreib mal, wie es in deiner Welt der Fall ist.“

       Ich schrieb Groß- und Kleinbuchstaben und unsere Zahlen und reichte sie Tamina. Die Zauberschülerin legte die Stirn in Falten, kramte im Bücherstapel und reichte mir ein in braunem Filz eingeschlagenes Buch.

      „Versuch das hier mal“, lautete der Kommentar und da war ihr blonder Schopf in ihren Büchern wieder verschwunden.

       Ich betrachtete das Buch. Es wirkte relativ alt und brüchig. Vorsichtig öffnete ich es. Die Schriftzeichen ähnelten den Buchstaben aus meiner Welt. „Eure Schrift hat sich enorm weiter entwickelt im Laufe der Jahre?“

      „Jahrtausende. Das Buch ist etwa 2.000 Jahre alt“, lautete die knappe Antwort.

       Erstaunt blätterte ich mich vorsichtig durch die Seiten, verglich es mit seinem Vorgänger und war einfach fasziniert. In 2.000 Jahren hatten die Menschen hier Schriftzeichen entwickelt, die denen in meiner Welt um Längen voraus war. Ich würde in jedem Fall Tamina bitten, mir ein bisschen Nachhilfe im Übersetzen zu geben.

      „Bei den Göttern, es muss doch irgendwo …“, fluchte die Zauberschülerin über ihren Büchern und riss mich aus meiner Konzentration.