Selena Mayfire

Yuri


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In keinem Buch habe ich je über ein solches Monstrum gelesen." - "Was machen wir denn jetzt mit ihm?", fragte ich und bekam allmählich Mitleid mit dem Ding. "Keine Ahnung", sagte Mendrick, hob die Arme und fuchtelte damit vor der Schnauze des Wesens herum, "na los, verschwinde, kusch, kusch! Mach, dass du davon kommst! Wir können dir nicht helfen. Geh und beehre jemand anders mit deiner... Hitzigkeit." Das Wesen maulte beleidigt und blieb, wo es war. Mendrick warf einen Stein nach ihm, der aber durch den Körper des Untiers hindurchzischte wie vorhin der Zauber. Das Wesen schien zornig zu werden. Drohend blähte es die Nüstern auf und schnaubte ungeduldig. "Mendrick, lass es lieber in Ruhe", drängte ich. "Pauline hat Recht", stimmte Erwin zu, "provoziere das Untier nicht." Mendrick aber wollte nicht hören und machte weiterhin große, ausladende Bewegungen. "Mach dich fort, Feuerball! Na los!", kommandierte er. Da bäumte sich das Flammenwesen plötzlich ruckartig auf. Feuerfunken sprühten in die Höhe und ein lautes Brüllen, ähnlich dem eines Raubtieres, hallte durch den Wald. Ich hielt mir schützend die Hände vors Gesicht, damit mich keine Glut erwischte. "Mendrick", rief Erwin, "geh weg da!" Aber Mendrick war ausgerutscht. Er lag nun auf dem Rücken am Waldboden und starrte angespannt zu der feurig flammenden Trollgestalt über ihm hinauf, das immer noch ein wütendes Grollen von sich gab. Erwin griff nach seinem Zauberstab. "Nein!", rief Yuri dazwischen und hielt ihn zurück, "Du machst es sonst womöglich noch zorniger!" Ich hatte nicht den Eindruck, dass das Feuerwesen Mendrick wirklich angreifen würde; nein, es drohte nur. Mendrick schien das genau wie ich zu sehen, denn er stand langsam auf und beschwichtigte das Geschöpf: "Alles gut, du Flammenvieh, ja? Wenn wir dir unbedingt helfen sollen, dann sag uns, wie, und wir werden es versuchen." Das Wesen blickte ihn nur traurig an. "Es kann es uns nicht sagen", meldete sich Yuri. "Aber wieso denn nicht?", fragte ich. "Vielleicht lastet ein Fluch auf ihm", überlegte Yuri. "Wer oder was ist das Ding eigentlich genau?", rätselte Erwin, der unrasiert immer noch nicht richtig wie er selbst aussah. "Ein Feuerputz", sagte eine dunkle Stimme. Das Feuerwesen erschrak ebenso wie wir und flüchtete hinter die Baumstämme. Fast zeitgleich hatten wir uns umgewandt. Da stand ein Alb, direkt vor uns. Er war sehr groß und ungewöhnlich zierlich, hatte fast die Statur einer Frau. Seine glasklaren, blitzblauen Augen waren von einer Reihe pechschwarzer, langer Wimpern umrandet. Seine weich geschwungenen Lippen glänzten silbern, sein Haar war schwarz und seine aalglatte Haut so weiß wie der Schnee. Er trug einen langen, seidenen, dunklen Kapuzenumhang, dessen Saum in blassem Silberschein glänzte, und hatte die Kapuze ganz leicht in die zarte, nicht allzu hohe Stirn gezogen. Er war das mit Abstand schönste und schaurigste Feenwesen, das ich je gesehen hatte. Sein Alter war auf Grund seines femininen, knochigen Gesichtes schwer zu schätzen. Er wirkte kaum älter als Mendrick, könnte aber genauso gut um die vierzig sein, da sein majestätisches Auftreten und seine Art zu sprechen doch eher ungewöhnlich für einen Burschen wie Mendrick wären. "Wer bist du?", fragte Mendrick schneidend. Der Alb veränderte seine korrekte Miene nicht. "Die Frage sollte lauten: Wer seid ihr? Wie Alben seht ihr jedenfalls nicht aus. Was also führt euch in unser Land?" Yuri trat einen Schritt vor, verneigte sich kurz und sagte: "Verzeiht das Misstrauen meines Freundes. Es ist mir eine Ehre, in der Gegenwart eines Wesens wie Euch zu sein." - "Spinnst du, Yuri?", entfuhr es Mendrick. Ich stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. "Du scheinst mit der Albenkultur vertraut zu sein?", fragte der Alb. "Nun, nicht gänzlich", antwortete Yuri, "aber ich erinnere mich daran, dass mir oft Gutenachtgeschichten über die Reinheit und Vollkommenheit des friedvollen Albenvolkes erzählt wurden." - "Woher kommst du, junger Freund?", erwiderte der Alb mit sanfter, interessierter Stimme. "Aus den Lequoiawäldern", sagte Yuri, "ich war lange Zeit fort und bin jetzt wieder auf dem Weg dahin." - "Du bist der Wolfskrieger", erwiderte der Alb prompt, "der Auserwählte, dessen Geburt der Schamane vorausgesagt hat." Mir blieb der Atem weg. "Woher..." - "Kein Grund zur Sorge. Wir Alben haben ein Talent dafür, Dinge zu sehen oder zu wissen noch bevor sie offiziell ausgesprochen wurden." Er lächelte mild. "Die Sache ist die", warf Mendrick unwirsch ein, nachdem er sich vergewissert hatte, dass wir nicht beobachtet wurden, "wir müssen das Albenreich, das für seine Neutralität bekannt ist, durchqueren, um sicher in die Lequoiawälder zu gelangen." - "Ich verstehe", sagte der Alb, "und mit wem habe ich das Vergnügen, zu sprechen?" - "Mendrick, Gandulf'scher Zauberer aus Abeytu, Sohn des Balthaszar; Erwin, ebenfalls Zauberer und langjähriger Kollege meines Vaters; Pauline, teure Freundin aus dem Fischerdorf im Schmetterlingswald." Der Blick des Albs blieb an mir heften. Seine starren, grellblauen Augen sahen direkt in die meinen. Mir wurde unwohl. Ich hatte das Gefühl, komplett durchschaubar zu sein und das gefiel mir nicht. Es machte mich stutzig, dass er mich so anschaute, als würde er geradewegs in mich hineinsehen, in meine Seele, und sie überprüfen. Ich senkte den Blick. "Warum schlägt sie die Augen nieder?", fragte mich der Alb. "Sie?", murmelte ich. "In der Albenkultur ist es üblich, von Frauen in der dritten Person zu sprechen, so viel ich weiß", erklärte Erwin. "Scheint, als hätten Frauen in der Albenkultur keinen besonders hohen Stellenwert", bemerkte Mendrick spitz. "Im Gegenteil", entgegnete der Alb ruhig, "die Anrede in dritter Person ist bei uns eine Höflichkeitsform dem weiblichem Geschlecht gegenüber; eine Art, Anerkennung oder Sympathie zu zeigen, für eine junge, hübsche Frau wie diese hier es ist." Ich wurde rot und schämte mich dafür. "Gehört der Feuerputz zu euch?", wollte der Alb wissen. Das lichterloh glühende Trolltier hatten wir beinah vergessen. Es war in der Zwischenzeit wieder hinter den Baumstämmen hervorgekommen und flammte nun vorsichtig auf uns zu. Der Boden unter meinen Füßen vibrierte, als das Wesen Schritt für Schritt näher kam, seltsamerweise aber weder dabei ein Geräusch von sich gab, noch Spuren im Schnee hinterließ. "Ein Feuerputz also", sagte Erwin ratlos. Der Alb nickte. "Ja, seltsame wie interessante Wesen. Aus dem Paradies verdammt. Es sind Seelen, die in ihrem Leben etwas sehr Schlimmes angerichtet haben und demnach zufolge nach ihrem Tode sofort im Fegefeuer landen. Bereuen sie aber dort ihre Tat, kehren sie auf die Erde zurück und irren umher, auf der Suche nach jemandem, der ihnen ihre Schuld verzeiht und sie somit von ihrem brennenden Fluch erlöst, damit sie in Frieden ruhen können." - "Wir sollen ihm also seine Schuld verzeihen, ohne zu wissen, was er getan hat?", fragte Mendrick ungläubig. "Das ist die einzige Möglichkeit, ihn zu erlösen", antwortete der Alb, "er empfindet jedenfalls Reue für seine Taten, sonst hätte er niemals aus der Unterwelt zurück auf die Erde gelangen können. Er hat euch wohl als seine Erlöser auserwählt. Vermutlich, weil mindestens einer von euch eine ganz unbefleckte, reine Seele hat." - "Tja, also, abgesehen davon, dass meine Seele sicherlich nicht ganz unbefleckt ist, erlöse ich gewiss niemanden, ohne dessen Vorgeschichte zu kennen", sagte Mendrick, "womöglich hat er in seinem Leben genauso viel verbrochen wie die Schneekönigin." - "Los werdet ihr ihn vermutlich so schnell nicht mehr, bevor ihr ihn nicht gerettet habt. Feuerputze sind dafür bekannt, ihre vermeintlichen Erlöser speziell nachts zu verfolgen. Übrigens, wo habt ihr vor, heute zu nächtigen? Ihr seht erschöpft aus." - "Wir sind auf der Durchreise und haben uns über einen Schlafplatz noch keine Gedanken gemacht", sagte Erwin. "Ich kann euch anbieten, mit auf mein Schloss zu kommen", schlug der Alb vor, "ich gewähre euch Unterkunft, so lange ihr wollt. Der Feuerputz muss allerdings draußen bleiben." - "Der Feuerputz bleibt hier", schnappte Mendrick, aber das Flammenwesen verharrte, in sicherem Abstand, in unserer Nähe. "Er hat sich wohl anders entschieden", meinte der Alb, "also, kommt ihr nun mit auf mein Schloss oder zieht ihr es vor, heute Nacht noch weiterzuwandern?" - "Verzeiht", sagte Yuri, "aber hier sind weit und breit bloß Tannenbäume. Wo befindet sich Euer Schloss?" - "Es ist etwa zwölf Meilen von hier entfernt." Mendrick gluckste amüsiert. "Zwölf Meilen? Machst du immer solch ausgedehnte Spaziergänge? Sag mal, ist dir langweilig in deinem Schloss?" Der Alb lächelte mild. Es beeindruckte mich, wie entwaffnend dies, sein Lächeln, war. "Alben sind Meister des Reisens", sagte er, "sie reiten auf den Schwingen des Windes und erreichen so binnen weniger Minuten, ja, Sekunden gar, ihr Ziel." - "Auf den Schwingen des Windes", imitierte Mendrick den Alb belustigt. "Findest du das komisch, Zauberer?", fragte der Alb emotionslos. Sein starrer Blick schien Mendrick zu durchbohren. "Nun", murmelte Mendrick, "ich kann mir einfach nichts darunter vorstellen… was wäre denn, wenn kein Wind wehen würde…?" - "Dann wäre es kein guter Tag für einen Alb, um unterwegs zu sein. Stellt euch neben mich in einer Reihe auf und reicht eurem Nächsten die Hand. Es könnte möglicherweise ein wenig unangenehm werden, wenn man das Reisen auf Albenart nicht gewohnt ist." Mit meiner linken Hand ergriff ich die des Albs, mit meiner rechten hielt ich Mendricks fest. Die Hand des Albs war furchtbar kalt, das spürte ich sogar durch die dicken Zigeunerhandschuhe hindurch, obwohl mich die Kälte normalerweise nicht irritierte. Er sah mich an. "Ich bin übrigens