er sich mehrmals und fängt noch im freien Fall zu brennen an.“
„Ist jedem im Raum die Tragweite dieser Worte bewusst?“, fragte der Kripochef. „Ob ein Insasse schon tot war, bevor das Feuer ausbrach, oder ob der Tote schwere Verletzungen, die von einem Schlag herrühren könnten, aufweist, beweist in diesem Falle gar nichts. Verletzungen aller Art können mit dem Aufprall des Wagens auf den Felsvorsprung erklärt werden. Wenn ein Toter nicht Schussverletzungen aufweist oder nachweisbar ist, dass er gefesselt war, sind keinerlei stichhaltige Indizien für ein Verbrechen zu erwarten. Um es klar zu sagen: Wer einen perfekten Mord plant, ist an der Bergkuppe in Hinkofen an der richtigen Stelle. Man schlägt das Opfer nieder, setzt es an der Fahrerseite so in das Auto, dass das Lenkrad geradeaus zeigt und blockiert ist, lässt den Wagen an, löst die Handbremse, klettert schnell aus dem Auto, schließt die Tür, gibt dem Wagen noch einen Schubs – und Tschüss...“
„Nach dieser Besprechung fahre ich zurück an den Tatort“, sagte Manzinger. „Wir werden Tests mit ein paar Schrottautos machen. Dann können wir hoffentlich genauer sagen, ob es sich um einem Unfall oder ein Verbrechen handelt.“
„Klingt gut, ich wünsche Ihnen viel Erfolg“, sagte Kripochef Lange. „Nehmen Sie zwei Streifenbeamte mit, die sollen sich in Hinkofen umhören, ob irgendjemand heute Morgen etwas beobachtet hat. So, ich denke, wir haben das Wichtigste besprochen und die Aufgaben verteilt. Wenn nichts Gravierendes passiert, treffen wir uns morgen früh um 8.30 Uhr wieder. Außerdem verteile ich noch Kopien von dem Polizeibericht über den Unfall vor 20 Jahren an exakt derselben Stelle – wenn es denn ein Unfall war.“ Lange hatte die Akten intensiv durchgeackert, wollte sich von Fritsch aber dennoch nochmals erzählen lassen, was vor 20 Jahren passiert war.
SIEBEN
Fritsch ging recht zufrieden mit sich die paar Schritte zum Polizeirevier. Die morgige Ausgabe des Gondorfer Tagblatts war aus seiner Sicht im Kasten. Seine Aufmachergeschichte würde Tagesgespräch im Ort sein. Auch im überregionalen Teil war er vertreten und für den großen Bericht in der tz hatte er 500 Euro kassiert. Bad news are good news. Mit verbrannten Leichen ließ sich Auflage und Kohle machen. Rein beruflich betrachtet konnte er mit dem Geschehen zufrieden sein. Und jetzt war er gespannt auf das Gespräch mit dem Kripochef.
Neben den vielen Vereinen ist die Polizei der wichtigste Informant für einen Lokaljournalisten. Deshalb hatte Fritsch von Beginn an auf enge Kooperation und nicht auf Konfrontation gesetzt. Soweit er es beurteilen konnte, arbeitete die Gondorfer Polizei im Landesdurchschnitt gesehen durchaus erfolgreich. Die Aufklärungsquote war hoch, der Umgang mit den Bürgern in der Regel okay. In zwei, drei Fällen hätte der Lokalchef die Polizei an den Pranger stellen können, doch er hatte darauf verzichtet. Ein guter Journalist weiß mehr als er schreibt, war seine Devise.
Bei den Beamten der Dienststelle Gondorf kam dieser Kurs gut an. Mit dem Sprecher Georg Grundner pflegte er ein herzliches Verhältnis. Karl Adam kannte er aus seinen Kindertagen. Adam war einige Jahre älter als er, aber sie waren trotzdem immer gut miteinander ausgekommen. Zu Dienststellenleiter Steininger hatte er ein distanzierteres Verhältnis, aber das war von beiden Seiten so gewollt. Nur Kripochef Lange war bislang ein unbeschriebenes Blatt, einfach weil er erst seit kurzem in der Stadt war.
Fritsch war sich klar darüber, dass er in diesem Fall nicht nur recherchierender Journalist war, sondern als Zeuge, und womöglich sogar als Verdächtiger, mitten drin war im Geschehen. Auf einen Anruf bei einem Anwalt hatte er trotzdem verzichtet.
„Schön, dass Sie kommen konnten“, so empfing ihn Kripochef Lange.
„Lassen Sie uns mit offenen Karten spielen“, fuhr er fort, nachdem beide in Langes Büro Platz genommen hatten. „Dies ist kein Verhör, sondern ein Vier-Augen-Gespräch. Ich hab' mich in der Dienststelle über Sie erkundigt. Sowohl der Dienststellenleiter als auch Ihr alter Bekannter Adam legen die Hand für Sie ins Feuer. Sie werden als intelligent, vertrauenswürdig und kooperativ geschildert. Und Sie müssten entweder ziemlich dämlich oder unglaublich gerissen sein, wenn Sie den Heimkehrer Hans Schneider bei dem Treffen in Hinkofen umgebracht hätten. Wenn Sie jetzt noch ein Alibi vorweisen könnten, wäre jeder Tatverdacht vom Tisch.“
„Ich kann ihnen erzählten, was ich heute Morgen gemacht hatte“, antwortete Fritsch. „Um pünktlich bei dem Treffen um 8 Uhr zu sein, hatte ich mir vorgenommen, gegen 7.30 Uhr loszufahren. Man braucht 15 bis 20 Minuten von meiner Wohnung zum Treffpunkt und ich hab es mir zur Regel gemacht, bei wichtigen Terminen etwas früher dran zu sein, um noch ungestört eine Zigarette rauchen zu können. Nicht unbedingt, weil ich solch ein Süchtling bin, sondern weil eine Zigarette mir dabei hilft, mich auf die kommende Situation zu konzentrieren.
Deshalb hab ich den Wecker auf 6 Uhr gestellt, bin kurz unter die Dusche und hab mir einen Kaffee gemacht. Dafür gibt es keine Zeugen, weil ich allein lebe. Gegen 6.45 Uhr bin ich mit Blink, meinem Hund, eine Runde Gassi gegangen. Das ist für mich als Journalisten ziemlich früh und deshalb sind uns im Stadtpark zwei Hunde begegnet, die mein Blink nicht leiden kann. Ich denke, die betreffenden Frauchen, Frau Hierl und Frau Lüttgen, können das bestätigen. Das Treffen mit Frau Lüttgen war nämlich eher unfreundlich. Die Gute hatte ihren Köter nicht angeleint und hat mich dann noch angepflaumt, was ich so früh hier treibe, als ihr Hund auf meinen Blink losgegangen ist.
Ich denke, Frau Lüttgen ist meine beste Zeugin, auch wenn sie ihnen vermutlich sagen wird, dass sie einem unfreundlichen, arroganten Kerl wie mir jeden Mord zutraut. Nachdem kurz darauf die Stadtpfarrkirche geläutet hat, müsste dieses Treffen kurz vor 7 Uhr stattgefunden haben. Mit Blink war ich so gegen 7.15 Uhr wieder daheim. Dann musste ich kurz auf die Toilette und dem Hund Fressen geben. Anschließend hab ich noch einen Kaffee getrunken und war, das weiß ich noch, recht stolz auf mich, dass ich, wie ich es mir vorgenommen hatte, um genau 7.30 Uhr die Wohnung verlassen habe.
Bei der Fahrt zum Treffen mit Schneider ist mir nichts aufgefallen. Und weil ich wie gewünscht früh dran war, hab ich bei der Kapelle im Wald noch angehalten. Dort habe ich niemanden gesehen. Das ist alles, was ich an Alibi zu bieten habe. Ich hätte also auch die Strecke durchfahren können und gerade noch Zeit gehabt, Hans Schneider zur Begrüßung niederzuschlagen und ihn mit seinem Wagen zur Hölle zu schicken. Aber, ehrlich gesagt, gehört es nicht zu meinen morgendlichen Gewohnheiten, Menschen zu töten.“
Nach diesem langen Monolog sah Fritsch Lange erwartungsvoll an. Der Kripochef hatte bislang keine Miene verzogen. „Nun ja, ein perfektes Alibi sieht anders aus, aber was Sie erzählen, klingt glaubwürdig und überzeugend. Wir werden mit der betreffenden Dame sprechen. Wenn es Ihnen recht ist, bitte ich zwei Streifenpolizisten herein. Ich habe hier einen genauen Plan der Kapelle. Zeigen Sie doch den Beamten, wo Sie geparkt haben und was Sie dann gemacht haben. Es wäre natürlich ideal, wenn die Kollegen Ihre Kippe finden könnten.“
„Klingt gut“, antworte Fritsch und vertiefte sich in die Landkarte, während die beiden Polizisten hereinkamen. „Ich hab hier geparkt“, dabei deutete Fritsch auf den Plan, „und bin dann diesen kleinen Feldweg entlang gegangen. Nach ca. 50 Metern bin ich stehengeblieben und habe die Umgebung auf mich wirken lassen. Nach dem Knall hab ich die Zigarette in die Büsche geworfen, wenn ich mich recht erinnere mit Blick auf die Kapelle. Die Kippe müsste also hier zu finden sein“, sagte Fritsch und machte mit einem Stift einen Kreis um die Stelle.
„Bevor Ihr losfahrt, ruft bitte bei Frau Lüttgen an und fragt sie, ob Ihr kurz bei ihr vorbei kommen könnt“, sagte Lange zu den Beamten. „Fragt sie, ob sie sich an eine unliebsame Begegnung mit Herrn Fritsch und seinem Hund heute Morgen im Stadtpark erinnern kann. Danach fahrt bitte zur Kapelle.“
Lange wartete, bis die Streifenpolizisten die Tür geschlossen hatte, dann wandte er sich wieder Fritsch zu:
„Wer wusste von dem Treffen mit Schneider?“
„Ich hab keinem davon erzählt“, entgegnete Fritsch. „Um Ihren Fragen zuvor zu kommen. Ich habe am Freitagnachmittag daheim einen Anruf von Schneider bekommen. Weil ich so überrascht war, hab ich hinterher auf die Uhr gesehen. Da war es eine Minute nach 18 Uhr. Ich hab kein Tonband laufen lassen, aber weil das Gespräch recht kurz war, kann ich es ziemlich genau wiedergeben.