Katharina Johanson

Volker Bruck


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wollte ihn nicht brüskieren und dachte sich ihren Teil:

      Volker Bruck ist ein Schwächling. Er meidet jeden Kampf. Was als Zurückhaltung und Höflichkeit bei den Leuten gut ankommt, kann man auch als Bequemlichkeit verstehen. Ich will dem Bruck nicht unrecht tun, meinte die Frau bei sich, aber der strotzt nur so vor Bequemlichkeit. Vielleicht hat er einfach zu früh aufgegeben und jetzt holt ihn die Geschichte ein.

      Aufmerksam beobachtete sie, was und wie viel der Mann aß. Als sie sicher war, es genüge für heute, räumte sie den Tisch ab. Bruck stand auf, dankte und verabschiedete sich zur Nacht. Er stand schon in der Küchentür, da fragte Maria: „Und was werden Sie nun tun, Herr Doktor?“ - „Wahrscheinlich nichts“, antwortete er. Maria missbilligend: „Wie immer.“ Darauf reagierte er nicht mehr. Den Einwand schob er weg. Er ging in sein Schlafzimmer. Maria beschloss, der Sache eine zuträgliche Wendung zu geben. Auch dem Volker Bruck war tief im Innern schon klar, dass dies nicht das letzte Wort war.

      Am nächsten Morgen traf er in der Küche auf eine völlig veränderte Situation. Der Tisch war nur für eine Person gedeckt. Bruck schaute sich um. Maria war weder zu sehen noch zu hören. Stattdessen fand er einen Zettel neben seiner Tasse: „Ich putze in den hinteren Räumen. Nicht vergessen: Die Mutter anrufen! Gruß Maria.“ Diese Einmischung in seine Angelegenheiten stieß dem Bruck gallig auf.

      Seine gewohnte Ordnung war empfindlich gestört. Er verzichtete auf das Frühstück und setzte sich in die Bibliothek. Das Telefon schwieg. Bruck schwieg auch. Maria sich ließ den ganzen Tag nicht blicken. Zum Mittag und zum Abendessen die gleiche Szene. Er aß widerwillig und wurde nervös. Sein häuslicher Friede geriet ins Wanken. Nach dem Abendbrot strich er durch die Räume und suchte die Frau. In der kleinen Einliegerwohnung, die ehemals der Hausmeister bewohnt hatte, fand er Maria.

      Sie hatte es sich bequem gemacht. Sie strickte an einem bunten Stück. Im Fernseher lief leise eine Unterhaltungssendung. Bruck schaute sich um: Sie hat offenbar ihr Zimmer im Vorderhaus geräumt. „Was soll das?“, brach es heftig aus ihm heraus. Maria gelassen: „Ich wohne, wie es mir passt und wie es mir zukommt.“ - „Was ist denn los?“, fragte der Hausherr um Nuancen milder. Maria deutete einladend auf die Couch. Er nahm Platz und hörte nun:

      „Ich habe mir mein Leben auch anders vorgestellt, als anderen Leuten den Dreck nachzuräumen.“ - „Das habe ich doch nie verlangt“, rechtfertigte sich Bruck und sah gleich ein, wie unüberlegt der Einwand war.

      Na klar, am Anfang, als seine Frau ihren Stab an Dienstleuten hier einführte, war es ihm schon unangenehm aufgestoßen, sich bedienen zu lassen. Es war ihm peinlich, dass andere seine persönlichen Sachen pflegten und aufbereiteten. Helena fand das durchaus legitim. Sie war es nicht anders gewöhnt und redete ihrem Mann ein: „Wir können unsere Zeit nutzbringender anwenden, als uns um solche Kleinigkeiten zu kümmern. Und denk mal, wovon soll denn der Hausmeister leben, wenn Du an seiner statt, die Wiese harkst oder die Wasserleitung reparierst? Diese Leute haben doch auch eine Daseinsberechtigung.“ Solche Erklärungen und sein beruflicher Erfolg gaben der Kräftekonstellation schließlich recht, bis er eines Tages nicht mal mehr darüber nachdachte, seine eigene Kaffeetasse in der Spüle abzustellen. Aber er hatte seine Maria doch immer gut behandelt, besonders in den letzten Jahren. Worauf lief ihre Betrachtung hinaus?

      „Meine Intention war wie die Ihre, eine gepflegte Akademikerlaufbahn hinzulegen und mich gemütlich zwischen Büchern und Vorträgen einzurichten. Ich hatte ähnliche Träume wie Sie. In der Schule bekam ich überall otlichno. Wir hatten zu Hause mehr Bücher über Geschichte, als manchmal Schuhe für den Winter oder so. Ich hatte sogar schon ein paar Artikel über Heimatgeschichte nach Moskau eingesandt. Die Antwort stand noch aus, als die Deutschen über uns herfielen und mich wegholten ...“ Immer die gleichen Geschichten, vermerkte der Mann widerwillig und unterdrückte mühsam Einspruch. Er wusste, dass Maria in jungen Jahren in der Ukraine eingefangen und nach Deutschland zur Arbeit zwangsverpflichtet worden war. Doch was hatte das mit ihm zu tun?

      Maria referierte weiter: „Im fünfundvierziger Jahr war endlich Frieden. Ich konnte heimkehren. Aber wohin? Dort, wo ich früher lebte, war nichts mehr. Kein Mensch, kein Haus, kein Baum, nichts. Wissen Sie, was verbrannte Erde ist?“ Bruck schüttelte den Kopf. Maria vorwurfsvoll: „Dacht‘ ich mir. Nichts von dem, was an die hundert Kilometer jenseits der Isar geschieht oder geschehen ist, interessiert sie auch nur ein Gran.“ - „Das hat seine Gründe. Ich bin enttäuscht worden“, quälte er sich ab. Maria: „Mann kann doch seine Enttäuschungen nicht ein Leben lang mit sich rumschleppen. Man muss doch verzeihen können.“ Er starrte missmutig vor sich hin. Sie nahm ihren Faden wieder auf:

      „Fünfundvierzig war ich siebzehn, viel zu jung, um alles zu überschauen. Eins war jedoch klar, auf verbrannter Erde neu anfangen, das konnte ich nicht. Ein Fehler? Vielleicht. Durch den Suchdienst hörte ich auch noch, dass kein Verwandter den Krieg überlebt hatte. Und hier, wenn auch alles Mögliche kaputt war, hier jedenfalls konnte man leben. Ich blieb und mit mir der Traum vom Studium der Historie. Aber wissen Sie, was man für Bildungschancen hat, wenn man die Landessprache nicht beherrscht und kein Geld hat?“ - „Kann es mir denken“, pflichtete Bruck bei.

      Sie fuhr fort: „Aber ich bekam meine Chance. Ich büffelte deutsch, machte meine Qualifikation als Hauswirtschafterin, ich verdiente Geld, das Geld investierte ich in Bücher und von da an war ich zwar keine Akademikerin, aber als Heimatforscherin bekam ich Zuspruch.“ Sie stand auf, nahm aus einem Schrankfach einen Hefter und zeigte Handschriftliches und Gedrucktes vor.

      Bruck hatte Maria völlig verkannt. Es wohnen ja zwei Seelen in der Brust dieser Frau! Maria erläuterte dies und jenes. Er kam aus dem Staunen nicht heraus: Seine Haushälterin war Referentin auf den Heimatabenden der ukrainischen Landsmannschaft? Nervös schob Bruck die Brille zurecht. Maria ging auf dessen Verunsicherung ein: „Lieber Herr Doktor, wir sind alle nicht das, was wir scheinen oder vorgeben zu sein.“

      Sie strahlte den Bruck an. Der stammelte ob der Wendung dumm: „Und nun?“ - „Was, nun?“, äffte Maria, mäßigte sich und redete gewinnend: „Das erzähle ich Ihnen doch nicht, um vor Ihnen anzugeben, sondern um zu zeigen, dass man manchmal Umwege gehen muss, weil die Umstände es verlangen. Und ich möchte von Ihnen ernst genommen werden! Es wird einem doch niemals alles auf dem Silbertablett geliefert.“ Bruck stöhnte auf: „Als hätte ich es immer nur leicht gehabt.“ - „Ich respektiere Ihre Bemühungen. Nur jetzt betreiben Sie so eine Art Vogel-Strauß-Politik. Damit schaden Sie sich und schaden Ihrer Familie.“ Maria hob die Stimme: „Ihre Familie wartet!“

      „Ja, klar“, warf Bruck hin und fragte unbeholfen: „Wann ziehen Sie wieder nach vorne um?“ - „Wenn Sie die Mutter angerufen haben“, sprach sie energisch.

      Das Telefonat mit der Mutter verlief einsilbig: „Wie geht es?“ - „Gut.“ - „Was macht der Vater?“ - „Ist alt geworden.“ - „Kommt Ihr zurecht? - „Geht schon.“ Volker Bruck plagte sich durch ein paar Minuten nichtssagender Floskeln, verabschiedete sich höflich und legte auf. Sein Resümee: Mutter und Sohn konnten nichts mehr miteinander anfangen. Die Trennung war absolut.

      Allein, Maria zog auch als Bruck mit der Mutter telefoniert hatte, nicht wieder in ihre alte Stube zurück. Ihr war in den letzten paar Tagen aufgegangen, dass sie älter wird und mit ihren Kräften haushalten muss. Ein geregelter Arbeitstag, abendlich ein paar Stunden Ruhe, arbeitsfreie Wochenenden waren so wohltuend nach den langen Jahren unermüdlichen Schaffens. Mit Genugtuung genoss die Frau das erste Mal die Behaglichkeit einer eigenen, abschließbaren Wohnung. Soweit Maria zurückdachte, hatte sie doch immer in einer Art permanenter Ruf- und Dienstbereitschaft mit ihren Herrschaften gelebt. Das brachte mit sich, dass Maria alle persönlichen Angelegenheiten unterbrach, weglegte, auf später verschob, sobald einer der Herrschaften, das Wort an sie richtete. Ohne Zweifel waren die Brucks großzügig, gaben gerade der Maria mit zahlreichen Aufmerksamkeiten das Gefühl eine Schlüsselstellung inne zu haben. Eine Schlüsselstellung, die zwar hoch gelobt wurde, jedoch schließlich darin bestand, morgens als erste und abends als letzte auf den Beinen zu sein. Maria war im Haus niemals ihr eigener Herr gewesen. Das gute Gefühl von Selbstbestimmung wuchs ihr jetzt spontan in der kleinen Einliegerwohnung zu und sie fasste den Plan, die Sache auf solide Beine zu stellen.

      Bruck rief