Weise Meise

Die Zufluchtsoase


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bei der Hausarbeit. Im Gegensatz zu meiner Schwester, wusste ich sofort, dass ich nie und nimmer heiraten, Kinder kriegen und Hausfrau werden wollte. Ich zog es vor, für die Schule zu lernen und dort mit meinen Freundinnen und Freunden Spass zu haben.« Die drei Frauen lächelten sich völlig gleichzeitig an. Es war ja nicht so, dass der Frau Dr. Elisabeth Brandner nicht bewusst war, dass auch diese beiden Damen vom Sozialamt nur ihre durchaus ehrenwerte Arbeit machten. Es war bloss so, dass sie ihre ganze vorhandene Kraft zusammenkratzen musste, um auf diese Art und Weise mit ihrer Vergangenheit konfrontiert zu werden- um ein letztes Mal endgültig mit dieser abzuschliessen. »Weil ich als Teenagerin keine Gelegenheit ausliess, um mich vor dieser Hausarbeit zu drücken und frecher denn je geworden war, riss meinem Vater der Geduldsfaden. In dieser Stunde verprügelte er mich das erste und das letzte Mal mit seinem Ledergurt. Als ich das in der Schule meiner besten Freundin erzählte, hatte diese ihre erste Tracht Prügel schon längst hinter sich. Daraus schloss ich, dass Eltern halt nun mal so sind.« Sie leerte ihr Wasserglas und servierte den anderen beiden Damen auch von ihrem selbstkreierten Minzen-Ingwermineralwasser. »Als ich ein Stipendium ergatterte und in die Stadt zog, um zu Studieren, besuchte mich meine Familie genau ein Mal zu Weihnachten im ersten Jahr. Dann sah ich sie alle erst nach dem Studium wieder. Darum war ich bis heute Nachmittag davon überzeugt, ihnen nichts mehr schuldig zu sein.« - »Wie alt waren Sie, als Sie ihr Elternhaus verliessen und in die Stadt zogen?«, erkundigte sich die Sozialarbeiterin. Elisabeth Augen leuchteten. »Sechzehn! Ich hatte einen genialen Lehrer, der mich und noch drei weitere Mädchen aus den umliegenden überschaubaren Dörfern, tatkräftig unterstützte. Wir waren alle hochbegabte Spitzenschülerinnen aus sozial benachteiligten Elternhäusern, wie es heute so schön heisst. Und aus seiner Sicht sollten wir unbedingt gefördert werden. Und so stellte uns ein alter Freund von ihm, ein sehr erfolgreicher Immobilienhai mit sozialem Gewissen, ein Stadtappartement zur Verfügung. Das war, entschuldigen Sie den Ausdruck, die geilste Zeit meines Lebens!« Die beiden Damen nickten anerkennend. »Mal ganz abgesehen vom Finanziellen: Gab es vielleicht trotz den ganzen Zerwürfnissen etwas, womit Ihre Eltern Sie unterstützten, zum Beispiel mit Wäschepaketen oder so?« Elisabeth schüttelte den Kopf. »Nein, das war zum Glück nicht nötig. Wir hatten das Glück, dass im Wohnblock, wo sich unser Appartement befand, ein Hausmeister befand, der sich auch sehr für uns einsetzte. Er konnte seine Frau dazu überreden, uns fleissigen Schülerinnen die Wäsche zu machen und uns hin- und wieder einen leckeren Kuchen zu backen. Als Gegenleistung hüteten wir manchmal ihre beiden kleinen Kinder und waren dank unseren Stipendien, selbstständig....«

      Elisabeths Schwärmerei wurde von zwei dumpfen Knallen auf den Balkonboden unterbrochen: In den ersten Sekundenbruchteilen sah es ganz so aus, als ob zwei Profieinbrecherinnen mit Seilen, die sie sich um ihre gertenschlanken Taillen gebunden hatten, vom Hausdach auf Elisabeths Balkon abgeseilt hatten. Die frischgebackene Sozialarbeiterin wollte schon die Polizei rufen, als die beiden jungen Frauen, schätzungsweise Anfang zwanzig, mit langen hochgebundenen Haaren und hübsch überschminkten Gesichtern an die gläserne Terrassentür klopften. »Das ist wohl der Nachteil, wenn die Hausfassade einen brandneuen Anstrich erhält und das ganze Haus mit Gerüsten umstellt ist«, scherzte Elisabeth. In ihren knappen schneeweissen Jeanshorts und dazu passenden bauchfreien Oberteilen, machten die beiden Beautys einen einigermassen harmlosen Eindruck. Als dann der einen noch das riesige Papierplakat mit der Aufschrift »Kommen Sie raus, sonst kommen wir rein- wir wollen nur informiert sein« vom Wind aus der Hand gerissen wurde, lachte das Frauentrio schallend los. »Falls es sich um mehr, als nur um einen originellen Gesprächsversuch handelt, können wir immer noch Hilfe beiziehen«, hielt Elisabeth die Damen vom Sozialamt davon ab, die Polizei zu rufen und liess die beiden herein. »In unserer Privatklinik werden keine Tierversuche durchgeführt.« - »Stellen Sie sich vor«, meinte die Schwarzhaarige. »Uns geht's ausnahmsweise mal nicht um Tier- oder Atomversuche. Heute geht's um ihre ganz persönlichen Angelegenheiten. Wir sorgen dafür, dass möglichst viele Ungerechtigkeiten auf dieser Welt ans Licht kommen.« - »Ist Ihnen beiden eigentlich klar, dass dies Hausfriedensbruch ist, was Sie da machen?«, warf die Sozialarbeiterin ein. »Ach Entschuldigung. Das ist uns bei Ihrer super Erreichbarkeit natürlich glatt entfallen. Wie dem auch sei: Wie kommt es, dass Ihre uralten Eltern spurlos verschwunden sind und ihre Wohnung, also ihr riesiges Haus komplett verdreckt ist - obwohl Sie angeblich gemeinsam mit Ihrer Schwester für sie sorgen?«, genoss die Schwarzhaarige ihren Auftritt. »Hören Sie mal, das geht Sie nun wirklich nichts an. Es ist besser, wenn Sie sich jetzt entschuldigen und gehen, bevor es für uns alle unangenehm wird«, mischte sich die Juristin ein. »Ist schon gut, solange Sie anständig mit uns reden, können wir das ohne weiteres Aufheben klären«, beschwichtigte Elisabeth. »Aber wie um alles in der Welt kommen Sie dazu, sich in meine privatesten Angelegenheiten einzumischen? Noch dazu in längst vergangene Dinge? Wer sind Sie überhaupt?« Die Schwarzhaarige lief zur Hochform auf: »Wir haben keine Personalausweise dabei, weil wir unsere Identitäten geheim halten wollen. Es ist folgendermassen: Ich führte ursprünglich gemeinsam mit meiner besten Freundin einen Rachefeldzug gegen das mobile Pflegeteam namens Bestcaregroup, das in unserer ganzen Kirchgemeinde sein Unwesen zu treiben schien-und das unter dem Vorwand, nur für alles und jeden das Allerbeste zu wollen, versteht sich. Das wäre eigentlich eine ganz gute Sache: Die Pflegerinnen gehen zu dir nach Hause, um dich zu pflegen und du musst zum Beispiel nicht in einem trostlosen Altersheim schmoren. Jetzt ist es aber leider so, dass diese Leute meinen Verlobten in den Tod getrieben haben. Ich denke, wenn ich aufdecke, was die alles verbockt haben, dann ist ihr Ruf ruiniert und ihr Treiben schon sehr bald Geschichte! Gleichzeitig erteile ich Angehörigen wie Ihnen und Ihrer Schwester, die mitgeholfen haben etwas zu verbocken, indem sie nicht hingesehen oder hingehört haben, eine Lektion. So macht der Tod meines Verlobten wenigstens Sinn.« Die Blondine verschränkte die Arme vor der Brust und nickte eifrig. »Sie müssen wissen, ihr Verlobter ist von einem Baugerüst gefallen und sass deshalb vorübergehend im Rollstuhl. Dann ist er im Bad irgendwie hingefallen, brach sich den einen Arm und war deshalb total auf diese Pflegerinnen angewiesen- die ihn dann aber zu Tode quälten.« Sie sah ihre Freundin von der Seite an. »Erzähl weiter«, begann diese zu weinen. »Seine Ex arbeitete auch in dieser Bestcaregroup und suchte sich natürlich ihn als Patient aus. Wie sie das geschafft hat, weiss kein Mensch.« Die Blondine streckte ihren Rücken dermassen durch vor Eifer, dass sie in diesem Augenblick mindestens zwei Zentimeter grösser erschien. »Auf jeden Fall kam sie nie pünktlich, um ihn zum Beispiel auf die Toilette zu bringen. Dann liess sie ihn stundenlang, in seinem, Sie wissen schon, liegen und wusch ihn dann erst, als sie Feierabend hatte- zu Spezialkonditionen, wenn Sie verstehen was ich meine. In seinem Abschiedsbrief schrieb er dann, dass sich diese beinahe kostenlose Feierabendpflege überhaupt nicht nur aufs Waschen, Anziehen und so beschränkte.« Sie machte eine weitere Kunstpause, bevor sie fortfuhr: »Dass alle anderen und vor allem die Chefinnen nichts davon mitbekamen, glauben wir nicht. Immerhin, und das rechnen wir diesem mobilen Pflegedienst hoch an, haben sie die Ex ihres Verlobten fristlos entlassen, als herauskam, was sie ihm angetan hatte. Worüber wir aber nicht hinwegkommen ist, dass sie vom Suizid ihres Verlobten erst durch die Angehörigen an der Beerdigung mitbekamen. Das ist der Grund, weshalb wir ursprünglich einen Rachefeldzug durchziehen wollten und jetzt auf Ihren Fall gestossen sind.«

      Die Damen waren sichtlich alle geschockt: »Und warum haben Sie beide dies nicht früher mitbekommen? Dagegen hätten Sie sich wehren können!« unterbrach sie Elisabeth. »Das war ja das Problem an der ganzen Sache. Ich und meine Freundin schmorten im Knast, während mein Verlobter diesen Unfall baute«, begann die Schwarzhaarige weiterzuerzählen. »Ich hatte keine Chance, mich um ihn zu kümmern. Seine Family war von Anfang an gegen unsere Beziehung und hat sich zuerst natürlich auch nicht um ihn gekümmert. Nur weil er seine doofe Ex meinetwegen verliess, wollten die von einem Tag auf den andern nichts mehr mit ihm zu tun haben. Das muss man sich mal vorstellen. Naja, irgendwann hat er diese Quälereien nicht mehr ertragen und sich eines Nachts mit drei Vodkaflaschen zu Tode gesoffen. Er könne einfach nicht mehr, hat er mir in einem Brief geschrieben. Er hat sich natürlich dermassen geschämt, dass er sich nicht getraut hatte, mit jemandem darüber zu reden- ausser eben mit mir.« Elisabeth setzte sich auf: »Das tut mir ja alles sehr leid für Sie und Ihren Verlobten: Aber was genau hat das mit mir und meinen Eltern zu tun?« - »Genau das wollte ich Ihnen gerade erklären. Also: Ausser meiner besten Freundin hier, die ich im Knast kennen lernte, habe ich auf dieser Welt nichts mehr zu verlieren. Ihr geht es ähnlich wie mir. Darum sind wir ins Büro dieser Bitches eingebrochen