schöne Erscheinung mit strammer Haltung. Er benahm sich äußerst weltgewandt, hatte große Reisen gemacht und war ein kluger, unterhaltender Mann.
Jetzt hatte er sich einen Lehnstuhl ans Feuer gezogen und erzählte Sigrun, wie es in der Fremde, in der weiten Welt, die Sigrun nie gesehen hatte und nie sehen würde, aussah. Ach, sie war ja in einem kleinen, armseligen schwedischen Pfarrhof begraben!
Sigrun war mit ihren eigenen Gedanken und unruhigen Wünschen beschäftigt und ließ den Redestrom über sich hinbrausen. Sie wünschte, sie hätte der Erzählung ordentlich folgen können. Das würde ihre eigene angstvolle Sehnsucht verscheucht haben; aber sie vermochte es nicht.
Der Pfarrer hob mitunter den Kopf und betrachtete die beiden von dem Zimmer aus, wo er saß. Und wenn er aufhorchte, konnte er hören, daß von den großen Städten in den Ländern die Rede war, wo der Krieg jetzt am schlimmsten raste. Und er dachte, Sigrun sei wirklich sehr geduldig, weil sie es fertig brachte, dieses endlose Geschwätz anzuhören.
Draußen im Brauhaus bei Lotta Hedman hatte mittlerweile die Stallmagd die Milchgeschirre mit heißem Wasser ausgespült; damit war ihre Arbeit getan, und da nun das Brauhaus an diesem Tage nicht mehr benutzt wurde, siedelte Lotta mit ihrer Lampe, ihrem Tisch und ihrer Bibel dahin über. Vor den großen, schwarzen Herd mit seinen riesigen eingemauerten Kesseln zog Lotta geblümte Kattunvorhänge, die alles Schwarze und Verräucherte verdeckten, und nun sah das Brauhaus fast aus wie ein Wohnzimmer.
Lotta hatte einen bequemen Korbstuhl für sich, aber sie holte noch einen zweiten aus ihrem Zimmer und stellte ihn neben den Tisch. Denn Lotta war es gewohnt, daß Sigrun zu ihr herauskam und einen Teil des langen Abends mit ihr verplauderte. Mitunter kam auch der im Hause einquartierte Amtsrichter herüber, saß lange bei ihr und brachte sie dazu, von Sigrun zu sprechen, ja manchmal erschien sogar auch der Pfarrer, neckte sie wohl ein wenig und fragte sie, ob sie sich jetzt über das Buch mit den sieben Siegeln und das herrliche tausendjährige Reich klar geworden sei.
Der Pfarrer und seine Frau hatten Lotta Hedman angeboten, bei ihnen zu bleiben und die Hühner und andere kleine Haustiere zu versorgen, hatten ihr indes gleich gesagt, sie müsse sich damit begnügen, im Brauhaus zu wohnen. Lotta war mit Freuden auf diesen Vorschlag eingegangen. Sigrun hatte selbst die Brauhausstube tapeziert und Vorhänge für sie dort aufgesteckt. Lotta hatte ihre Sachen aus Stenbroträsk kommen lassen, sie kochte sich selbst und war dadurch von den anderen Leuten auf dem Hof unabhängig. Abends stand ihr dann das ganze Brauhaus zur Verfügung. Dann dachte sie, nun habe sie wahrhaftig einen richtigen Saal für sich, in dem man sogar tanzen könnte.
Ungefähr zur selben Zeit, als an jenem Abend Lotta aus ihrem Stübchen ins Brauhaus übersiedelte, verließ der Knecht die Gesindestube und ging in die Küche, um mit jemand plaudern zu können. Auch die Stallmagd war dorthin gekommen. Und nun begannen sie in der Küche über die Herrschaft zu sprechen und sich zu fragen, ob der Pfarrer nicht sehe, daß der Amtsrichter in seine Frau verliebt sei.
»Er soll doch früher fürchterlich eifersüchtig gewesen sein,« sagte die Stallmagd, »und er ist nur hierher gezogen, damit sie mit keinem anderen als mit ihm zusammenkommt. Aber daß der Amtsrichter in sie verliebt ist, darum kümmert er sich nicht.«
»Er denkt wohl, es lohne sich nicht,« entgegnete der Knecht. »Ein so alter, vom Schlag getroffener Mann!«
Vor dem Feuer in der guten Stube saß indessen der kranke Amtsrichter wie vorher. Aber er sprach jetzt nicht mehr, sondern hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und saß in Gedanken versunken da.
Er wußte, Sigrun hörte nicht auf das, was er ihr erzählte. Wovon sollte er nur sprechen, um sie zu zwingen, auf ihn zu horchen?
Er hatte mit ihr über das Leben in der großen Welt draußen gesprochen und von der Rolle, die die schönen Frauen dort spielen. Er hatte erklärt, sie seien es, die einen mit dem Dasein aussöhnten. Ja, er hatte behauptet, die Männer würden gut und fügsam, sobald sie der Schönheit in Gestalt eines jungen Weibes begegneten. Und dann hatte er zu Sigrun gesagt, wer dieses Gottesgeschenk der Schönheit habe, müsse es als seine Pflicht betrachten, sie heilend, versöhnend, verbessernd auf die Menschen wirken zu lassen.
Doch er wußte kaum, ob Sigrun überhaupt ein Wort von dem, was er gesagt, gehört hatte.
Wenn ihr Mann anwesend war, fiel es ihm leichter, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dann sprach er nie mit ihr, sondern nur mit ihm.
Und er war überzeugt, daß er sie dann zwang, Vergleiche anzustellen zwischen ihm, dem erfahrenen Weltmann, und dem einfachen Pfarrer, Vergleiche zwischen einem Manne, der wichtige Ereignisse erlebt hatte und mit bedeutenden Menschen zusammengetroffen war, und einem anderen Mann, der sich in einer Einöde vergrub, der nicht studierte, nicht vorwärts strebte, sondern immer mehr auf die Stufe eines gewöhnlichen, einfachen Landpfarrers herabsank.
Der Pfarrer verachtete ihn, das wußte er wohl, denn er wurde von ihm oft spöttisch und unduldsam behandelt. Er ertrug es indes mit großer Geduld, weil er wußte, daß nichts diesen Mann in den Augen seiner Frau mehr heruntersetzte, als wenn er sich taktlos und ohne Zartgefühl benahm.
Nachdem der Amtsrichter einige Minuten still dagesessen hatte, begann er, wie das ja während des Weltkriegs nahe lag, vom Roten Kreuz und seinem Gründer, von dessen Organisation und von den großen Taten der tapferen Krankenpflegerinnen des Roten Kreuzes im Kriege zu sprechen.
Jetzt wurde die schöne Frau neben ihm aufmerksam, das merkte er sofort, jawohl, sie riß sich von ihren eigenen Gedanken los und hörte ihm zu.
Und in demselben Augenblick, wo der Amtsrichter von dem Roten Kreuz zu sprechen anfing, schaute Lotta Hedman von ihrer Bibel auf. Ihre Gedanken waren aufgeregt, und sie konnte sie nicht bei dem Studium festhalten. – »Ich möchte nur wissen, ob Sigrun ihren Mann nicht mehr lieb hat,« dachte sie. »Sie spricht fast nie von ihm. Die Dienstboten sagen, er quäle sie mit seiner Eifersucht. Aber so viel ist sicher, damit tut er ihr unrecht. Denn wenn sie ihn auch nicht mehr liebt, so hat sie gewiß auch keinen anderen lieb.«
Über Lottas sorgenvolles Gesicht flog ein flüchtiges Lächeln.
»Mag dieser alte, kranke Amtsrichter sich noch so sehr an sie heranmachen,« dachte sie, »das tut nichts, denn sie fragt nach niemand. Aber ein Unglück ist's doch, wenn man so schön ist wie Sigrun,« schloß sie. »Da hast du es ruhiger, Lotta.«
Sie richtete den Blick auf die Bibel und versuchte, nicht mehr an Sigrun zu denken. – »Ach, es wird ihr doch nichts zustoßen, weil ich so besorgt bin!« flüsterte sie vor sich hin.
Der Pfarrer saß noch immer in seinem Zimmer und las bei seiner Lampe. Ein Mal ums andere hatte er seinen Blick auf die beiden am Feuer gerichtet und sie mit größter Ruhe und Gleichgültigkeit dort sitzen sehen, und auch die beiden dachten ohne die geringste Sorge daran, daß er sie von seinem Platz aus sehen könnte. Aber plötzlich bemerkte er eine Veränderung. Er hätte unmöglich sagen können, worin diese bestand. Vielleicht hatte die Stimme des Sprechenden einen lauteren, wärmeren Klang bekommen, vielleicht hatte die junge Frau ihre Stellung verändert. Jedenfalls legte der Pfarrer die Zeitung weg, stand auf, und während er alle seine Sinne anspannte, beugte er sich vor und beobachtete die beiden im nächsten Zimmer.
Der Fremde erzählte immer noch von den Krankenpflegerinnen und den Werken der Barmherzigkeit während des Kriegs. Als er eine Weile gesprochen hatte, sah er, wie eine Träne über die Wange der jungen Frau rollte und in ihren Schoß fiel, dort eine Sekunde lang hellglänzend liegen blieb und dann verschwand; und hierauf folgte leise Träne auf Träne.
Noch lange erzählte der Amtsrichter weiter, ohne anscheinend Sigruns Bewegung zu bemerken, doch plötzlich beugte er sich so weit vor, daß er sie fast berührte.
»So, das ist's, was Sie möchten! Das ist's, wonach Sie sich sehnen!« sagte er. »Sie möchten mit da draußen sein.«
Sie faltete die Hände und streckte sie ihm entgegen.
»Sollte ich mich nicht von ganzer Seele danach sehnen?« rief sie. »Ist es nicht entsetzlich, hier so behaglich dahinzuleben und nichts zu tun?«
»Aber Sie könnten sich doch wohl