Weise Meise

Die Zufluchtsoase


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haben.« Die Blondine nickte strahlend, während ihre Freundin fortfuhr. »Wir luden diese Infos auf einen Stick, raubten die Kaffeekasse leer und hinterliessen ausser einem aufgebrochenen Schloss rein gar nichts. Dass es hier um eine Gerechtigkeitsaktion von uns zwei Gerechtigkeitsaktivistinnen geht, wird uns keine Sau nachweisen können.« Elisabeth wurde langsam ungeduldig: »Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie beide mir jetzt endlich verraten könnten, was genau Sie über mich herausgefunden haben!« Die Blondine lenkte mit ihrer sanften Stimme sofort beschwichtigend ein: »Also: So freundlich wie Sie sind, sind Sie höchstwahrscheinlich von Ihrer eigenen Schwester total verarscht worden. Trotzdem gibt es folgende Möglichkeiten: Erstens: Ihre Schwester Ruth hat diesem Pflegedienst einen Brief geschrieben, in dem sie sagt, dass sie ihre Eltern gemeinsam mit Ihnen pflegt und Sie bloss noch Ihre Unterschrift darunter gesetzt haben. Anstatt dieses Versprechen einzulösen, liessen Sie ihre Eltern einfach in ihrem eignen Dreck krepieren. Zweitens: Ihre Schwester gab sich als Sie aus und unterschrieb mit Ihrem Namen: Dass Pflegefachkräfte nicht noch Unterschriften prüfen können, ist auch irgendwie nachvollziehbar«, schloss sie, worauf sie von der Schwarzhaarigen einen vernichtenden Blick erntete.

      Elisabeth musste sich auf dem sandbraunen Ledersofa, das perfekt auf die übrige Einrichtung abgestimmt war, hinlegen. »Nun meine Damen«, stöhnte sie vor Übelkeit. »Dass meine Schwester grundsätzlich ein böser und eifersüchtiger Mensch ist, war mir schon klar.« Die beiden Damen vom Sozialamt knieten sich zu ihr nieder, während die beiden Beautys ihren Triumph sichtlich genossen. »Sie war immer die bevorzugte Lieblingstochter meiner Eltern und schien sich gut mit ihnen zu verstehen. Als sie mir dann sogar handschriftlich den Kontakt zu ihnen dreien verbot, war ich überzeugt, dass sie sich um die beiden kümmern wird.« - »Okay Sie Superdetektivinnen«, fuhr die Sozialarbeiterin dazwischen »Haben Sie sich notiert, wann Frau Dr. Brandner und ihre Schwester diesen Brief geschrieben haben sollen?« - »Selbstverständlich nicht«, strahlte die Blondine triumphierend »das war der 1. August 2006, am fünfundzwanzigsten Geburtstag von Bastian Schweinsteiger! Sowas muss ich mir nicht aufschreiben.« Die Blondine lächelte verträumt vor sich hin und die Sozialarbeiterin war geschockt: »War dieses Datum dasjenige des Poststempels, das Datum des Maileingangs oder vielleicht nur das Datum, an dem der Brief geschrieben wurde? Weiss das jemand von euch noch?« Die Schwarzhaarige sah die Blondine ratlos an. »Das war natürlich das Datum von allem: Dass Intelligenzbestien darauf achten, dass alle diese Daten übereinstimmen ist ja wohl klar, oder?« Die Blondine kam aus dem triumphierenden Strahlen nicht mehr heraus. Die Juristin und die Sozialarbeiterin tauschten einen vielsagenden Blick. »Nun, Frau Brandner«, räusperte sich die Juristin als erste: »Das handgeschriebene Kontaktverbot, das Ihre Schwester sowohl in ihrem eigenen, als auch im Namen Ihrer Eltern verfasst hatte, traf genau einen Tag später, also am 2. August 2006 bei Ihnen ein. Es sieht ganz danach aus, dass Ihre Schwester Ihre Unterschrift zu fälschen versucht hat und diese beiden mutigen Damen hier dies rausgefunden haben.« - »Ganz genau«, pflichtete ihr die Schwarzhaarige bei und wandte sich an die Blondine: »Was meinst du? Wollen wir wenigstens unser gemeinsames Pseudonym verraten?« - »Wir sind TnT, schlagkräftig wie Dynamit. Das sind die Anfangsbuchstaben unserer Vornamen«, strahlte Tina. »Sehr originell«, lächelte die Sozialarbeiterin. »Aber warum verraten Sie beide uns nicht Ihre vollständigen Namen? Jetzt wo wir uns einander gegenseitig geöffnet haben?« - »Auch wir haben unsere Datenschutzgründe«, lächelte Tati voller Stolz. »Das ist überhaupt nicht irgendwie gegen Sie gerichtet oder sonst wie böse gemeint. Nehmen Sie das nicht persönlich.« Die Juristin blickte von ihren Notizen auf: »Nun, Frau Brandner: Was Ihre Schwester da fabriziert hat, erfüllt durchaus den Tatbestand der Urkundenfälschung. Da wird wohl einiges auf sie zukommen, das kann ich Ihnen versprechen.«

      »Das hoffe ich doch sehr«, begann Elisabeth weiter zu erzählen. »Schon nur für das, was damals passiert ist, möchte ich sie nur allzu gerne bestraft sehen. Meine Eltern sind so eigenwillige Menschen, die mit ihrem Lebensabend im Pflegeheim genug bestraft sind.« Die vier Überraschungsbesucherinnen lächelten sich versöhnlich an und hörten weiter zu: »Ich finde, was damals passiert ist, gehört auch in Ihre Akten, meine Damen. Also: Ich fuhr so ungefähr einen Monat später, nach diesem widerlichen Schriftverkehr, zum Bauernhof meiner Eltern. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich tatsächlich überzeugt, dass meine kleine Schwester die Unterschrift meiner Eltern auf diesem Kontaktverbot gefälscht hatte. Ich malte mir also aus, wie ich diesen gefälschten Brief meinen Eltern zeigen würde und wir drei als wiedervereinte Familie zu meiner Schwester fahren würden, um diese Lüge aufzudecken. Allerspätestens dann wäre ihr mieser Charakter entlarvt gewesen.« Elisabeths Stimme brach. Die Frauenrunde sah sich hilflos und betroffen an. »Wollen Sie vielleicht einen Schluck trinken, bevor Sie zum Krassesten kommen, Frau Doktor?«, legte die Schwarzhaarige fürsorglich den Arm auf ihre Schulter. Ohne eine Antwort abzuwarten, flitzte sie in die Küche, öffnete einen Schrank nach dem anderen und kam schliesslich mit einem Glas Leitungswasser und fünf kleinen Eisbechern zurück. Die anderen lächelten verlegen: »Das ist jetzt doch genau das Richtige, oder?« meinte sie. Bevor sie jemand an die allgemeinen Anstandsregeln ermahnen konnte, pflichtete ihr Elisabeth bei bevor sie fortfuhr: »Anstatt mir zuzuhören, oder zu erklären, weshalb sie dieses Kontaktverbot wollten, hetzten sie ihren Hund auf mich und jagten mich vom Hof. Ihre eigene leibliche älteste Tochter.« Sie brach in Tränen aus. »Und das nur, weil ich offenbar zu einem Wesen herangewachsen bin, dass ihnen überhaupt nicht in den Kram passte. Anstatt ihr verkorkstes, widerliches, ewiggestriges Bild von schulbegeisterten Kindern und Jugendlichen zu hinterfragen, jagten sie mich einfach aus ihrem Leben.« Sie sah in die wohlwollenden Gesichter der Damen vom Sozialamt. »Seit dieser Stunde versuche ich meiner Herkunftsfamilie keinen Raum mehr zu geben in meinem Leben. Ausserdem brauchte ich Jahre bei der Psychotherapeutin, um dieses und andere schreckliche Erlebnisse aufzuarbeiten und meine Vergangenheit zu bewältigen. Als es am schlimmsten war, konnte ich nicht einmal aufs Land fahren, um zu wandern und einfach nur die Natur zu geniessen.« Für einen Moment lang war es andächtig still. Die Sonne brannte ins klimatisierte Wohnzimmer und dieselben bunten Schmetterlinge, die Elisabeth an diesem Tag einen wunderschönen guten Morgen und einen guten Appetit wünschten, liessen sich für eine ganze Weile auf einer ihrer Sonnenblumen nieder. Sie krabbelten dermassen nah und harmonisch beieinander, als hätten sie sich in diesem Sommer frisch verliebt. Plötzlich flogen sie gleichzeitig an die Fensterscheibe, um im selben Moment in Richtung Himmel zu schweben.

      Während sich Elisabeth mit den Überraschungsgästen anfreundete und den Tag gemütlich ausklingen liess, befand sich Studentin und Ersatzmama Leonie Krug noch voll im Einsatz. Sie hatte heute den ganzen Tag bei der Caritas geholfen und ihre beiden »kleinen Geschwister«, wie sie die beiden immerzu liebevoll nennt, brauchten auch ihre Hilfe. »Schau Sven, wenn ich hier zehn Kirschen habe und vier wegnehme: Wie viele bleiben dann übrig?« Der Knirps rutschte auf dem Stuhl hin und her, schüttelte den Kopf und begann zu weinen: »Das weiss ich doch nicht.« Leonie setzte sich seufzend neben ihn an den Küchentisch: »Schau. Du musst nur diejenigen Kirschen zählen, die noch da sind, dann weisst du's. Probier nochmals.« Sie wandte sich dem Herd zu, um das Abendessen vorzubereiten, als das Handy klingelte: »Halloechen meine Grosse! Na, kommt ihr zurecht?« Sie verdrehte die Augen: »Hallo Tante Elisabeth: Ja, der Sven rechnet ganz fleissig und die Chantal hat heute eine eins im Deutschtest nach Hause gebracht.« Leonie musste den Hörer etwas vom Ohr nehmen, um keinen Gehörschaden zu erleiden: »Das ist ja grossartig! Stell dir vor: Dein Onkel kann hier dermassen gut abschalten, dass er sogar die Energie hat, aufs Laufband zu gehen.« Sie schluckte die Tränen. Sie fühlte sich auf einmal extrem müde und kratzte das letzte Bisschen Energie zusammen, um nicht loszuheulen. Im selben Augenblick stellte sie erleichtert fest, dass der Svennielein schon längst wieder davon geflitzt war. »Das freut mich so für Euch beide- nach all dem Stress in der Firma habt Ihr Euch das Echt verdient.« Nach ein paar weiteren Freundlichkeiten verabschiedeten sie sich und sie zauberte Svennielein' s Lieblingsgericht auf den Tisch: Spaghetti Bolognese mit extra viel Zwiebeln und Chili. Nach dem gemeinsamen Abendessen ging irgendwann auch im Hause Krug der Tag zu Ende: Leonie legte sich weinend ins Bett und bewunderte dabei die Handyfotos von ihrem letzten freien Campingwochenende: Cem strahlte von einer saftigen grünen Wiese am Waldrand während hinter ihm die gleissende Sonne in einem wunderbaren Morgenrot aufging. Seine vor Begeisterung funkelnden, tiefbraunen Bambiaugen blitzen tief in Leonies Herz hinein, wenn sie dieses Bild bewundert und können dort all ihre Tränen trocknen- bis anhin war ihr auf dieser Welt nichts wärmeres