Mej Dark

Completely - Gesamtausgabe


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wir auch noch! Hexe! Hexe!“ Das Mädchen wurde rot und wirkte etwas eingeschüchtert. Sie sah mich beschämt an.

      „Sieh dich vor denen bloß vor“, warnte sie mich mit einem vielsagenden Blick. „Die Burschen dort sind bekannt dafür, dass sie gern Fremde ausrauben. Sie wohnen im Reservat.“

      Der eine machte wie zur Verdeutlichung auch eine Geste, als wollte er mir oder dem Mädchen den Hals durchschneiden. Kurz darauf schickte der andere Säufer dieselbe Geste hinterher. Als Nächstes wieherten die Kerle wie Pferde. Ein Mantel aus aufkommender Furcht umschloss uns. Instinktiv traten wir näher zusammen und sahen uns an. Wirst du mir helfen?, stand in ihren Augen. Vertrau mir!, stand in meinen. Ich war sportlicher, als sie es sicher vermutete und auch im Faustkampf erfahren. Außerdem beruhigte mich der Spieß in meiner Hand. Für Menschen brauchte man ihn hier offenbar noch notwendiger als für Wölfe.

      „Ach Percy!“, murmelte sie gerührt, als könnte sie meine Gedanken lesen. Ihre Augenwinkel füllte sich ein ganz wenig mit Feuchtigkeit und die Wangen mit Wärme. Fast schüchtern senkte sie die Augen und sah dann erneut prüfend in die meinen. Sie schien irritiert. Eine bedeutungsvolle Stille stand zwischen uns. Wie schön war diese Kleine doch und wie lächerlich meine geheimen Gedanken. Was war mit mir los?

      „Die beiden sind offenbar Lakota-Indianer!“, stellte ich fest.

      „Magst du Indianer nicht? Ich bin auch eine Lakota!“

      „Das ist mir egal“, erwiderte ich. „Außerdem habe ich auch etwas Lakota-Blut.“

      Wenn mein Urgroßvater ein waschechter Lakota war, was meine Familie ja vor mir verborgen hatten, dann war ich zu einem Viertel ja auch ein Indianer. Die Zeiten hatten sich geändert. Man brauchte sich dessen nicht zu schämen.

      Sie errötete von dieser Wendung. „Ja, das stimmt.“

      „Wo bekomme ich Lebensmittel?“, wechselte ich das Thema. Ich wollte das Gespräch so schnell wie möglich beenden. Die schmutzigen, nassen Sachen ließen mich wie einen Tollpatsch dastehen.

      Die süße Zopfdame wies auf ein entferntes größeres Haus: „Dort bekommst du alles, was du so brauchst.“ Sie hätte sich wohl gern länger unterhalten, fand sich aber notgedrungen mit dem Ende des Gesprächs ab. Worüber sollten wie auch schwatzen?

      Angewidert zog ich die verdreckten Stiefel wieder an. Das durchnässte Leder quietschte bei jeder Bewegung. Hoffentlich zog ich mir keine Erfrierungen zu.

      „Einen schönen Tag noch!“, verabschiedete ich mich.

      Sie wirkte jetzt traurig und sah verklärt auf den Ring.

      „Er ist wunderschön“, hauchte sie, ohne mich anzusehen.

      Scheinbar gleichgültig, so als wäre das Geschenk für mich ohne Bedeutung, zuckte ich mit der Schulter.

      „Vielleicht sehen wir uns noch mal Percy!“, rief mir meine Verehrerin hinterher.

      Wollte ich das?

      „Mal sehen.“

      Ich fühlte genau, dass die Kleine mir nachblickte, drehte mich aber bewusst nicht um. Ein New Yorker war hier eine ganz besondere Attraktion. Urplötzlich erstarrte ich. Woher kannte sie überhaupt meinen Namen? Ich hatte ihn ihr niemals mitgeteilt. Wieso nannten die zwei Burschen sie Hexe?

       Der kleine Krämerladen befand sich in einer schäbigen Bretterbehausung. Diese überragte die anderen Hütten um eine Kleinigkeit. Nur ein winziges verblichenes Schild mit krakeligen Buchstaben wies überhaupt auf das Geschäft hin. Ansonsten hätte man nicht vermutet, hier überhaupt Handelsgüter zu finden.

      Der Besitzer trug einen jüdischen Hut, hatte lange geflochtene Zöpfe und erwartete die Eintretenden hinter einer Brettertheke. Das Bollwerk trennte den Käufer von der Ware und war im Laufe der Jahre durch neue Streben verstärkt worden. Misstrauisch beäugte er meine verschmutzten Sachen.

      „Ich bin ausgerutscht!“, erklärte ich den seltsamen Aufzug und holte einige Geldstücke heraus.

      Das Gesicht des Mannes wurde sofort freundlicher. „Ja, die Wege hier sind fürchterlich. Womit kann ich denn dienen?“ Er bemühte sich, vornehm zu sprechen. „Vielleicht ein Paar trockene Stiefel?“

      „Nur her damit!“ Mein größtes Problem war für damit gelöst. Die Hose war nur unten nass und würde schon trocknen. Der Pelzmantel war nur außen verdreckt.

      Ich kaufte noch Trockenfleisch, Mais, Bohnen, Wurst, Fisch, Brot, Kekse, Küchlein, Speck, Gurken, einfach so viel ich zu tragen vermochte. Der Sack war bis oben gefüllt, wie beim heiligen Nikolaus. Der Verkäufer machte heute einen guten Handel.

      Zufrieden mit dem Einkauf, besonders darüber, auch Süßigkeiten gefunden zu haben, machte ich mich in den nassen Stiefeln auf den Heimweg. Ein paar Arbeiter, die ihren Lohn beim Bau der Eisenbahn verdienten, betraten kurz nach mir den Laden. Belustigt musterten sie meinen Aufzug und machten ihre Späße.

      Draußen stand das Mädchen weiterhin an der gleichen Stelle und sah mir mit großen Augen entgegen. Hatte sie auf mich gewartet? Irgendwie freute es mich, sie nochmals zu sehen. Wir waren inzwischen ja so etwas wie Bekannte.

      „Da bist du ja immer noch!“, stellte ich fest. „Woher weißt du eigentlich meinen Namen?“

      Sie errötete, lachte dann jedoch. „Was meinst du wohl? Hier flüstert sogar der Wind die Neuigkeiten!“

      Es kam mir etwas unwahr vor. Doch nach Hexerei zu fragen erschien mir dann doch zu hinterwäldlerisch und dumm. Vielleicht hatte mein Urgroßvater irgendwem von mir erzählt. Er behandelte doch ihre Tante.

      Frohgemut betrat ich den Balken. Hatte ich insgeheim sogar darauf gehofft, sie nochmals zu treffen? Diesmal würde ich das Trittbrett nicht wieder wie ein Dummkopf verlassen.

      „Halte dich fest! Ich zeig dir, wie es geht!“

      Sie breitete die Arme wie ein Bär aus und wir umschlossen uns wie zwei ringende Bärenkinder. Ehe ich mich versah, drückte sie sich so sehr an mich, dass ich ihre duftende Haut und einen leichten Knoblauchgeruch wahrnehmen konnte. Unter dem Pelz trug sie eine ähnliche Kette wie ich. Am Nacken konnte ich die Bänder sehen.

      Ihr schien diese Nähe zu gefallen, während mir die Situation ein wenig peinlich war. Andere konnten schnell sonst etwas denken. Sie war doch mehr ein Kind und ich schon ein junger Mann. Aber vielleicht galt das hier durchaus als normal. Wurden nicht sogar Ehen schon im Kindesalter vermittelt? Hieß es nicht, eine Braut sollte blutjung sein?

      „Pass auf!“, hauchte sie warm neben meinem Hals.

      Sie stellte nun ein Bein hinter mich.

      „Mach es genauso!“

      Ich folgte der Anweisung und schon hatten wir uns umeinander gedreht. Ganz zufällig hatten dabei meine Lippen ihre Stirn berührt.

      Sie erglühte und sah mir schamhaft in die Augen, als hätte ich das mit Absicht getan und sie erklärte nun im Nachhinein ihr Einverständnis mit dieser Intimität. Mir wurde schwitzig. Hatte sie das vielleicht extra getan und war durchtriebener, als man glaubte?

      „Nimmst du mich mit nach Manhattan?“, fragte die Kleine nochmals.

      Ich lachte dumm und stammelte so etwas wie: „So toll ist es da auch nicht.“

      Doch sie hörte mir gar nicht mehr zu, sondern ging einfach in die andere Richtung davon. Ich spürte einen Nadelstich im Herz. Wie verrückt war das alles? Ich liebte doch schon jemanden.

      Nach einigen Schritten drehte sich das rätselhafte Mädchen noch einmal um und freute sich anscheinend darüber, dass ich ihr hinterher gesehen hatte. Ertappt liefen meine Ohren rot an.

      „Ich heiße übrigens Gaya!“

      Sie winkte mir kurz zu, als wären wir schon lange Freunde. Mechanisch erwiderte ich den Abschiedsgruß.

      Konnte es sein, dass die Kleine sich so schnell in mich verknallte? Vielleicht war man hier besonders früh reif.