Marcel Kircher

Die Chroniken von Eskandria


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Wir betraten den Speisesaal, wo Tamina uns Kekse auftat. Dankend nahm ich das Angebot der frischen Kuhmilch an, während Balon sich ein Bier bestellte. Hungrig stürzte ich mich auf das Gebäck, während der Smorland-Krieger mich beobachtete.

      „Unfassbar. Nicht mal Rodge ist so ein Vielfraß, wie du“, meinte er lachend.

       Verlegen wischte ich mir ein paar Krümel von den Mundwinkeln. „Nun ja, das Leben hier raubt einem mehr Energie, wie mir lieb ist.“

      „Du sprichst sehr merkwürdig. Energie und Indschör. Woher stammt das alles?“

      „Wie Folrik, ja schon dir sicher erzählt hat, komme ich von sehr weit her.“ Ich suchte nach einfachen Worten, um dem Krieger zu erklären, wo ich herkam. „Meine Welt ist komplett anders, als die eure. Wir haben Strom, heizen mit Gas und Öl. Anstatt auf Pferden zu reiten, nutzen wir Fahrzeuge. Es gibt so vieles, was uns unterscheidet.“

      „Ich bin sehr wissbegierig alles zu hören, was unsere Welten unterscheidet“, antwortete Balon und ich erkannte Neugierde in seinem Blick.

      „Folrik erzählte etwas, dass ich der Prophezeite bin. Kannst du mir den Wortlaut der Prophezeiung wiedergeben?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln. „Folrik hat sie nur grob zusammengefasst, doch würde ich gerne den genauen Wortlaut meines Schicksals kennen.“

       Balon dachte einen Augenblick nach und ich meinte einen Moment der Unsicherheit im Blick des sonst so selbstsicheren Recken zu bemerken. Schließlich antwortete er.

      „Die Prophezeiung lautet: Es wird die Zeit kommen, da dieser Jüngling unser aller Leben rettet. Aus dem Nichts in unsere Welt geschlüpft, mit Mut, Verstand und Güte wird er den Drachen entgegentreten, ihnen ins Antlitz blicken und eine neue, starke Allianz schmieden. Ein Bündnis, mit dessen Hilfe der übermächtige Feind besiegt werden kann. Eine Freundschaft, die viele tausend Jahre währen soll und ein friedliches Miteinander zwischen Mensch und Drache ermöglicht.“

      „Und wann soll dieses Entgegentreten stattfinden?“, wollte ich wissen.

      „Das entscheidet der Rat der Drachen. Das sogenannte Triumvirat. Niemand von uns ist diesem Rat gegenübergestanden. Ich kann dir da auch nicht weiterhelfen“, erhielt ich von Balon als Antwort. „Die Sonne geht bald unter. Bist du bereit für eine weitere Übungseinheit?“

       Ich nickte stumm. Hatte ein flaues Gefühl im Magen. Irgendetwas an Balons Antwort stimmte mich skeptisch, doch ich entschloss mich mir nichts anmerken zu lassen. Schließlich war ich auf Balon und seine Genossen angewiesen, um zu Tumar zu gelangen, der ein ähnliches Amulett wie das Meine besaß.

       Auf dem Weg zum Übungsplatz entschloss ich mich Balon auf die Probe zu stellen. „Wie gelangen wir zum Magier Tumar?“, fragte ich unvermittelt.

      „Tumar lebt in der Hauptstadt Eskandrias. Tyrrell ist eine faszinierende Stadt, sehr lebhaft und riesig“, berichtete Balon und fügte im Nachsatz an. „Aber auch sehr gefährlich. Deswegen kann es auch nicht schaden, wenn du ein bisschen Nachhilfe im Kampf bekommst. Rodge und ich können nicht immer in deiner Nähe sein.“

      „Und wie erreichen wir Eskandria?“

      „Über den Seeweg. Übermorgen legt unsere Flotte ab. Der König stellt uns vier große Schiffe zur Verfügung“, antwortete Balon. „Dann werden wir etwa vier Wochen unterwegs sein über das Meer der Morgenröte, ehe wir dann im Osten des Eskandrias die Hauptstadt Tyrrell erreichen.“

      „Vier Wochen?“ Ich war entsetzt über diese Antwort. „Wie groß ist Eskandria eigentlich?“

      „Es ist riesig. Wenn du willst, kann ich dir nachher ein wenig von Smorland zeigen.“ Balon blickte mich mit seinen graugrünen Augen freundlich an. „Dann zeig mal was du kannst.“

       Vor einer hölzernen Übungspuppe, die mit strohgefüllten Säcken verziert war, blieben wir stehen und Balon reichte mir das Übungsschwert. Vorsichtig griff ich an und merkte schon bei den ersten Schlägen, dass die Puppe mittels Sprungfedern auf meine Angriffe Kontra gab. Ich spürte, wie mich Balons Blicke fixierten und jede meiner Bewegungen genau verfolgten. Schließlich schlug ich mit einem lauten Schrei dem Trainingsgerät den Kopf ab und mit einem zweiten Hieb folgte dessen Schwertarm. Die Puppe pendelte aus und schwer atmend stand ich dem Gerät gegenüber. Balon näherte sich mir und legte mir die Hand auf meine Schulter.

      „Das hast du gut gemacht. Trotz Drucks des Gegners nicht nachgegeben und stets konzentriert geblieben“, lobte der Heeresführer und er führte mich in die Stallungen.

      „Was ist mit den Überresten der Puppe?“, fragte ich.

      „Das erledigt Folriks Personal“, antwortete er knapp. „Ich denke mal dieser Fuchs passt ganz gut zu deinen Körpermaßen.“

       Balon holte aus einer der Boxen ein schönes rotbraunes Pferd und sattelte es. Dann ging er in eine andere Box und holte seinen schwarzen Rappen heraus. Es war ein nahezu majestätischer Anblick. Das Fell und die Mähne glänzten als Balon mit seinem Tier ins Licht trat.

      „Lass uns aufbrechen“, meinte er. „Ich möchte schließlich vor Einbruch der Nacht wieder zurück sein.“

       Ich nahm auf dem Sattel meines Fuchses Platz und wir ritten in Richtung Nordwesten. Über wunderbare grüne Hügel, die mit Nadelhölzern bewachsen waren, erreichten wir eine Anhöhe mit einer großen Lichtung und einem wunderbaren Ausblick. Balon stoppte seinen Rappen und auch ich brachte meinen Fuchs zum Stehen. An einer Kiefer banden wir die Zügel unserer Pferde.

      „Hier hast du eine tolle Aussicht. Wenn du weiter in Richtung Süden schaust, erkennst du das Meer der Morgenröte. Und etwas östlich siehst du am Horizont die Weiten des Meeres“, erklärte mir Balon.

       Ich folgte seinen Erklärungen. Das Meer wirkte in der Tat schier unendlich. Der Grund für den langen Seeweg war gefunden. Ich ließ noch ein wenig meinen Blick über das Gelände schweifen und versank in meinen Gedanken, als Balons lauter Ruf mich herausriss.

      „SCHNELL INS UNTERHOLZ!“, brüllte er und zog mich mit seiner Hand mit.

       Stolpernd flüchtete ich mich mit Balon in den Wald, als ich den Grund für unsere Flucht bemerkte. Lange Schwingen und ein riesiger Körper nahmen unseren Platz auf dem Ausguck ein. Ein langer Hals bewegte sich in unsere Richtung. Balon kroch noch tiefer ins Unterholz, während ich zu fasziniert von diesem majestätischen Anblick war. Am Ende des Halses befand sich ein riesiger violett und schwarz geschuppter Kopf und ein Maul, das von feinen goldenen Spitzen umzogen war. Ein großes rotglühendes Auge mit einer schwarzen fast schlitzartigen Pupille blickte mich an. Ich versuchte nicht zu blinzeln und dem Blick Stand zu halten. Der Kopf näherte sich zu mir, das Maul mit den wahrscheinlich schwertgroßen scharfen Zähnen jedoch geschlossen. Unschlüssig streckte ich dem Tier meine Hand entgegen und streichelte an seinen Nüstern entlang. Kleine schwarze Rauchwolken stiegen empor und ich fürchtete das Schlimmste. Ehe Balon oder ich weiter reagieren konnten, zog das majestätische Tier seinen Kopf zurück, erhob sich vom Boden und stieg mit kräftigen Schlägen seiner Flügel in den Himmel auf. Die Flügelschläge waren so stark, dass sie den Smorland-Krieger und mich beinahe von unserem Platz wehten. Ich kniff die Augen zusammen, um keinen Dreck hineinzubekommen. Als der Wind abgeklungen war, wagten Balon und ich uns langsam aus unserem Versteck und gingen zu unseren Pferden.

      „Das war sehr leichtsinnig und gefährlich“, schimpfte der Smorland-Krieger. „Was hättest du gemacht, wenn dieses Untier dich attackiert hätte?“

      „Ich kenne mich ein wenig mit Tieren aus. Dieses „Untier“, wie du es nennst war überhaupt nicht im Angriffsmodus.“