Anders Aaronson

Thuazar


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hatte eine gute Sicht auf den Hirnrichtungsplatz. Das Zimmer im dritten Stock des Gasthauses ›Zum goldenen Schwein‹ war perfekt für sein Vorhaben, so wie sooft zuvor.

      Auf dem Bett hüpften die Flöhe, das Stroh in den Kissen faulte und die Wanzen ließen sich von der Decke herunterfallen, um ihre Opfer zu piesacken. Andras war das egal. Er wollte hier nicht nächtigen. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen.

      »Jamon! Sind die Pfeile fertig?«

      Andras drehte sich zu dem Mann um, der auf dem Boden kauerte und dort mit Töpfen und Tiegeln und kleinen Blasrohrpfeilen hantierte.

      »Ja, gleich. ... bin kein Hexenmeister, sondern Giftmischer und wir wollen ja beide, dass das Gift seine Wirkung entfaltet«, kam die mürrische Antwort.

      »Beile dich. Die fangen gleich an.«

      »Ja! Bei allen Göttern. Das Gift muss an den Pfeilspitzen richtig getrocknet sein, sonst wirkt es nicht. Ich sage dir Bescheid!«

      Andras drehte sich dem Fenster zu. Er strich die schulterlangen, glatten, schwarzen Haare nach hinten und spähte durch den fadenscheinigen Vorhang hinunter auf den Marktplatz.

      Die Tribüne für den Statthalter Rands I. und die hohen Herren der Stadt wurde soeben hergerichtet. Die Schenken und Garküchen öffneten ihre Türen und Fenster und schon kam der erste Pöbel, um sich Bier zu bestellen.

      Die Henkersknechte brachten die Utensilien für die Hinrichtung. Nach einer Stunde stand auf der zehn Schritt im Quadrat und ein Schritt hohen Plattform alles bereit:

      Der vier Schritt lange, vorne spitz zu laufende Pfahl; die zwei Schritt lange Säge, das Kreuz mit den Lederriemen zum Fixieren, und der mächtige Topf Öl, der mit Kohlebecken erhitzt wurde.

      Die drei Bengel vom Morgen standen direkt an der Absperrung und hatten beste Sicht. Der frühe Vogel fängt den Wurm.

      Der Bettler, den sie geärgert hatten, schlug noch schnell ein Bein unter, um mehr Mitleid zu erregen, und freute sich auf ein lukratives Geschäft.

      Die Wirte hatten immer mehr zu tun. Zum Saufen hatte paradoxer weise auch der ärmste Hungerleider immer Geld. Und so füllte sich der Platz mit Schaulustigen jeden Alters.

      Andras schaute erschüttert hinab. Was war bloß aus dieser Stadt geworden. Seit vor zwei Jahren der Herrscher von hohen Horst, Rand I., Argan Tai im Handstreich einnahm, hatten sich die Bewohner, gebeutelt von Hunger und Armut, in blutgierige Monster verwandelt.

      Von der einst blühenden Metropole war nicht mehr viel übrig. Das weise, herrschende Königshaus war von Rands Henkersbeil ausgelöscht worden. Andras war der einzige Überlebende dieses Massakers gewesen.

      Nur noch das Recht des Stärkeren regierte die Straßen. Das gemeine Volk gab sich dem Suff hin, die neuen Adeligen, angeführt von dem Statthalter Sragon Kempra, frönten der Völlerei und die Armen verreckten kläglich im Dreck der Straße.

      Nur er, Andras, und ein paar andere versuchten, zumindest ein wenig das Schicksal mancher Unglücklichen zu lindern. Auch, wenn es nur so ging, dass er die Delinquenten selbst in Reuds Reich schickte.

      So wie heute, wieder einmal.

      »Hier Andras. Die Pfeile und das Blasrohr«, sagte Jamon und reichte ihm die Sachen.

      »Nur fünf Pfeile?«, fragte Andras entsetzt.

      »Mehr Gift hatte ich nicht«, bedauerte Jamon. Er legte Andras die Hand auf die Schulter. »Möge Reud deine Zielgenauigkeit mehren. Ich gehe nach unten und passe auf, dass du ungestört bleibst.« Er klopfte ihm auf die Schulter und ging.

      Andras schaute auf die Utensilien.

      »Wieder liegt es an mir, Schlimmeres zu verhindern«, flüsterte er und ging zum Fenster.

      Die fünf Henkersknechte mit ihren roten Kapuzen betraten die Plattform. Alle waren grobschlächtige, kräftig gebaute Männer. Ihre Brutalität war über die Grenzen Argan Tais hinaus bekannt. Die Menschen fürchteten und verachteten sie. Aber die Vorfreude auf die Abwechselung in ihren stumpfen Leben ließ sie alles vergessen, auch dass sie in der folgenden Woche schon die Nächsten sein konnten.

      Die lange Holzfällersäge, die von zwei Menschen geführt werden musste, wurde inspiziert. Einer der Henker entfernte noch die letzten Fleischfetzen von der jüngsten Hinrichtung und schmiss sie mit hämischen Lachen in die Menge, die angeekelt zurückwich. Zwei Ratten huschten herbei und schnappten sich die Leckerbissen.

      Der lange Pfahl wurde mit Fett eingeschmiert. Die Spitze wurde nochmal glatt geschliffen. Sie sollte spitz sein aber nicht zu spitz. Die inneren Organe sollten beim Pfählen zur Seite geschoben, nicht aufgespießt werden. Eine Kunst, die diese Männer perfekt beherrschten.

      Das Öl im großen Kochtopf war heiß. Die Mechanik um einen Menschen langsam in den Topf abzulassen, wurde installiert. Die Lederriemen am Kreuz, zum Fixieren der bedauernswerten Opfer, waren neu, stark und reißfest, mussten sie auch sein. Manche Männer bekamen übermenschliche Kräfte, wenn man sie häuten oder verstümmeln wollte. Vor kurzen noch hatte ein Schmied, nachdem man ihm den rechten Fuß abgehackt hatte, die Armriemen zerrissen, mit beiden Händen den Kopf des Henkersknecht erwischt und ihm mit einem Ruck das Genick gebrochen. Als Strafe dafür hatte es eine Woche gedauert, bis der Schmied endlich seinen letzten Atemzug getan hatte.

      Einer der Knechte nahm einen fetten Schinken und schmiss ihn in den Topf, mit dem heißen Öl. Das Zischen und Blubbern war so laut, dass die Menge ein wenig zurückwich. Der Knecht spießte das Fleischstück mit einem Speer auf, zog es heraus und warf den Schinken in die Zuschauer. Diesmal stoben die Menschen nicht auseinander, sondern sprangen mit Gejohle auf das halb rohe Stück Fleisch. Manche prügelten und schlugen sich, um etwas abzubekommen.

      Nachdem sich der Tumult gelegt hatte, kam eine unheimliche Stille über den Platz. Alle warteten, dass der oberste Richter und der Henker mit der Familie Lüten erschienen.

      Dann endlich konnte man die große Trommel hören, die das Eintreffen der Gruppe ankündigte. Der oberste Richter in seiner schwarzen Robe und dem hohen zylinderförmigen Hut hielt die Pergamentrolle mit dem Urteilsspruch und schritt voran. Dahinter schritt der Henker, komplett in schwarzes Leder gekleidet, behelmt und bewaffnet mit einem riesigen Beil. Er hielt das Seil, mit der er die Familie Lüten hinter sich herzog.

      Zuerst kam der Vater, der mit tippelnden Schritten hinterherlief. Fast nackt war er, über und über mit Brandwunden bedeckt. Die blutverschmierten Finger und Zehen zeigten jeden, der es sehen konnte, wo vor der Folter die Nägel gesessen hatten. Seiner Frau, mit der kleinen Dita an der Hand, hatten die Folterknechte nicht so hart zugesetzt. Ihr glasig stierender Blick zeigte aber, dass auch ihr übel mitgespielt worden war, wahrscheinlich so, wie es die Folterknechte immer mit gefangenen Frauen taten.

      Dita weinte tonlos in den Rock der Mutter. Ihre kleine Kinderseele war in den letzten Tagen durch die Grausamkeiten, die sie erleben musste, gebrochen worden. Wenn sie wüsste, was noch alles kommen würde ...

      Die beiden Söhne liefen mit stolz erhobenen Häuptern hinterher. Stolz erhoben, aber blutverschmiert, grün und blau geschlagen und die Lumpen, die sie anhatten, waren rotbraun verkrustet.

      Der Tross endete mit vierzig Soldaten, die sich nun rund um die Plattform verteilten. Langsam mit gemessenen Schritten betrat der Richter über eine kleine Treppe die Richtstätte und stellte sich in die Mitte.

      Langsam entrollte er das Pergament und schaute drohend in die Zuschauer. Die dumpfe Trommel endete mit einem Wirbel und die Menge verstummte.

      »Im Namen des Königs Rand I, von Hohen Horst, Protektor von Argan Tai, verkünde ich, dass die Familie Lüten wegen Wilderei zum Tode verurteilt worden ist und heute vom Leben zum Tod gebracht wird.

      Die Schwere des Verbrechens bestimmt die Schwere der Strafe. Arnen Lüten wird gepfählt, so wie er das Wildschwein gepfählt und über dem Feuer geröstet hat. Ernane Lüten wird die Haut abgezogen, so wie sie das Fell des Wildschweines abgezogen hat. Arend