Mej Dark

Completely - Gesamtausgabe


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hatte ich festgestellt, dass einige Bewohner noch demonstrativ ihre Colts trugen. Das war ein Relikt aus der Zeit der frühen Siedler und der Indianerkriege. Wir lebten inzwischen im zwanzigsten Jahrhundert.

      Aus einem Seitenweg tauchten urplötzlich zwei grobe Gesellen auf. Es waren Zwillinge und ihre Gesichter sowie ein Teil ihrer Kleidung verrieten, dass sie Lakota-Blut in sich trugen. Sie blickten zu mir wie ich zu ihnen, allerdings viel finsterer. Ihre Augen funkelten regelrecht böswillig. Ich war froh, den beiden nicht schon im Wald begegnet zu sein. Auch sie schlugen den Weg zum Städtchen ein und gingen einige Meter vor mir. Völlig ungeniert, so als wäre ich Luft, unterhielten sie sich miteinander. Sie sprachen ein mit indigenen Slang versetztes Amerikanisch und waren offenbar Nachkommen der früheren Herrscher der Black Hills, die nun zumeist in kleineren oder größeren Reservaten wohnten. Dort hatten sie ihre eigenen Gesetze und sogar eine eigene Indianer-Polizei. Die Lakota durften jedoch inzwischen ihre Reservate verlassen und sich dort ansiedeln, wo wie wollten. Einige Siedler sahen das aber nach wie vor skeptisch.

      „Was will dieser Mönch von uns? Das wird ihn aber etwas kosten! Ravenhort soll doch jetzt reich sein!“

      Diesen Namen hatte ich schon gehört. So hieß doch der Kerl, der meinen Uropa bedroht hatte.

      Ich ging bewusst langsam, um etwas Abstand zwischen mir und den beiden Kerlen zu lassen. Einen Streit konnte ich nicht gebrauchen. Dadurch hörte ich nicht, was sie noch besprachen.

      In den Straßen regierte hier der Schlamm. Durch die Regenfälle und die zur Bahnstation holpernden Fuhrwerke hatte sich der Boden in einen braungrauen Brei verwandelt. Der geringe Frost und der wenige Schneefall reichten noch nicht, um ihn zu befestigen. Deswegen hatte man an einigen Stellen Balken und Bretter über die Wege gelegt, worauf man balancieren musste. Nur so konnte man die schwierigsten Stellen einigermaßen glimpflich überqueren.

      Genau auf einem solchen Balken kam mir eine junge Einheimische entgegen. Sie war vielleicht dreizehn Jahre alt. Ich erkannte sie. Es handelte sich um genau das hübsche Mädchen, welches ich bei meiner Ankunft an dem Schmuckstand getroffen und der ich den Ring geschenkt hatte. Was für ein eigenwilliger Zufall. Ihr Anblick machte mich merkwürdig unruhig. Wieso schlug mein Herz schneller?

       Das süße Kind musste in diesem Dorf wohnen. Einige wenige Sommersprossen zierten die Nase. Ihr unter dem Tuch hervorquellendes Haar glänzte schwarz und bildete einen Gegensatz zu ihrer hellen Haut, die selbst für großstädtische Verhältnisse blass wirkte. Fast bis zum Bauch reichten die in indianischer Manier geflochtenen Zöpfe, welche unter einer Pelzkappe hervorlugten.

      Das schmale Brett hatte jedoch nur Trittfläche für einen von uns beiden. Als Mann wollte ich natürlich höflich sein und machte den Weg frei. Dadurch musste ich jedoch den Steg verlassen. Ich stellte mich höflich wie ein Gentleman auf den hier oberflächlich gefrorenen Fuhrwegmatsch. Dieser bot jedoch leider keinerlei Halt. Im Nu versank ich fast einen halben Meter bis unter die Knie in der sumpfigen Masse und blieb darin stecken.

      Meine Gesichtszüge entgleisten und ich schrie unwillkürlich so etwas wie: „Oh nein, harr …“

      „Was machst du da?“, fragte die Kleine mich erstaunt musternd. Ob sie auch mich erkannte?

      Angesichts der eindeutigen Situation war das natürlich eine sehr dumme Frage.

      „Ich wollte dir eigentlich nur Platz machen!“, erklärte ich meine unangenehme Position trotzdem.

      Meine Antwort verblüffte das Provinzmädchen scheinbar. So viel Höflichkeit war sie in diesem Nest nicht gewohnt.

      „Du bist nicht von hier! Bei meiner Mutter, du bist doch der, der mir den Ring geschenkt hat?“, stellte sie mein Gesicht betrachtend fest. Ihre Kulleraugen wurden noch größer, musterten mich neugierig und ihr Gesicht bekam geradezu einen schwärmerisch verträumten Ausdruck. Dann erklärte sie: „Wir halten uns einfach aneinander fest und drehen uns umeinander!“ Sie machte das auch gleich zur Demonstration auf dem Brett vor, wie eine Ballerina. Dabei entblößte sie zwei Reihen perlweißer Zähne und beobachtete mich ungeniert. Ganz langsam versank ich immer tiefer.

      Durch die Strampelbewegungen verschlechterte sich meine Situation mehr und mehr. Bei dem Versuch, einen Fuß herauszuziehen, knickten meine Beine vor den Augen des Mädchens nach hinten um und ich ruderte kurz darauf hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken in der klebrigen Masse. Ich bekam sogar Furcht, ganz zu versinken und dabei den Tod zu finden. Meine Kleidung saugte sich mit Nässe voll.

       Mir war die Situation besonders vor der hübschen Kleinen peinlich und ich schämte mich sogar, während das Mädchen herzhaft zu lachen begann. Nachdem die Lachwellen verebbten, sah sie sich um. Ihr Blick fiel auf meine Waffe, die ebenfalls in dem Sumpf steckte. Sie beugte sich vor und ergriff das obere Ende meines Speeres.

      „Halt dich an der anderen Seite fest!“, schlug sie vor.

      Auf diese Weise gelang es ihr tatsächlich, mich langsam zu befreien. Wie durch ein Wunder fiel sie nicht auch noch mit hinein. Einer meiner Stiefel steckte noch fest und lief mit dem Erdbrei voll. Es kostete uns einige Mühe, auch diesen mit Hilfe des Spießes zu befreien.

      Nach der geglückten Rettung setzte ich mich wortlos auf das Brett und wickelte meine schmutzig nassen Fußlappen auf, um sie etwas zu reinigen. Meine gesamte Kleidung war von oben bis unten beschmiert und teilweise nass.

      Das junge Ding lächelte herzlich. Sie hatte offenbar einen netten Charakter und ihre Fröhlichkeit wirkte ansteckend. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich irgendwie mochte und uns etwas verband. Nun ja, man bekommt ja auch nicht alle Tage einen Ring geschenkt.

      „Woher kommst du eigentlich?“, fragte sie direkt und schabte mit dem Spieß etwas Dreckschlamm von meinem Pelzmantel.

      „Vom Urgroßvater im Wald!“ Ich wies ungefähr in die Richtung, auf das Meer aus Fichten und anderen Nadelbäumen.

      „Dem Medizinmann?“ Sie wirkte etwas erstaunt. „Der Einsiedler hat einen Urenkel? Das wird ja immer verrückter.“

      Da die Menschen hier abergläubisch waren, wusste ich nicht so recht, ob ich die Wahrheit antworten sollte, und druckste herum: „Wie kommst du darauf, dass er es ist, den du meinst?“

      „Ihm gehört dieser Speer“, erwiderte die Hübsche offenherzig. „Ich treffe ihn manchmal. Jeder hier kennt ihn zudem. Er hat vor Kurzem meiner Tante mit seiner Medizin das Leben gerettet.“ Dabei machte sie ein verschwörerisches Gesicht. „Ich wollte aber wissen, woher du wirklich kommst.“

      „Aus New York, Manhattan.“

      Vor Staunen ließ das Mädchen den Mund einen Spalt offen. Das sah süß aus. Sie wirkte ohnehin äußerst anziehend auf mich. Wäre sie ein paar Jahre älter gewesen, hätte sie mich vielleicht noch mehr beeindruckt. Aber ich suchte ja die Allervollkommenste und keine kesse Teenagerin.

      „Du bist ein echter Großstädter? Nimmst du mich dorthin mit?“, fragte sie unverblümt. Dabei sah sie mich bittend mit ihren Schokoladenplätzchenaugen an.

      Jetzt schaute wiederum ich wie einer dieser geräucherten Stockfische. Die Kleine hatte seltsame Vorstellungen. Da würde Mama aber staunen, wenn ich mit so einer blutjungen Ureinwohnerin daherkäme. Ein Spaß wäre das schon.

      „Wir kennen uns doch gar nicht“, warf ich abwimmelnd ein. „Was werden deine Eltern denken, wenn du mit einem fremden Mann mitgehst, den du gar nicht kennst?“

      „Erstens bist du kein richtiger Mann und zweitens sind meine Eltern bereits tot“, protestierte sie altklug. „Ich wohne abwechselnd bei meiner Tante und bei meiner Oma – und ich bin schon sehr selbstständig.“

      Sie plusterte sich auf, als wäre sie einige Jahre älter. Das wirkte dadurch jedoch noch kindischer. Irgendetwas hatte es aber. Die Kleine gefiel mir auf eine nicht verständliche Weise. Ich fand sie sogar recht lustig. Hatte der dumme Ring vielleicht doch besondere Kräfte. Sie trug ihn übrigens, wie ich gesehen hatte. Mir wurde mulmig zumute. Begann nun auch ich an mystischen Schwachsinn zu glauben? Die Umgebung beeinflusst eben doch das eigene Denken.

      Die beiden grobschlächtigen