K.B. Stock

Die Firma des Piloten


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      „Wer war das denn?“, fragte der den Funkverkehr mithörende Innenminister Schwarz in diesem Moment von hinten.

      „Das war, der individuellen Funkkennung nach, der Landrat des Kreises Deggendorf höchstpersönlich. Soweit ich aus einem Presseartikel weiß, war er früher Offizier beim KSK14 der Bundeswehr“, antwortete PHM Petersen umgehend.

      „Na ja, dieser Kerl ist zwar ein Roter, aber einer von der besseren Sorte. Glaub’ ich wenigstens. Bin mal gespannt, was er sagt, wenn ich gleich mit aus dem Hubschrauber aussteige.“

      „Politiker!“, grummelte Michael Wagner leise und innerlich lächelnd vor sich hin, als er den bezeichneten, höher gelegenen Landeplatz mit aller Vorsicht anflog.

      Nachdem die Rettungskräfte am Boden die beiden, als ungewöhnlichen Außenlast transportierten Personen, in Empfang genommen hatten, landete er den EC-135 gleich danach sanft auf dem Rasen des Sportplatzes der Berghamer Schule.

      „Schon wieder ein Ort namens Bergham, wenn auch ein ganz Anderer“, dachte Michael Wagner, als er die beiden Turbinen des Hubschraubers in den Leerlauf brachte und nach deren Abschalten die Rotorbremse einlegte.

      „Aber diesmal haben wir den Wettlauf gegen die Zeit gewonnen“, sagte er sich und war zum ersten Mal froh, dass dieser Tag bislang völlig anders, als der letzte Freitag verlaufen war.“

      Als der Hauptrotor des EC-135 zum Stillstand gekommen war, öffnete Michael Wagner seine Cockpittür und sprang auf den Boden, um Dirk Petersen beim Aussteigen seiner Gäste an diesem unvorhergesehenen Landeplatz zu unterstützen.

      Den Innenminister dem überaus verblüfften politischen Kontrahenten überlassend, eilte Michael sofort im Laufschritt zum RTW, in dem sein Kumpel Markus inzwischen mit einem Goldfolienumhang unter einer Infrarotlampe aufgewärmt wurde.

      „Fehlt ihm was?“, fragte er den anwesenden Notarzt augenblicklich.

      „Nein, Ihr Kollege ist nur ein wenig unterkühlt und nass geworden ist er auch. Aber ansonsten ist er unverletzt und wohlauf.“

      „Markus, alter Krieger, ich hatte schon gedacht, dass du ernsthaft zu Schaden gekommen wärst. So schnell, wie die Rettungskräfte dich gerade abtransportiert haben, war ich schon aufs Schlimmste gefasst. Aber wie ich sehe, liegst du nur faul unter einer Höhensonne auf einer bequemen Trage“, neckte Michael Wagner seinen Partner.

      „Du Spinner!“, grollte Markus Leitner sogleich. „Unkraut vergeht bekanntlich nicht. Aber ich bin nicht nur höllisch nass geworden, sondern ich friere auch noch immer. Lass mich also noch ein paar Minuten in Ruhe.“

      Da sich der besorgte Michael Wagner, selbst nach diesem verbalen Ausbruch seines Freunds, keinen Zentimeter von der Trage entfernte, sagte Markus mit entnervten Blick: „Sag mal, haben unsere VIP-Gäste eigentlich begriffen, dass so eine Rettung am Außenlasthaken eines Hubschraubers eigentlich noch nie versucht worden ist, weil sie gegen alle Regeln verstößt?“

      „Weiß ich nicht – ist mir aber auch egal. Zumindest war das eine absolut geglückte Premiere, auf die wir alle beide stolz sein können, denn bei dieser Harakiri-Aktion – noch dazu mit unserem obersten Dienstvorgesetzten an Bord – hat die Rettung von Menschenleben ausnahmsweise ja mal geklappt.

      Und was die Herren Vorgesetzten später mit mir machen, ist mir eigentlich ziemlich wurscht. Ich werde den Dienst ja sowieso über kurz oder lang quittieren müssen. Also denk dran – ich, und nicht du – habe das heute zu verantworten.“

      Doch Michael Wagners Befürchtungen erwiesen sich am Ende als absolut unbegründet. Nicht nur die ungewöhnliche Rettungsaktion seiner Crew ging durch alle Medien, sondern es wurden ihm und seiner gesamten Besatzung auf Veranlassung des Innenministers – nach dem in weiterer Abfolge sehr planmäßig verlaufenen VIP-Transport – viele Wochen später und völlig unerwartet zudem noch die bayerische Rettungsmedaille für den erfolgreichen Einsatz bei Hengersberg verliehen.

      Am Dienstag der zweiten Juniwoche, genau eine Woche nach dem spektakulären Rettungseinsatz an der Donau, fand die Trauerfeier für Michaels Eltern auf dem westlich der Stadt gelegenen Erdinger Friedhof unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt.

      Nicht nur viele Kollegen der Hubschrauberstaffel, sondern auch eine große Anzahl von Stammkunden sowie die gesamte Firmenbelegschaft der Wagner Logistik GmbH waren gekommen und standen an diesem noch immer regnerischen Tag mit am Grab.

      Und auch seine einzige noch lebende Verwandte, Waltraud Wagner, die jüngere Schwester von Michaels Vater, nahm an der aus Michaels Sicht viel zu pompösen Beerdigung teil und hielt ihn dabei beschützend fest an der Hand.

      Michael Wagner gab sich unterdessen sehr wortkarg und einsilbig, als er die Beileidsbekundungen entgegennahm, die er nur für die unvermeidlichen örtlichen Honoratioren zugelassen hatte.

      Obwohl er kaum zuhörte, waren ihm dennoch, genauso, wie bei den wenigen Firmenbesuchen der letzten Tage, schon während der Trauerfeier die verstohlenen, zum größten Teil aber auch ängstlichen Blicke der Firmenbelegschaft seines Vaters aufgefallen, da er sich als dessen Erbe bisher in keiner Weise zu einer Übernahme der Spedition geäußert hatte.

      „So mein Lieber – und wie soll’s jetzt deiner Meinung nach weitergehen?“, fragte Waltraud Wagner, als man nach dem Beerdigungstrubel am darauffolgenden, noch immer verregneten und für die Jahreszeit zu kühlen Mittwoch im verlassen wirkenden Wohnzimmer der Wagners gemeinsam vor dem entfachten Kaminfeuer beisammensaß.

      „Tante Traudel, im Moment weiß ich wirklich nicht, was ich machen soll.“

      „Aber die leidenden Mienen unserer fast 200 Mitarbeiter sind dir bei der Trauerfeier hoffentlich nicht entgangen – oder?“

      „Nein, liebes Traudchen – ich hab’s gesehen. Und deshalb fühle ich mich ja so mies. Ich wollte immer nur fliegen – und jetzt begreife ich langsam, wie selbstsüchtig das von mir war. Sag mal, könntest du nicht an Vaters Stelle die Firma übernehmen?“

      „Du spinnst wohl, Michi. Ich hab’ vom Speditionsgeschäft kaum eine Ahnung. Ich bin schließlich seit Jahren verwitwet und für sowas auch schon viel zu alt. Und nenn’ mich nicht immer ‚Tante Traudchen’ – du weißt, dass ich das schon von deinem Vater nicht leiden konnte.“

      „Ist ja gut, Tante Waltraud – ich dachte halt nur.“ „So, mein Neffe kann eigenständig denken, ich glaub’s ja fast nicht“, stellte Waltraud Wagner sichtbar genervt fest.

      „Ich will dir mal was sagen, mein lieber Bub. Ich kenne dich jetzt schon seit fast 30 Jahren, hab dich auf den Knien geschaukelt und dich in etlichen Urlauben auf unserem Allgäuer Bauernhof herumtoben lassen.

      Allerdings hätte ich – anders als dein alter Herr – dir deine Flieger-Sperenzien schon von Anfang an niemals durchgehen lassen. Doch das ist Schnee von gestern, denn jetzt bist du – und nur du ganz allein – in der Pflicht.

      Da draußen gibt es gut 200 Mitarbeiter deiner Spedition. Die haben fast alle Familie und die haben Angst, dass sie über kurz oder lang auf der Straße stehen werden, weil sie fürchten, dass du eventuell vorhast, die Spedition so rasch, wie möglich zu schließen, um das Tafelsilber zu verscherbeln.

      Für diese Menschen trägst du Verantwortung, mach dir das endlich mal klar. Also, was ist dir lieber? Willst du das windige Unternehmersöhnchen sein, das dem, was sein Vater in langen Jahren mit vielen Entbehrungen erfolgreich aufgebaut hat, den Todesstoß versetzt, oder willst du dich jetzt endlich mal so langsam zu deinem Erbe bekennen und die Dinge anpacken?“

      Michael Wagner überlegte eine ganze Weile, ehe er schließlich mit Bedacht antwortete. „Ich glaube Tante Traudel, du hast Recht. Man kann diese vielen Leute nicht im Regen stehen lassen.“

      „Nein, das kann man nicht, bin froh, dass du das endlich begreifst“, bemerkte Waltraud Wagner trocken, als Michael auch schon mit seiner Rede fortfuhr.

      „Mir