Pseudonym Fronlacher

Der Sumpf des Bösen


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Schneider ist ausgewandert, einer ist Arzt in Frankreich, einer, Johann Dirks, gilt seit dem Abitur als verschollen. Dessen Eltern waren Österreicher, die sind kurz nach dem Abitur weggezogen und keiner weiß, wo Johann abgeblieben ist.

      Clarissa arbeitet in Hamburg, zwei Mitschüler sind in Berlin, Bibi lebt in Würzburg, ungefähr ein Dutzend Leute leben in und um München und der große Rest ist im Landkreis Gondorf geblieben. Nach zwei Wochen hatte ich von fast allen Mitschülern die aktuellen Adressen, mit Ausnahme von Johann Dirks, was zu erwarten war, und von Hans Schneider. Dessen Wohnort hatte selbst Dinzig, der ja vermutlich auf den Polizeiapparat zurückgreifen konnte, bei den zwei früheren Klassenfesten nicht ermitteln können.

      Das weckte in mir natürlich den Ehrgeiz. Das Internet bietet ja heute ganz andere Möglichkeiten. Wenn man mit Suchmaschinen gut umgehen kann, findet man wahnsinnig viel. Es hat mich einen freien Abend gekostet, mit Hilfe von Suchbegriffen wie „Holzverarbeitung“, „Sägewerk“, exotische Hölzer“, etc. immer in Verbindung mit Südamerika, Argentinien und Paraguay, auf die Spur von Hans Schneider zu kommen. Schließlich habe ich eine kleine Firma namens Hazienda FairWoods am Rande des Urwalds in Paraguay gefunden, als dessen Inhaber ein gewisser Hans Schneider eingetragen ist. Und an diese Adresse habe ich das Einladungsschreiben für das Klassentreffen verschickt. Das war Anfang Januar. Eine Antwort ist nie gekommen – bis letzten Freitag.“

      „Haben Sie von dem Adressenfund jemanden erzählt?“, hakte Lange nach.

      „Es gab keinen Grund, das zu verschweigen“, sagte Fritsch. „Ich hab natürlich Dinzig erzählt, dass die freie Presse besser darin ist, Leute zu finden als die Polizei. Und ich weiß noch, dass ich Renate, die ich von den Leuten im Organisationskomitee am besten kenne, davon erzählt habe. Und wenn ich Mitschüler von früher getroffen habe, die sich nach dem Stand der Anmeldungen erkundigt haben, dann hab ich dem ein oder anderen sicher auch von Hans Schneider erzählt. Wer das alles im Einzelnen war, kann ich einfach nicht mehr sagen. Das geschah ja alles eher im Januar und Februar, als ich stolz darauf war, Schneider entdeckt zu haben. Als aber keine Antwort kam, habe ich natürlich zu zweifeln angefangen, ob ich überhaupt den richtigen Hans Schneider gefunden hatte.“

      „Wie geht das jetzt weiter mit dem Klassentreffen?“, wollte Lange wissen.

      „Das ist eine gute Frage. Wir haben 35 feste Anmeldungen, fünf oder sechs Wackelkandidaten und neben Clarissa noch zwei Leute in Berlin, von denen keine Antwort gekommen ist. Bei den Dreien sollte ich eigentlich heute telefonisch nachhaken, aber das werd ich wohl bis morgen verschieben.“

      „Und bei Clarissa werden Sie sich vorher noch einen Schnaps genehmigen, um sich Mut anzutrinken, vermute ich mal“, sagte Lange.

      Fritsch schnitt eine Grimasse und ging darauf nicht ein. „Geplant ist, dass wir uns am kommenden Samstag um 15 Uhr an der alten Schule treffen, dort mit dem jetzigen Rektor einen Rundgang machen und dann ab 16.30 Uhr im Hotel Post sind“, fuhr Fritsch fort. „Wenn sicher ist, dass der Tote Hans Schneider ist, werde ich das allen Klassenkameraden per E-Mail mitteilen. Ich bin ja katholisch erzogen und werd mal schauen, ob wir für diesen Fall kurzfristig eine Andacht in der Stadtpfarrkirche für 17 Uhr bekommen. Wobei: Ich muss noch mit den anderen sprechen, ob wir das Klassentreffen nicht kurzfristig absagen.“

      „Wenn die Leiche identifiziert ist, dann lassen Sie uns darüber nochmals reden. Kann sein, dass ich Ihre Hilfe brauche“, sagte Lange.

      „Woran denken Sie?“

      „Dass Sie das Klassentreffen auf keinen Fall absagen und Ihren E-Mails den Satz hinzufügen, dass die Polizei sie gebeten hat, allen Mitschüler mitzuteilen, dass sie zum Klassentreffen kommen und Zeit für ein kurzes Gespräch mit der Polizei einplanen sollen. Wer nicht kommt, den müssen wir gegebenenfalls nach Gondorf vorladen oder am Wohnort von Kollegen befragen lassen. Das wäre machen peinlich, vermute ich mal.“

      „Ich sehe Sie schon in Action, wie Sie am Klassentreffen alle verhören und dann wie ein Meisterdetektiv beide Mordfälle lösen“, scherzte Fritsch.

      „Warten wir mal ab“, sagte Lange. Es klopfte an der Tür, ein Beamter trat ein und flüsterte Lange etwas ins Ohr. „Entschuldigen Sie“, sagte er, „ich bin gleich wieder da.“ Fritsch nutzte die Gelegenheit, sein Handy auf Nachrichten durchzusehen. Es war nichts wirklich Wichtiges dabei, außer einer SMS von Renate, dass es einem ihrer Kinder nicht gut ging und sie deshalb das gemeinsame Abendessen verschieben mussten – auf morgen?! Fritsch sendete ein „Gute Besserung für Elena“ und „Lass uns morgen telefonieren. Ich bin noch bei der Polizei.“ zurück. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es inzwischen nach 19 Uhr geworden war und er einen Mordshunger bekam.

      Als ob die Polizei Gedanken lesen könnte, brachte ein Polizist ein Tablett mit Wurstbroten herein und sagte: „Bedienen Sie sich!“ Fritsch kaute gerade an seinem zweiten Brot, da kam Lange zurück auf legte ein Foto, genauer gesagt ein gezeichnetes Gesicht, vor ihm auf den Tisch.

      „Wissen Sie, wer das ist?“, fragte Lange hörbar aufgeregt.

      „Ihr Killer aus der Pampa?“, gab Fritsch zurück.

      „Quatsch, das ist Hans Schneider. Zumindest ist das laut Zeugenaussagen der Mann, der gestern am Münchner Flughafen angekommen und sich einen Mietwagen genommen hat – auf den Namen Hans Schneider. Erkennen Sie ihn wieder?“

      Fritsch stieß einen leisen Pfiff aus und sah sich die Zeichnung genau an. Sie zeigte einen dunkelhäutigen Mann mit kurzen, dunklen Haaren, einem gepflegten Bart, der bei den Koteletten begann und das gesamte Gesicht einrahmte. Der Mann blickte ernst, aber nicht unfreundlich drein. Die hageren Gesichtszüge deuteten darauf hin, dass der Mann wusste, was körperliche Arbeit bedeutete. Ansonsten gab es keine besonderen Kennzeichen, keine Narben, keine schiefe Nase. Die dunklen Augen sahen den Betrachter eher fragend an.

      „Nun?“, fragte Lange gespannt, als Fritsch wieder aufschaute.

      „Was erwarten Sie, ich habe Schneider zuletzt vor 20 Jahren gesehen. Beim Klassentreffen vor 10 Jahren waren drei Typen, die ich auf Teufel komm raus nicht zuordnen konnte. Hinterher stellte sich heraus, dass einer der dreien in der 11. Klasse fast das ganze Schuljahr neben mir gesessen ist.

      Und Schneider hat zwei Jahrzehnte in einem anderen Kontinent gelebt und dort vermutlich viel mitgemacht. Ich schätze, er ist in dieser Zeit ein anderer geworden – innerlich wie äußerlich. Der Mann auf dem Foto könnte Schneider sein, aber genauso gut der verschollene Dirks oder meinetwegen der bei dem letzten Abifest umgekommene Paulik. Und vier oder fünf andere aus der Klasse mit dunklen Haaren ebenso.

      Ja, irgendwie kommt mir das Gesicht bekannt vor. Aber erst mit der Stimme, mit der Körpersprache, mit der Art, wie sich die Person benimmt, würde ein Wiedererkennen möglich werden.“

      Lange ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken und griff zu einem Wurstbrot. „Ich nehm mal an, dass wir beide heute noch kaum etwas gegessen haben“, sagte der Kripochef. „Deshalb hab' ich uns etwas kommen lassen. Nachdem die Dienstzeit schon längst vorbei ist, genehmige ich mir ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank. Mögen Sie auch eine Flasche?“

      Da sagte Fritsch nicht nein. Die beiden prosteten sich zu und aßen dann in Gedanken versunken einige Zeit, ohne etwas zu sagen. „Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Fritsch.

      „Ich hoffe, dass heute im Laufe des Abends und der Nacht noch Berichte aus Asuncion einlaufen. Dazu werde ich mit dem Kollegen, der am Flughafen München ist und der mir die Phantomzeichnung geschickt hat, nachher noch sprechen. Ich hoffe, dass wir bis morgen Mittag ein gutes Stück weiter sind.“

      Fritsch überlegte kurz und sagte: „Sie haben die Sache offenbar gut im Griff.“

      „Ich bin noch neu hier“, sagte Lange. „Ich will und darf mir keine Fehler erlauben. Wie mir die Kollegen erzählt haben, wissen Sie mehr als die Polizei erlaubt. Dann wissen Sie sicher auch, dass der frühere Dienststellenleiter nicht ganz freiwillig in den Frühruhestand gegangen ist. Damals ist die Sache mit den Autoschieberbanden aus dem Osten hochgekocht.

      Die