Pseudonym Fronlacher

Der Sumpf des Bösen


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Dir?

      „Bitte Fidschi, hör gut zu! Ich komme nach Gondorf. Ich möchte Dich am Sonntag um 8 Uhr bei Hinkofen treffen – oben auf dem Berg. Kannst Du kommen?

      „Ja, natürlich. Aber willst Du nicht zu mir nach Hause kommen. Ich wohne...“

      „Bitte Fidschi, ich hab wenig Zeit. Lass uns am Waldrand treffen. Und ganz wichtig: Sag bitte niemanden etwas von unserem Gespräch, keinem Menschen. Hast Du verstanden?

      Ja, ich sag nichts.“

      „Gut, dann bis Sonntagmorgen. Ich muss jetzt Schluss machen. Servus und Danke!“

      „Und dann hat er auch schon wieder aufgelegt. Schon seltsam für das erste Lebenszeichen nach 20 Jahren – finden Sie nicht?“

      „Das können Sie laut sagen“, antworte Lange, der gespannt zugehört hatte. „Was waren Ihre ersten Gedanken?“

      „Klingt wahrscheinlich makaber. Aber mein erster Gedanke war: Immer noch der alte Schnösel. Ich hab' Ihnen ja schon heute Morgen erzählt, dass Schneider und ich nicht gerade die besten Freunde waren. Dass er mich am Telefon einfach „Fidschi“ genannt hat, hat mich überrascht. Meinen Nachnamen als Spitznamen benutzen eigentlich nur meine Freunde. Schneider hat mich früher eher mit meinem Vornamen, also Bernhard, angeredet. Schon seltsam, was einem so durch den Kopf geht.“

      „Haben Sie seine Stimme wiedererkannt?“

      „Ehrlich gesagt nein, aber ich bin mir nicht mal sicher, ob ich seine Stimme wiedererkennen würde, wenn er hier im Raum sitzt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Es gibt zwei, drei Frauen, die mir wichtig sind, da erkenne ich die Stimmen auch nach längerer Zeit sofort wieder, da wird wohl eine bestimmte Saite im Inneren angesprochen. Bei Männerstimmen ist das anders. Wobei: Den Fall, dass ich eine Stimme erst nach 20 Jahren wieder höre, hatte ich bislang ja noch nicht. Und dann hat er seinen Namen gleich am Anfang genannt. Es war aber keine Zeit für das berühmte Ratespiel: Woher kenne ich bloß diese Stimme?“

      „Das heißt mit anderen Worten: Der Anrufer hätte auch jemand anderer sein können als Hans Schneider?“

      „Wenn Sie so fragen, kann ich das nicht ausschließen. Das macht den Fall wohl nicht einfacher?“

      Lange seufzte: „In diesem Fall ist nichts einfach. Aber die Frage der Identität können wir hoffentlich klären, wenn wir Antworten aus Südamerika haben. Nachdem die acht Stunden hinterher hinken, kann das noch dauern. Was ist Ihnen an der Stimme und am Inhalt des Gespräches sonst noch aufgefallen?“

      „Beim ersten Hören klang das recht witzig, wie ein gehobenes Bayerisch mit spanischem Akzent. Ich hab über das Gespräch lange nachgedacht, gleich am Samstagabend und natürlich nach dem schrecklichen Tod. Ich hatte das Gefühl, der Anrufer hatte sich seine Worte genau überlegt. Das klang fast wie abgelesen oder auswendig gelernt. Es klang, als hätte der Mann einen klaren Plan, den er durchziehen wollte. Ich hätte zum Beispiel gern gefragt, um was es eigentlich geht und warum die Geheimnistuerei, aber dazu hatte ich gar keine Chance. Klar war mir nur, dass es sich um keinen Spaß handelt. Da steckte was Ernstes dahinter.

      Dann hab ich mich gefragt, warum Schneider gerade mich angerufen hat. Die plausibelste Antwort darauf ist wohl, dass ich ihn wegen des Klassentreffens angeschrieben hatte und er deshalb ganz einfach meine aktuelle Adresse und meine Telefon- und Handynummer hatte.

      Der seltsame Ort des Treffens hat mich natürlich auch beschäftigt. Mir sind zwei mögliche Antworten eingefallen. Entweder haben die Gründe für seine Rückkehr tatsächlich mit jenem verhängnisvollen Fest vor 20 Jahren zu tun. Oder Schneider hatte eine ganz andere Rechnung zu begleichen und wollte Inkognito bleiben. Als geheimer Treffpunkt macht sich die Stelle am Waldrand ja wirklich gut.“

      „Ich weiß es zu schätzen, dass Sie so offen zu mir sind“, sagte Lange nachdenklich. „Wir werden nicht darum herumkommen, dieses Rätsel gemeinsam zu lösen, vor allem dann, wenn es mit den Vorkommnissen vor 20 Jahren zu tun hat. In Krimis sagt der Kommissar ja immer zum Privatdetektiv, halten sie sich raus aus der Sache, das ist Sache der Polizei. In diesem ganz besonderen Fall biete ich Ihnen an, dass wir sehr eng zusammenarbeiten. Dazu müssen Sie mir aber versprechen, dass Sie Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungsarbeit vertraulich behandeln und nichts schreiben, was den Erfolg der Ermittlungen gefährdet.“

      „Darauf haben Sie mein Wort“, entgegnete Fritsch nach kurzem Überlegen. „Was ich weiß, sage ich Ihnen, egal ob als Zeuge oder sozusagen als Partner. Über das, was vor 20 Jahren passiert ist, habe ich mir oft den Kopf zerbrochen. Für Sie ist der Fall neu, vielleicht sehen Sie etwas, was allen anderen nie aufgefallen ist. Auf der anderen Seite helfe ich Ihnen gern, wenn es um Hintergründe von damals geht. Das Ganze liegt wie ein böser Fluch auf unserem Abiturjahrgang.“

      „Dann haben wir das ja geregelt“, sagte Lange. „Erzählen Sie mir etwas über das Klassentreffen, das ja offenbar der Anlass oder der Grund für Schneiders Rückkehr war.“

      „Okay, wo anfangen?“ sagte Fritsch. „Das erste Klassentreffen haben wir fünf Jahre nach dem Abitur gemacht. Das haben damals die zwei Kollegstufensprecher organisiert, es sind gut drei Viertel der Leute gekommen, es war recht stimmungsvoll und dauerte bis zum nächsten Morgen, wenn auch der Schatten der drei Toten schon irgendwie spürbar war.

      Fünf Jahre danach hatten wir ein zweites Klassentreffen, da kam aber nur noch höchstens die Hälfte des Jahrgangs und die meisten sind um 10 Uhr abends wieder gefahren. Danach schlief die Sache ein. Einer der Kollegstufensprecher ist als Arzt nach Frankreich gezogen, die andere Sprecherin, die hier im Landkreis gewohnt hat, ist bald danach bei einem Verkehrsunfall gestorben. Jetzt keine Panik kriegen. Ich hab' damals über den Unfall geschrieben: Stauende auf der Autobahn, ein Laster ist in den Wagen meiner ehemaligen Mitschülerin gebrettert. Das war bestimmt ein Unfall und nichts anderes.

      Wie gesagt, die Organisatoren waren nicht mehr da und nach dem eher misslungenen zweiten Treffen war auch kein Bedarf zu spüren. Aber bei denen, die nach der Schule in Gondorf geblieben waren oder nach dem Studium wieder zurückgekommen sind, hieß es in den letzten Jahren häufiger: „Also zum 20. mach ma scho wieder a Klassentreffen.“ Und wie das so geht: Ende letzten Jahres haben sich vier Leute – Michael Fischer, Dieter Voss, Renate Amter und ich – getroffen, um dieses Treffen vorzubereiten. Und weil alle gemeint haben, ich als Journalist, der gut recherchieren kann, wäre doch der ideale Mann, um die aktuellen Adressen herauszufinden und mit den ehemaligen Mitschülern Kontakt aufzunehmen, habe ich diese Aufgabe übernommen.“

      Zum ersten Mal während des Gesprächs musste Lange schmunzeln: „Es hat ja nicht direkt mit der Sache zu tun, aber da muss ich einfach nachfragen. Es gibt viele Leute, mich eingeschlossen, die um Klassentreffen einen großen Bogen machen. Was in aller Welt bringt denn jemanden dazu, solch ein Treffen auch noch zu organisieren?“

      Fritsch ließ sich Zeit mit der Antwort: „Das habe ich mich in den letzten Monaten auch oft gefragt. Natürlich sind das meist schreckliche Veranstaltungen, bei denen sich Leute treffen, die sich nichts mehr zu sagen haben. Aber: Es gibt halt ein, zwei Leute, in meinem Fall Frauen, die ich einfach gern wiedersehen würde. Wenn die kommen, würde sich die ganze Sache lohnen.“

      „Um wen geht es denn da?“, frage Lange neugierig.

      „Was sie alles wissen wollen“, sagte Fritsch. „Na gut, um Clarissa Lenz und Bibi Freiwald. Clarissa war der umschwärmte Star der gesamten Klasse, und Bibi war ein hübsches, nettes Mädchen, mit dem ich vor langer Zeit mal was hatte. Wann immer ich an die früheren Zeiten denke, kommt ganz schnell der Gedanke: Was ist wohl aus Clarissa geworden? Was macht Bibi jetzt?“

      „Und“, wollte Lange wissen, „kommen die Beiden?“

      „Bibi hat per E-Mail zugesagt, von Clarissa hab ich noch keine Antwort.“

      „Wie ist denn generell die Resonanz und wie lief das mit Schneider?“

      „Wir waren damals rund 50 Abiturienten. Dazu kommen noch eine Handvoll Leute, die irgendwie dazugehören,