Mej Dark

Completely - Gesamtausgabe


Скачать книгу

hat mir telegrafiert, sein Sohn sei erneut schwer erkrankt“, hörte ich eine tiefe Stimme.

      Ich lugte vorsichtig unter dem buschigen Fell hervor. Ein kräftiger Mönch in den besten Jahren hatte den nackten Sänger an einem Maskenhorn gepackt und schüttelte dieses bedrohlich.

      Der Schamane blieb äußerlich vollkommen ruhig. „Auch der Präsident erhält das Mittel nur, wenn er persönlich zu mir kommt. Schreib ihm das. Die Heilung seines Sohnes beruhte nicht auf deinen Wunderkräften, sondern auf meiner Medizin!“

      „Wie stehe ich denn da? Das geht gar nicht! Seine Gemahlin vertraut mir und jetzt auch ihr Mann. Es wäre geradezu dumm, ein langfristiges Geschäft durch vorschnelle Aufklärung zu zerstören!“

      „Schreib die Wahrheit!“, erwiderte der Bedrängte hartnäckig. „Und lass endlich mein Horn in Ruhe! Ich habe es gerade mit starkem Insektengift eingerieben, damit es nicht zerfressen wird. Das kann auch dich töten.“

      Erschrocken ließ der Angreifer los und rieb die Handflächen eilig an seiner groben Priesterrobe ab. Danach kratzte er sie und schaute die Innenseiten schockiert an. „Die sind ja ganz rot! Hilf mir!“

      „Wasch dir die Hände lieber schnell im Fluss!“

      „Erst nach dem Geschäft!“ Der Priester zog einen dicken Geldbeutel hervor und warf diesen dem Hausherrn zu. Der fing die klappernden Münzen geschickt. „Das ist für dein Schweigen! Dafür erzählst du niemandem, dass die Medizin von dir stammt!“

      „Ich lüge niemals! Sonst verlöre ich die Kraft über die Geister.“ Der Mann blieb standhaft.

      Grübelnd lag ich unter dem Fell und überlegte, wer dieser Hausherr sein könnte. Vielleicht bewohnte mein Urgroßvater längst den Sarg und ein Enkel war jetzt der neue Schamane? Der vom Mönch Bedrohte konnte keinesfalls hundert Jahre alt sein.

      Sein Widersacher schüttelte wie ein Stier den Kopf, sodass dessen langen Haare hin und her stoben. Wut ließ ihn beben. „Was soll das? Jeder lügt doch. Ich habe mein Leben lang gelogen und bin immer gut damit gefahren. Gerade jetzt läuft alles bestens! Von dem vielen Geld kannst du dir einen Palast anstelle der alten Hütte hier bauen.“

      Doch offensichtlich interessierten den Schamanen das Gold nicht.

      Als der falsche Wunderarzt merkte, dass seine Strategie nicht aufging, machte er einen weiteren Vorschlag: „Jetzt kommt mein letztes Angebot! Du bekommst zusätzlich noch zehn Prozent von meinem Gewinn, dauerhaft. Ich habe die Mrs. Präsident schon in der Tasche. Wenn ich ihren Sohn für immer heile, herrsche ich bald über ganz Amerika!“

      „Ich bezweifle, dass das einen Nutzen bringt“, höhnte der Schamane. „Außerdem hast du die Medizin einer Kranken gestohlen und ohne mein Wissen verwendet. Dieser und nicht dir hatte ich sie verordnet. Das Geld steht mir somit als Ausgleich ohnehin zu!“

      Der Hausherr hielt den Beutel fester. Dabei wirkte er nun doch durchaus gierig und verlor für mich einige Sympathiepunkte.

      „Du Tattergreis lebst schon ein Jahrhundert und verstehst das nicht“, erwiderte der Priester frech. „Ich liebe die Salons, den Whisky, die Frauen … Das kostet nun einmal etwas!“

      Der Mann sollte über hundert Jahre alt sein? Dann musste es doch mein Urgroßvater sein. Wie war das möglich? Bestimmt gab es dafür eine wissenschaftliche Erklärung … ganz sicher. Fleisch und Fisch blieben ja auch in der Kälte länger frisch. Vielleicht konservierte die Bergluft hier Menschen.

      „Alter, bist du jetzt einverstanden?“, hakte der Besucher nach.

      „Nenn mich nicht Alter! Ravenhort, du hast mich schon einmal hintergangen und ich vertraue dir nicht. Schreib einfach die Wahrheit an den Präsidenten!“

      „Dessen Sohn stirbt ohne die Medizin!“ Der Mönch setzte auf Mitleid.

      „Schreib dem Präsidenten!“ Murmelte mein sportlicher Urgroßvater.

      Ravenhort hob die Faust und drohte.

      „Wehe dir, ich kann auch anders! Was wird die Kirche dazu sagen, dass du nicht alterst? Du musst schon weit über hundert sein und siehst jünger aus als ich. Das ist wider Gottes Schöpfung! Man wird dich für diese Hexerei hängen, wenn ich es an der richtigen Stelle erzähle!“

      Jetzt hatte ich keine Zweifel mehr. Dieser nackte Medizinmann war doch mein Urgroßvater. Was für eine Sensation. Mir blieb die Spucke weg. Scheinbar boten die Black Hills doch einige Überraschungen.„Pass du lieber vor mir auf!“, drohte der Schamane seinerseits.

      „Was willst du denn machen? Ich glaube nicht an deinen Hokuspokus, der hat auf mich keine Wirkung!“

      „An die Medizin glaubst du aber schon?“, schlug ihn der junge Alte mit Logik. Er erhob sich zur vollen Größe und nahm seine Maske ab. Ein etwa fünfzigjähriges Gesicht tauchte auf.

      Ich betrachtete seinen Körper genauer. Mein Urgroßvater war deutlich kleiner als ich, recht schmutzig und ohne jegliche Kleidung. Das, was da zwischen seinen Beinen hing, war beschämend, außerdem viel zu lang und dick. Ihn schien die unanständige Blöße aber keineswegs zu stören. Auch Ravenhort war das wohl gewohnt.

      „Nicht deine Wunderkraft heilt den Jungen, sondern meine Medizin“, beharrte mein Verwandter.

      „Ist das dein letztes Wort?“, fragte der aufgebrachte Besuch und schob drohend seinen Oberkörper vor.

      „Ja! Und wasch dir endlich deine Hände im Fluss!“, drängte der Hausherr. „Sonst stirbst du schon vor dem Morgengrauen!“

      „Du wirst schon sehen, was du davon hast!“, geiferte Ravenhort und spuckte abschätzig auf die Maske.

      „Beleidige die Geister nicht!“ Der Schamane stampfte seinerseits wütend mit dem Fuß auf. Die Wurst zwischen seinen Beinen schwang dabei wild hin und her.

      „Es gibt nur einen Gott!“, höhnte der Mönch und schupste den vitalen Greis so, dass dieser mit dem nackten Hintern in das Feuer plumpste und vor Schmerz schreiend aufsprang. Dabei entfiel ihm klimpernd der Geldbeutel.

      „Du bist also nicht unempfindlich gegen Schmerzen“, stellte sein Angreifer zufrieden fest. Er griff sich schnell so viele Münzen, wie er finden konnte und verließ er den Raum. „Warte nur!“, zischte er dabei wütend. „Wir sehen uns wieder!“

      Der Schamane, der offenbar mein Urgroßvater war, humpelte jammernd in eine Ecke des Zimmers. Wollte er seine Brandwunden versorgen? Dort schob er eine Truhe beiseite und kroch durch ein großes Loch in der Wand hinaus. Ein geheimer Raum musste sich dort befinden. Was verbarg sich in diesem?

      „Das tut verflucht weh!“, hörte ich ihn jammern.

      Nach einer Weile kehrte er zurück und blickte verblüfft, geradezu fassungslos zu mir. Er hatte mich entdeckt.

      „Hallo Uropa!“, rief ich inzwischen sitzend von meinem Lager aus.

      Verschreckt sprang der alte Mann hoch, als wäre er urplötzlich auf einen Stachel getreten. Die Stimme blieb ihm im Hals stecken. Mein Urgroßvater zitterte an allen Gliedern, wirklich an allen. Er rechnete vielleicht mit dem Besuch vom Teufel oder von indianischen Dämonen, aber mit mir hatte er nicht gerechnet.

      „Wer bist denn du?“, stieß er um Fassung ringend keuchend hervor. Er griff sich ein Tomahawk.

      „Ich bin dein Urenkel!“ Mein Oberkörper verbeugte sich höflich, aber die nassen Stiefel quietschten spöttisch dazu.

      Er sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Was willst du hier?“

      „Nun ja“, begann ich zu erklären. „Mama schickt mich. Schöne Grüße auch. Ich soll hier eine Kur machen.“

      „Eine Kur? Was ist denn das für ein Unsinn? Niemand kurt hier.“

      Da hatte er sicher Recht.

      Ich reichte ihm spöttisch den Brief, den Mutter mir mitgegeben hatte.

      „Da sind wir sicher