Valérian Vandyke

Hüte dich vor den wilden Tieren


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ich nun die Initiative. »Sie haben damals auf mich geschossen. Sie wollten mich wegen dieser Blechdose eiskalt ermorden, obwohl Sie mich noch nie vorher gesehen hatten. Ich denke, dass ich ein Recht darauf habe zu erfahren, warum Sie geschossen haben und ich will wissen, was es damit auf sich hat.«

       »Es war ein Versehen, eine Verwechslung. Es tut mir wirklich leid. Ich wollte Sie nicht umbringen. Ich war sehr erleichtert, als ich sie damals im Bus gesehen habe. Bitte verzeihen sie mir. Aber über das Utsúwa darf ich ihnen nichts erzählen. Vergessen sie es einfach. O.K.?«

       Offenbar war ich weniger in Gefahr erneut in den Lauf einer Waffe zu blicken, als ich zunächst erwartet hatte. Das gab mir wieder etwas Mut und auch meine Neugier war wieder vollends geweckt worden.

       »Wissen Sie«, räumte ich nun ein, »ich habe es nicht so endgültig entsorgt, dass es keine Möglichkeit gäbe es wieder zu finden. Ich schlage Ihnen ein Geschäft vor. Ich helfe Ihnen das Gerät wiederzubeschaffen und Sie klären mich darüber auf, warum ich fast dafür gestorben wäre und um was es sich dabei eigentlich handelt. Ich verspreche Ihnen, dass ich danach alles wieder vergessen werde und Sie können das Ding mitnehmen. Einverstanden?« Ich streckte ihr die Hand entgegen, um unseren Handel zu besiegeln. Sie schaute mich verdutzt an und man konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Schädel arbeitete, um herauszufinden, was sie davon halten sollte. Schließlich lenkte sie ein: »Einverstanden. Schieben Sie es rüber, und ich erzähle Ihnen was ich darüber sagen kann.«

       »So schnell geht es nun auch wieder nicht«, bremste ich sie, »Ich muss es schließlich erst wieder beschaffen. Außerdem traue ich keinem, der schon einmal versucht hat mich zu erschießen. Daher bestimme ich die Reihenfolge der Übergabe. Wir treffen uns morgen um Punkt zweiundzwanzig Uhr dreißig an einem neutralen Ort, sagen wir in der Bahnhofsvorhalle. Dort suchen wir uns eine ruhige Ecke, wo wir reden können und wo ich Ihnen das Gerät übergeben kann. Geben Sie mir ihre Handynummer, damit ich Sie anrufen kann, falls etwas schief gegangen ist, was ich allerdings nicht glaube. Und kommen Sie alleine, denn ich habe keine Lust mir die Blechdose abnehmen zu lassen, ohne dass Sie Ihren Teil der Abmachung eingehalten haben.«

       Sie seufzte laut und resignierend, nickte dann aber mit dem Kopf und meinte: »Ich sehe schon, Sie sind hartnäckig. Aber vielleicht haben Sie ja recht und ich schulde Ihnen wirklich eine Erklärung. Abgemacht! Wir sehen uns morgen zur vereinbarten Zeit in der Vorhalle des Bahnhofs.«

       Ich gab ihr einen Bierdeckel und einen Kugelschreiber und sie notierte eine Nummer darauf und gab mir beides zurück. Dann stand sie auf, ging zur Tür und drehte sich noch einmal kurz um und sah mich eine Weile wortlos an. »Danke«, sagte sie schließlich, verschwand durch die Tür und ließ mich mit einem seltsamen Gefühl zurück.

      *

      Eigentlich war ich stolz auf mich, denn es sah so aus, als ob sie nicht besonders scharf darauf war mir die Wahrheit über den Metallzylinder zu erzählen und warum sie auf mich geschossen hatte. Leider hatte ich das Gerät nicht greifbar, denn im Déjà-vu war sie alleine und ich rechnete damit, dass sie bei unserem zweiten Treffen Verstärkung mitbringen würde, um mir das begehrte Stück einfach zu entwenden. Aber mit dem Schachzug sie zum Bahnhof zu bestellen hatte ich die Chance sie alleine anzutreffen. Um Punkt zweiundzwanzig Uhr dreißig rief ich von einer Telefonzelle aus die Nummer an, die sie auf dem Bierdeckel notiert hatte.

       »Hallo?«, meldete sich ihre Stimme nach erstaunlich kurzer Zeit.

       »Sind Sie wie vereinbart in der Bahnhofsvorhalle?«

       »Ja natürlich«, erwiderte sie. »Wo sind Sie denn?«

       »Wir werden uns in Kürze sehen. Ziehen Sie sich bitte ein Ticket und gehen Sie zum Bahnsteig Nummer vier. Dort steigen Sie in die U-Bahn, die um zweiundzwanzig Uhr dreiundvierzig abfährt. Haben Sie das verstanden?«

       »Ja«, sagte sie, »Bahnsteig Nummer vier um zweiundzwanzig Uhr dreiundvierzig.«

       »Sehr gut. Ich rufe Sie um zweiundzwanzig Uhr fünfundvierzig wieder an, um Ihnen zu sagen, wo Sie aussteigen sollen. Falls der Anruf misslingt, steigen Sie an der nächsten Station wieder aus und wir wiederholen das Spiel. Um diese Zeit wird die Bahn kaum frequentiert. Setzen Sie sich in einen leeren Wagen. Ich werde Sie beim Aussteigen beobachten. Sollten Sie nicht alleine aussteigen, dann brechen wir die Aktion einfach ab und ich werfe das Ding tatsächlich weg, denn dann wird mir die Sache zu heiß.« Dann legte ich einfach auf.

       Fünfzehn Minuten später wählte ich die Nummer erneut. Diesmal war die Verbindung wesentlich schlechter und von Störgeräuschen überlagert, aber wir konnten uns noch ausreichend verstehen.

       »Sind Sie alleine?«, fragte ich als erstes.

       »Ja das bin ich«, bestätigte sie.

       »O.K. Dann machen sie jetzt Folgendes. Sie schalten sofort nach unserem Anruf das Handy aus. Ich werde das kontrollieren. Dann steigen Sie genau sieben Stationen weiter wieder aus. Das wird etwa fünfzehn Minuten dauern. Wenn Sie ausgestiegen sind, kann ich Sie sehen. Dann schalten Sie das Handy wieder ein und bekommen weitere Instruktionen.«

       Mein Testanruf erbrachte, dass sie das Telefon tatsächlich ausgeschaltet hatte. Die Mailbox verriet mir aber leider nur die Nummer, die ich ohnehin schon kannte.

       Ich hatte mir diese Station herausgesucht, da sie einen wichtigen Vorteil gegenüber allen anderen hatte. Sie konnte ausgesprochen gut von allen Seiten eingesehen werden und das Beste daran war das Hotel direkt gegenüber, das zwar unglaublich schäbig und heruntergekommen war, aber vom dritten Stock konnte ich den ganzen Bahnsteig überblicken. Die U-Bahn lief ein, und es öffnete sich tatsächlich nur eine Tür. Eine Frau stieg aus und blieb auf dem Bahnsteig stehen, griff in ihre Tasche und holte etwas heraus an dem sie sogleich herum knipste. Ich rief die Nummer wieder an.

       »Sehen Sie das große Gebäude geradeaus vor Ihnen?«

       »Ja, natürlich. Es ist ja wohl kaum zu übersehen.«

       »Gehen Sie dorthin. Wir werden uns dort treffen. Und schalten Sie das Handy sofort wieder aus.« Auch der zweite Kontrollanruf ergab, dass sie gehorchte. Ich konnte zwar nicht wissen, ob sie noch ein zweites Mobiltelefon dabei hatte, aber ich hielt es für eher unwahrscheinlich. Die Chance jemanden über unseren Standort zu informieren, waren jedenfalls ausgesprochen gering. Ich lief hinunter in die Lobby des Hotels, und erwartete sie aus einer sicheren Position heraus, die es erlaubte sofort ungesehen zu verschwinden, falls sie wider Erwarten nicht alleine sein sollte.

       Aber sie war alleine. Als ich mich dessen noch einmal vergewissert hatte, verließ ich mein Versteck und ging auf sie zu. Auch dieses Mal schenkte sie mir ein Lächeln, obwohl sie sich sicherlich über mein kleines Versteckspiel geärgert hatte.

       »Gehen wir in die Hotelbar«, schlug ich vor. »Wir sind zurzeit die einzigen Gäste und können uns ganz ungestört unterhalten.«

       Wir ließen uns in den roten Plüsch-Sesseln nieder, die ihre besten Zeiten schon hinter sich hatten und an einigen Stellen bereits die Füllung verloren. Das Lächeln meines Gegenübers ging nun langsam in ein Stirnrunzeln über.

       »Sie haben wohl zu viele Kriminalfilme gesehen«, eröffnete sie unser Gespräch. »Sie verkennen die Situation vollständig. Ich bin weder kriminell, noch gibt es irgendjemand anderen, den Sie zu fürchten hätten. Aber das werde ich Ihnen gleich erklären. Zunächst bitte ich Sie darum mir das Utsúwa zu zeigen, damit ich weiß, dass Sie es ehrlich meinen.«

       Natürlich hatte ich auch diese Frage erwartet und gewisse Vorkehrungen getroffen. »Frank!«, rief ich. »Kannst du bitte mal den Karton holen, den ich dir zur Aufbewahrung gegeben habe?«

       Frank war der Barkeeper dieses Etablissements und ein alter Freund von mir. Er legte den Karton auf den Tresen und wir wechselten die Positionen. So konnte ich sicher gehen, dass sie mir den Zylinder nicht einfach aus der Hand riss und verschwand. Ich öffnete den Karton, griff nach dem Corpus delicti und hielt es hoch, damit sie es deutlich sehen konnte. Wiederum überraschte mich ihre Reaktion. Sie schrie auf.

       »Oh, nein. Das darf nicht sein. Legen Sie es sofort in die Schachtel zurück und machen Sie den Deckel zu.«

       Erschrocken über diesen unerwarteten Gefühlsausbruch legte ich das Metallteil hastig wieder in den Karton, schloss den Deckel und