Selena Mayfire

Yuri


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vorübergehend bei sich auf." Er nahm einen Schluck von seinem Glas Wasser. "Ihr könntet auch gut jemanden brauchen, der euch ein wenig unterstützt." Wie auf Stichwort trat plötzlich Erwin ein. "Ich habe die Ehre, euch zu begleiten", sagte er zu Yuri und mir. Mein Vater nickte zustimmend: "Ihr braucht jemanden, der euch Rückendeckung gibt." - "Wieso gehst du nicht mit uns, Vater?", fragte ich enttäuscht. "Weil mein Gesicht viel zu bekannt ist", antwortete Balthaszar, "die würden mich sofort erkennen und einsperren und dich und den Wolfsjungen mit dazu." Ich nickte knapp und ließ mir nicht anmerken, dass es mich traurig machte, meinen Vater wieder verlassen zu müssen, nachdem ich ihn nach fünf langen Jahren endlich wieder gesehen hatte. "Wir sollten uns jetzt aufmachen", verkündete ich. Mein Vater schloss mich in die Arme. "Pass gut auf dich auf, mein Sohn", sagte er mit zittriger Stimme, "wenn dieser Krieg vorbei ist, werden wir wieder richtig vereint sein." Ich wollte den Abschied schnell hinter mich bringen, denn ich war kein Mann der großen Worte. Schweigend verließen Yuri, Erwin und ich das Zimmer.

      "Alle setzen ihre ganze Hoffnung in mich, nicht wahr?", fragte Yuri kleinlaut, als wir den Gang entlang wanderten, den Erwin mit einer heraufbeschworenen Lichtkugel ausleuchtete. "Nun ja", sagte ich, "du bist ja auch der Auserwählte, von dem die Legende erzählt." - "Wer kann garantieren, dass diese Legende überhaupt wahr ist?", wollte Yuri wissen. "Um ehrlich zu sein niemand", sagte Erwin, "aber Nagi Tanka ist seit eh und je der vertrauenswürdigste und mächtigste Schamane der Lequoiawälder. Auch König Gaidemar hat sich in früheren Zeiten oft Rat von ihm eingeholt. Niemand würde Nagi Tankas Prophezeiungen bezweifeln. Es ist, wie es ist, Yuri - du wurdest von den Göttern gesandt, um die Schneekönigin zu bezwingen." - "Mh", sagte Yuri. Er hatte die Stirn in dicke Kummerfalten gelegt. "Das bedeutet also, es kommt einzig und allein auf mich an, ob und wann dieser Krieg endet?" Erwin und ich tauschten die Blicke aus. "Grob gesagt ja", meinte ich schließlich. Da blieb Yuri abrupt stehen. "Was ist los?", fragten Erwin und ich wie aus einem Munde. "Pauline", sagte Yuri leise, "ich meine, wir können doch nicht einfach verschwinden, ohne uns von ihr und Kimama richtig zu verabschieden…?" - "Lange Abschiede strapazieren bloß deine Nerven. Kurz und schmerzlos ist’s besser, glaub mir das", erwiderte ich knapp. "Aber Mendrick, ich wollte mich noch bedanken für alles, was sie für mich getan haben… ich meine, falls etwas passiert… also, nicht irgendetwas, sondern... falls jemand von uns..." - "Lass sie einfach schlafen! Außerdem wissen sie, dass du ihnen dankbar bist. Mach dir nicht solche Gedanken darüber." - "Aber, Mendrick, beschäftigt dich denn das überhaupt nicht? Ich meine, wenn ihnen etwas zustößt? Oder was, wenn wir nicht zurückkommen? Nie wieder?" Ich starrte ihn an. Dann schob ich die aufkeimenden dunklen Gedanken rasch und sorgfältig wieder beiseite und sagte unwirsch: "Es wäre klüger, wenn du nicht so viel darüber nachdenkst, was wäre, wenn… das kostet nur Zeit und Energie." - "Moment!", zischte Erwin plötzlich und zog den Zauberstab aus seiner Brusttasche. "Was ist?", raunte ich ihm zu. "Da ist jemand", flüsterte Erwin. Unsere Lichtkugel spendete nicht genügend Helligkeit, um etwas in der Ferne richtig erkennen zu können. Jetzt nahm ich auch meinen Zauberstab zur Hand und positionierte mich schützend vor Yuri. Da hörte ich Schritte und sah jemanden an uns vorbeihuschen. Augenblicklich feuerte ich einen Schockzauber zum Angriff ab, verfehlte aber und die Gestalt prallte vor Schreck gegen die Kisten voll mit Zauberutensilien. "Das ist wieder einmal typisch Mendrick", hörten wir eine Mädchenstimme fluchen, die zweifellos Paulines war, "einfach einem jeden einen Zauber entgegen schleudern, ohne vorher sicher zu gehen, ob der vermeintliche Feind auch tatsächlich ein Feind ist!" - "Man kann nie vorsichtig genug sein", rechtfertigte ich mich, während Erwin und ich die Zauberstäbe sinken ließen. Pauline raffte sich auf und trat aus dem Schatten hervor ins Licht unserer Zauberkugel. "Was machst du überhaupt hier?", fragte ich sie. "Wonach sieht es denn aus?", antwortete sie schnippisch. "Ich komme mit euch. Das habe ich euch doch gesagt." - "Ich bin froh, dich zu sehen", bemerkte Yuri. Pauline hörte ihn nicht. "Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mitkomme, oder, Mendrick?", fragte sie mich schneidend. Ich lachte auf. "Nein, ich hatte noch nie etwas dagegen. Ich weiß nicht, wieso du so wütend auf mich bist." - "Ich bin nicht wütend", sagte Pauline wütend. "Was ist mit deiner Großmutter?", wollte Erwin wissen. "Ich habe ihr einen Brief hinterlassen und sie um Verständnis und Verzeihung gebeten", erwiderte Pauline und knöpfte sich den Hirschfellmantel zu. "Du wirst ihr das Herz brechen", sagte ich. Pauline presste die Lippen aufeinander und schwieg. "Lasst uns gehen", sagte Erwin schließlich und drängte uns weiter. Und so verließen wir meinen Vater und das Versteck des Orden der Akandos viel zu schnell wieder.

      Es dämmerte, als wir das Zentrum Abeytus erreicht hatten.

      Hier war mehr los als zuvor in den Gassen. Es waren schon etliche Leute unterwegs, darunter Zauberer, Hexen, Alchemisten und auch ein paar Straßenkünstler. "Wohin gehen die?", fragte Yuri, als er eine Gruppe Jugendlicher in grünfarbener Uniform vorbeiziehen sah, angeführt von einem vollbärtigen Mann mit Zauberhut. "Die gehören nach Zeldar. Das ist die öffentliche Elite-Zauberschule", antwortete Erwin, der die Kapuze seines Umhangs tief in die Stirn gezogen hatte, "dort lernen die Kinder, mit Magie umzugehen." - "Allerdings verfolgen Zeldarianer die Standard-Zauberlehre, die auf Zaubersprüchen, Muskelkraft und vor allem Aggression aufgebaut ist", fügte ich hinzu, "im Gegensatz zur Gandulf'schen Zauberkunst, die mentales Training und innere Ausgeglichenheit voraussetzt, um Magie einsetzen zu können." - "Besonders ausgeglichen bist du allerdings meistens nicht", meldete sich Pauline mit einem frechen Unterton. "Jetzt ist es aber genug", fuhr ich sie an, "hörst du endlich damit auf, mich schlecht zu machen? Es tut mir Leid, dass ich deine Gefühle wegen Tristan verletzt habe! Ich meinte es ja nicht böse. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du gleich so ausrastest." Paulines Lippen kräuselten sich, sie sagte aber nichts mehr. "Wer ist Tristan?", fragte Erwin. "Paulines Liebhaber? Dein Konkurrent?" Ich schnitt eine Grimasse. "Liebhaber? Konkurrent? Nein, zum Henker, weder noch, Tristan ist Paulines Vater! Wieso denkt eigentlich ständig jemand, dass zwischen mir und Pauline irgendetwas wäre?" - "Ich weiß nicht", erwiderte Erwin gleichgültig, "es war einfach eine Annahme." - "Eine dumme", murmelte Yuri. "In der Tat", stimmte ich ihm zu, und er schien überrascht, gar peinlich berührt, dass ich ihn gehört hatte. "Um zum Thema zurückzukommen", ging Pauline dazwischen, "was ist eigentlich unser Plan? Falls wir überhaupt einen haben..." - "Es ist vielleicht nicht der beste Plan, aber der momentan einzige", antwortete Erwin, "wir werden übers Albenreich in die Lequoiawälder vordringen und Wolfskrieger suchen, die uns mehr über Yuris Kräfte erzählen könnten. Aber wir sollten hier in Abeytu nicht zu laut darüber sprechen." - "Es gibt wieder Wolfskrieger in den Lequoiawäldern? Ich dachte, die Schneekönigin hat alle umgebracht." - "Vereinzelt sind wieder welche aufgetaucht und auf ständiger Flucht vor der Kalten Hexe. Es muss einigen damals gelungen sein, sich versteckt zu halten." - "Bemerkenswert! Wie lange dauert es, bis wir das Ende der Stadt erreicht haben?" - "Sicher noch einige Stunden. Abeytu ist eine relativ große Stadt." - "He, was ist da drüben los?", sagte Yuri plötzlich und wir wandten unsere Köpfe und sahen, wie zwei halbwüchsige Zauberlehrlinge einen alten, gebrechlichen Mann mit einigen Lausbubenzaubertricks zum Narren hielten. Sie entwendeten ihm seinen Hut mit einem banalen, nicht besonders geschickt ausgefeilten Schwebezauber, um ihn ihm im nächsten Augenblick wieder aufs Haupt zu werfen. Dies wiederholten sie einige Male und fanden ziemlich viel Spaß daran. Der alte Mann hingegen schien es nicht besonders lustig zu finden. Er fluchte und schimpfte und bat um Rücksicht, aber sie ließen ihn nicht zufrieden. Ich ging zu ihnen hinüber und sagte: "Habt ihr nichts besseres zu tun, als einen armen, alten Herren zu ärgern?" - "Wir setzen bloß das, was wir in der Zauberschule gelernt haben, in die Praxis um", lachte einer von ihnen, der ziemlich große und schiefe Vorderzähne hatte, während der andere mit roter Stoppelfrisur, der etwas älter zu sein schien, nun mir den Hut des alten Mannes entgegenschleuderte. "Faszinierend", sagte ich betont locker während ich meinen Zauberstab aus der Mantelinnentasche zog und den Hut mit einer kurzen Handbewegung verschwinden ließ, "wie viel ihr in Zeldar schon gelernt habt." - "Der hat den Hut in Luft auflösen lassen!", staunte der Ältere der beiden. "Einfacher Verschwindezauber", erklärte ich und schnalzte mit der Zunge, "nicht schlecht, was? Aber jetzt macht euch davon, bevor ich auch noch euch verschwinden lasse!" Die Halbwüchsigen lachten unbeeindruckt, gingen aber ihres Weges. "Ich würde meinen Hut trotzdem gerne wiederhaben", meldete sich der alte Mann und zog die grauen Augenbrauen hoch. "Natürlich, mein Herr", sagte ich, vollführte die drei Kreisbewegungen des verkehrten Verschwindezaubers und einen Moment später tauchte der Hut in meiner anderen, meiner linken, Hand wieder auf. Ich