Dorothée Linden

SCHULD-LOS


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an total falsch? „Klar, gerne“, korrigierte er sich.

      Als hätte es eine idiotische Bemerkung nicht gegeben, reichte Frank der Fahrer seinem Bruder Konrad dem Beifahrer eine Marlboro. Konrad nahm den Anzünder, hielt ihn an die Zigarette, nahm einen tiefen Zug und reichte sie wortlos und ohne sich umzublicken nach hinten zu Martin, dem Mitreisenden auf der Rückbank.

      „Danke Euch“, versuchte es Martin betont entspannt.

      „Pass mal auf, Kleiner! Wir haben eine Menge vor. Vergiss es mit „Danke“ hier und „Danke“ da. Pass lieber auf, was so abgeht, vielleicht findest Du dafür mal nützliche Verwendung.“

      Es war Frank der Fahrer, der das sagte. Er und Konrad schauten sich an und lächelten. Frank konnte die Dinge so wahnsinnig präzise auf den Punkt bringen. Es war ihm schon klar gewesen, dass er nur lernen würde von den beiden. Wenn ihm nur nicht ständig solche Patzer unterlaufen würden. Aber gar nichts sagen? In dem Moment fiel ihm seine Strategie ein.

      „Mmmh“, sagte er.

      „Genau“, sagte Frank.

      „Meinst Du wirklich?“, sagte Martin. Oh, er vermasselte es schon wieder. „Mmh“, schob er nach und biss sich auf die Lippe, um jeden weiteren Kommentar eines ahnungslosen Fünfzehnjährigen zu unterdrücken.

      „Sag mal, mein Mini“, mischte sich Konrad in die Unterhaltung, “was erwartest Du eigentlich von unserer Reise?“

      Martin fand sowohl die Anrede „Kleiner“, die Frank immer gebrauchte, als auch die „mein Mini“ – von Konrad benutzt in Anspielung auf seine Ministrantenzeit mit ihm, ziemlich blöd und alles andere als vielversprechend für eine angemessene Behandlung auf der weiteren Reise. Aber darüber sollte er sich jetzt besser nicht beklagen. Davon mal abgesehen hatte er keinen Schimmer und erst recht keine passende Antwort auf eine solch schwierige Frage.

      „Was meinst Du, erwarten?“, fragte er zurück.

      „Du musst Dir doch was vorgestellt haben. Was so abgeht, bei einem ganzen Sommer in Frankreich, der nun vor Dir liegt.“

      „Mmmh“, erinnerte sich Martin in letzter Sekunde, „mal sehn. Es kommt wie es kommt. Und et hätt noch immer jot gegange.“

      Vorne lachten sie. Er hatte Terrain zurückgewonnen. Über den Spruch hatten Vera und er sich neulich kaputtgelacht. Einen ganzen Nachmittag lang. Sie hatten im Fernsehen eine Karnevalssendung geguckt und da wurde alles durchgenommen, was im Karneval so an Sprüchen im Umlauf war. Die kölschen Lebensweisheiten waren mit Abstand das Beste. Sie hatten so lange geprobt, bis sie halbwegs den Akzent getroffen hatten.

      „He, unser Kleiner ist weltgewandter als gedacht, was meinst Du, Brüderchen?“ „Egal, was Du Dir vorgestellt hast“, sagte Frank der Fahrer nun, „in Deinem Alter kommt es sowieso immer anders, als man denkt. Vielleicht machst Du nachher mal ein wenig Platz auf der Rückbank, wir erwarten noch Besuch.“

      „Besuch?“, fragte Martin. „Von wem denn?“

      „Wirst schon sehn.“ „Konrad hat zwei Jungs versprochen, sie schon mal mitzunehmen, bevor sein Camp bei Caen in einer Woche beginnt. Und dann sammeln wir noch ein Mädchen auf. Du brauchst nicht so zu gucken, Kleiner!“ Frank sah ihn im Rückspiegel an.

      Martin wusste nicht, was er von der plötzlichen Erweiterung der Reisegruppe halten sollte. „Et kütt wie et kütt.“ Noch so einer dieser Sprüche. Es kommt wie es kommt. Nun gut, dann wollte er mal abwarten.

      Es war kurz vor Aachen, als sie von der Autobahn abfuhren. Sie legten eine Weile auf der Landstraße zurück, als Frank erneut blinkte und in eine kleine Seitenstraße bog. Sie hielten schließlich vor einem Gebäude, das aussah wie ein katholisches Pfarrhaus. Weiß gestrichen, flach, ein von einer fürsorgenden Kraft gepflegter Vorgarten, zusammengebundene Gardinen. Konrad stieg aus und drückte den Klingelknopf am Gartentor. Ein Pfarrer in Soutane trat heraus. Er wechselte ein paar Worte mit Konrad, bis hinter ihm zwei Jungen auftauchten. Martin schätzte ihr Alter auf um die zwölf. Als Hans und Martin wurden sie vorgestellt.

      „Wir haben schon einen Martin“, sagte Konrad. „Dich nennen wir einfach Sankt Martin“, sagte er zu dem Jungen, der eher fragend als zustimmend aus der Wäsche guckte, wie Martin, der glücklicherweise Martin geblieben war, fand. Hans war mit einem Riesenrucksack beladen. Der Eindruck wurde noch dadurch unterstrichen, dass Hans eher klein und etwas dicklich war. Konrad verstaute das Gepäck der Jungen im Kofferraum. Er wies Martin an, sich nach vorn zu setzen und nahm selber in der Mitte der Rückbank Platz. Damit war Martin innerhalb kürzester Zeit zum Beifahrer aufgestiegen.

      „Können wir?“, fragte Frank der Fahrer.

      „Alles klar, wir können“, antwortete Konrad.

      Nach einer ganzen Reihe von Rechts- und Linkskurven bremste Frank den Wagen erneut. An einer Tankstelle. Er blieb am Steuer sitzen und hupte ein paarmal kurz hintereinander. Bald darauf sah Martin ein Mädchen auf sie zukommen, bei dessen Anblick er fassungslos war: Eine echte Schönheit. Leichten Fußes kam sie auf den Wagen zu. Voller Anmut und sich ihrer selbst ganz sicher. Im langen blonden Haar steckte eine große Sonnenbrille. Sie trug ein buntes ärmelloses Kleid, das ihre gebräunten schlanken Schultern zeigte. Nun stieg Frank endlich aus. Mit all seinem bewundernswerten Charme trat er ihr gut gelaunt entgegen. „Hallo Julia, schön, Dich zu sehen. Darf ich Dir vorstellen? Unsere Mitreisenden. Du wirst sie auf der Fahrt noch näher kennenlernen. Möchtest Du zu mir nach vorn oder hinten zu den Jungs?“

      „Zu Dir, Frank.“

      „Kein Problem. Mein kleiner Bruder wird Dir gerne Platz machen.“

      Frank unterstrich seine Bemerkung mit einer nur minimalen Bewegung seiner Mundwinkel. Martin hatte verstanden. Beifahrer hin, Beifahrer her, das war jetzt eine komplett andere Situation. Es wurde eng hinten, aber egal.

      IX

      Januar 2010

      Frank hatte soeben sein Haus in Bronville betreten, als das Telefon klingelte.

      „Was ist eigentlich los“, fragte Konrad ohne ein Wort der Begrüßung, „ich habe unzählige Anrufe von Dir auf meinem Handy.“

      „Mutter ist gestorben.“

      „Wann denn das?“

      „Freitag vor einer Woche schon. Wir haben Dich einfach nicht erreichen können.“

      „Woran ist sie gestorben?“

      „Es war ein Schlaganfall in der Nacht, sagt der Arzt. Sie ist nicht mehr aufgewacht. Die Beerdigung war Mittwoch. Es war Pfarrer Bender, der die…“

      „Schon gut, Frank. Und was ist mit den anderen Dingen?“

      „Du kommst ja zackig zur Sache, Konrad, brauchst wohl Geld, was?“

      „Ich habe mich hier in ein Projekt eingekauft, erst mal auf Kredit, es ist einfach Spitze. Mir gehören zwei Hektar Land und ein Wohngebäude. Es wird von der örtlichen Kirche gesponsert, aber den größten Batzen muss ich natürlich selber tragen.“

      „Also, morgen Nachmittag um drei sollen wir zum Notar. Er hat geschrieben und uns eingeladen, da es mit der Testamentseröffnung beim Nachlassgericht noch dauern kann. Ich fliege hin, Vera lässt sich entschuldigen. Was ist mit Dir? Wird wahrscheinlich knapp, oder?“

      „Morgen Nachmittag? Nein, das schaffe ich nicht. Ich bekomme ja auch keinen günstigen Flug so kurzfristig. Mach Du das, Frank! Brauchst Du irgendwas von mir? Ich kann Dir eine Vollmacht mailen. Es gibt in der nächsten größeren Stadt ein Internetcafé. Ich schicke Dir eine Vollmacht für den Notar und eine für das Gericht, eine weitere für die Banken. Du kannst in meinem Namen verfügen. Meine Kontoverbindung hast Du, aber ich schicke sie Dir sicherheitshalber noch einmal. Per E-Mail?“

      „O.k., o.k., wahrscheinlich wird das alles gar nicht so schnell gehen, wie Du Dir das vorstellst. Sag mal lieber, was wir mit dem Haus machen sollen.“

      „Mit dem Haus? Ach Du liebe Güte, worum muss man sich denn