Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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an das, was unser Garten zu bieten hat.

      „Das ist schön“, antwortet meine Mutter nur und ich sehe sie irritiert an.

      „Was ist aus dem Labor dort geworden?“, frage ich und schiebe mir eine Kartoffel in den Mund.

      Mein Vater beginnt nach einer kurzen Pause und einem schnellen Blick zu meiner Mutter zu erzählen, was sie nach ihrer Heimkehr vorgefunden hatten.

      „Das war echt gruselig, da so ein Loch im Garten zu haben, mit einem Raum darunter. Wer hätte das gedacht? Und dass dort drinnen noch die Leiche von Sophies Urgroßvater lag - echt schlimm!“ Er sieht mich an, als würde ihm erst jetzt etwas klarwerden. „Und du hast davon gewusst und warst sogar dort unten! Mensch Kind, warum hast du uns nie etwas gesagt? Es muss doch ein schrecklicher Albtraum für dich gewesen sein.“

      Ich sehe ihn nur an und schüttele den Kopf. Meine ganze Kindheit war von Albträumen geprägt. Da war das nicht viel schlimmer.

      Meine Mutter sagt, als wolle sie auf gar keinen Fall ein Gespräch auf das lenken, was ich kürzlich alles erlebt habe. „Es hatte wohl einen Brand in dem Labor gegeben, weswegen mein Urgroßvater damals starb. Und nun dürfen wir ihn am Dienstag beerdigen. Nach so vielen Jahrzehnten, in denen niemand wusste, was aus ihm geworden war. Ich werde ihm einen besonders schönen Grabstein aussuchen.“ Sie sieht traurig aus und mich überkommt sofort der Gedanke, dass auch sie mehr mit ihm verbunden sein könnte, als jemand aus normalen Familien mit verstorbenen Urgroßvätern verbunden ist, die sie dazu noch nicht mal selbst kennengelernt hatten.

      „Das machen wir natürlich“, sagt mein Vater und legt seine Hand auf ihre.

      Marcel und ich werfen uns einen verstohlenen Blick zu. Ich hätte gerne gewusst, was er darüber denkt.

      „Aber ich habe da noch etwas anderes, was ich gerne angesprochen hätte“, greift mein Vater nach einiger Zeit ein neues Thema auf. Da er aber wie wild an seinem Kotelett säbelt, wird mir gleich klar, dass es etwas Unangenehmes sein wird. Ich kenne meine Eltern zu gut. Als meine Mutter dann auch noch meinem Vater einen schnellen Seitenblick zuwirft, wird mir mulmig.

      „Naja, es geht darum …,“ mein Vater räuspert sich ein paar Mal, als hätte er sich verschluckt: „das Marcel bei dir schlafen will.“

      Oh ne. Nicht die Blümchen und Bienchen Geschichte.

      „Ach, Papa. Darüber brauchen wir nicht zu reden. Marcel und ich sind doch keine kleinen Kinder mehr. Außerdem schläft er bei mir und nicht mit mir … und wenn doch, dann werden wir natürlich verhüten.“

      So, ich hoffe damit ist alles geklärt. Ich bin mit Tim durch eine harte Schule gegangen, die sich nun auszahlt. Ich werde nicht mal rot.

      An dem Blick meiner Eltern sehe ich, dass sie kurz vor einem Herzinfarkt stehen. Sie scheinen geschockt zu sein, wie ich Problemgespräche führe und ich muss sagen, es tut gut, ihnen das einmal zu zeigen. Sie sind darin alles andere als Meister.

      „Gut. Okay“, stammelt mein Vater nur. Was soll er sonst auch sagen?

      Ich werfe Marcel einen Blick zu. Aber auch er scheint kurz vor einem Herzinfarkt zu stehen. Er sieht wirklich erschrocken aus. War es das Thema oder meine Aussage dazu, die ihn dasitzen lässt wie aus Marmor.

      „Ja, oder?“, frage ich ihn, um ihm wieder Leben einzuhauchen und weil es auch etwas Spaß macht, sie alle ein wenig zu schocken. Es fühlt sich irgendwie gut an.

      Er zuckt zusammen und ein Hauch von Röte huscht über seine Wangen. „Natürlich!“ Dann lässt er seine Haare tief ins Gesicht fallen und isst weiter, als gäbe es die nächsten Tage nichts mehr.

      Das nun aufkommende Schweigen gefällt mir. Ich esse in Ruhe meinen Teller leer und bin stolz auf mich. Ich habe das erste Mal in meinem Leben alle um mich Sitzenden mundtot gemacht. Eigentlich war das bisher immer Julians Part gewesen. Wenn auch mit anderen Themen. Natürlich ging es dabei nicht um Sex. Aber ich komme mir richtig erwachsen vor und bin stolz auf mich, dass Thema so cool gemeistert zu haben.

      Nach dem Essen will ich meiner Mutter in der Küche zur Hand gehen. Aber sie jagt mich hinaus. „Du brauchst mir nicht zu helfen. Du ruhst dich noch aus.“

      Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und greife nach Marcels Hand.

      Der unterhält sich gerade mit meinem Vater über seinen alten Golf, der schon so alt ist wie ich. Das sagt mein Vater zumindest, als Marcel das Baujahr erwähnt.

      Marcel sieht zu mir auf und wirkt seltsam verunsichert.

      „Komm!“ Ich ziehe ihn vom Stuhl, grinse meinen Vater entschuldigend an und schiebe Marcel vor mich her zur Treppe und hoch zu meinem Zimmer. Oben angekommen schließe ich die Tür, um unliebsame Mithörer auszusperren.

      „Alles okay?“, frage ich ihn.

      Er stottert ein „Ja!“

      „Was ist los?“ Ich werde misstrauisch. Ist Marcel sich plötzlich nicht mehr sicher, was uns betrifft? Er ist seit meiner Aussage beim Essen seltsam zugeknöpft und zurückhaltend.

      „Nichts!“, raunt er und sieht mich nicht an.

      „Hm, das glaube ich dir nicht.“ Ich will, dass er mit mir redet. Wenn er ein Problem hat, möchte ich das wissen. Er soll nicht genauso mit mir verfahren wie Tim. Das ertrage ich nicht.

      Er sieht auf und seine Augen schimmern silbrig. Mit einem Schritt ist er bei mir und ohne Vorwarnung zieht er mich in seine Arme und küsst mich.

      Ich fühle mich völlig überrumpelt. Aber gegen seine Küsse und seine starken Arme, die mich umschlingen, bin ich machtlos. Mein Körper beginnt zu kribbeln und mein Blut rauscht im Turbogang durch meine Adern.

      „Marcel!“, flüstere ich, als er uns einen Moment zum Luftholen gibt. Aus ihm scheinen alle Gefühle der letzten Wochen zu brechen.

      Ich lege meine Hände auf seine Wangen, um ihn einen kurzen Augenblick zu stoppen und sehe ihn an. Seine Augen sprühen vor Leidenschaft und ich spüre förmlich die Energie seiner Liebe zu mir. Es ist anders, als bei Tim. Marcel ist so ehrlich und liebevoll und was sein Blick mir verspricht, schenkt mir Vertrauen. Ich bin selbst von meinen eigenen Gefühlen zu ihm überwältigt.

      „Marcel …“, stammele ich, unsicher über das Gefühlschaos, das mich plötzlich auch bei ihm überfällt. Ich möchte ihm sagen, dass ich ihm tiefe Gefühle entgegenbringe, weil ich es in diesem Moment auch wirklich fühle. Aber ich schlucke nur und lasse mich wieder von ihm küssen. Sein Arm legt sich schützend um meinen Nacken und seine Küsse werden drängender. Ich kann ihn nicht halten und falle einen Schritt zurück. Die Tür hält uns auf. Marcel drängt sich an mich und in mir vibriert alles. Ich spüre die Anspannung seines Körpers und fühle, wie meine Beine drohen zu Pudding zu werden. „Marcel!“, hauche ich benommen: „Stopp!“

      Als hätte man einen Knopf gedrückt, erstarrt er und sieht mich fragend an.

      „Mir ist ganz schummerig“, flüstere ich verlegen.

      Seine Hand drückt mein Kinn hoch, damit ich ihn ansehe und er grinst mich frech an. „Das ist gut.“ Seine Stimme hat wieder diese tiefe Nuance, die sie nur in bestimmten Situationen an sich hat und die mich schwach werden lässt, jetzt wo ich erkenne, wann.

      Er lässt mich los.

      Noch bevor ich das bedauern kann, hebt er mich auf seine Arme und küsst mich wieder. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Ablenkungsmanöver ist. Aber als er mich aus seinen Armen entlässt, gleite ich direkt auf mein Bett.

      Kurz packt mich die Panik.

      Marcel schiebt sich neben mich, nur in Windeseile die Schuhe abstreifend, die polternd zu Boden fallen. Sein Mund sucht meinen und ich lasse mich einfach fallen, während ich mich einen Moment lang an Tim und mich im Krankenhausbett erinnert sehe.

      Meine Arme um Marcel schlingend, ziehe ich ihn ganz dicht an mich heran. Der Gedanke an Tim und mich ist wie ein Kick. Ich will Marcel jetzt und hier. Bei ihm fühlt es sich richtig an.

      Unsere