Christine Boy

Sichelland


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dass einer unserer letzten verbliebenen Boten am Ende wegen Diebstahls im Kerker landet, nur weil er Hunger hat.“

      „Wo ist er denn?“ fragte Sham-Yu ein wenig enttäuscht, als er und seine Kampfesgefährten den Bach erreichten, an dem Lennys wartete. „Rahor, wo ist dieser Baramon?“

      „Er war eben noch hier....“

      „So....“ Lennys Unterton war beängstigend. „Du hast also nichts Besseres zu tun, als überall breitzutreten, mit wem ich mich unterhalte?“

      Rahor wurde erst blass, dann errötete er.

      „Bist du immer so verschwiegen, wenn es darauf ankommt?“

      „Nein... also... ich wollte nur....“

      „Du wirst mir den Rest des Tages aus den Augen gehen und den Mund halten! Und die Zeit dazu nutzen, darüber nachzudenken, was ich von meinen Cas erwarte! Besonders von ihrem Anführer!!!“

      Mit jedem Wort wurde sie noch ein wenig lauter und zorniger und unwillkürlich zogen alle die Köpfe ein. „Und dann, Rahor, wirst du weiter nachdenken und zwar darüber, ob ich noch Gründe habe, dich überhaupt in diesem Rang zu belassen!“ Jetzt brüllte sie ihn an. „Und wenn du zu einem Ergebnis gekommen bist, wirst du mir beweisen, hörst du, beweisen!, ob du recht hast! Und bis es soweit ist, wirst du als Letzter reiten und dich von mir fernhalten, hast du verstanden!“

      „Wenn das dein Wunsch ist...“ sagte Rahor niedergeschlagen und wurde sofort wieder Opfer eines neuerlichen Ausbruches.

      „Das ist es! Und du wirst dir wünschen, nie von den Cas gehört zu haben, wenn du es nicht schaffst, mich in naher Zukunft zu überzeugen! Im Augenblick bist du nichts anderes als ein neugieriger Schwätzer, der es noch nicht einmal verdient, eine Sichel zu tragen!“

      Rahors Augen blitzten.

      „Das meinst du nicht im Ernst! Ich bin würdig!“ verteidigte er sich tief getroffen.

      „Nein, das bist du nicht! Wie kannst du es wagen, mir zu widersprechen! Verschwinde!“

      Alle Cas waren wie erstarrt. Es waren harte Worte, die die Shaj da sprach. Die härtesten, die sie je zu einem von ihnen gesagt hatte. Keinem der Kämpfer fiel auch nur ein Beispiel dafür ein, dass jemals ein Cas, schon gar nicht der Oberste, seines Ranges enthoben worden wäre. Einige waren freiwillig von ihren Aufgaben zurückgetreten, so wie Wandan oder Akosh. Aber niemand war je so gedemütigt worden wie Rahor in diesem Moment.

      „Was hast du ihr getan?“ murmelte Sham-Yu entsetzt, als Lennys kurz darauf außer Hörweite war und mit Haz-Gor, Horem und Garuel vorneweg ritt.

      „Lass mich, Sham. Ich muss selbst erst darüber nachdenken.“

      „Sie kann so nicht mit dir reden!“

      „Doch. Das kann sie. Und nur sie.“

      „Du musst...“

      „Ich muss gar nichts. Lass mich jetzt allein.“

      Rahor sprach den Rest des Tages kein Wort mehr. Während die anderen Cas, immer noch verstört und schockiert, versuchten, ihre wahre Stimmung zu überspielen und Lennys keinen Grund mehr zu geben, auch sie weiter anzufahren, blieb der hohe Krieger für sich und hielt weiten Abstand zu allen anderen.

      Das letzte Wegstück nach Thau führte sie über eine leicht abfallende Ebene, die zu schnellem Galopp einlud. Die Mondpferde flogen geradezu über das verdorrte Gras hinweg, das gerade im Begriff war, sich den Vorboten des Frühlings entgegenzurecken. Da der Abend nahte und dieses Gelände den Hantua mehr lag als der dichte Wald, waren Horems Fähigkeiten erneut gefragt. Hinzu kam, dass das Verlassene Land, das frühere Fürstentum Orio, nicht weit war. Zwar entfernten sie sich seit den Singenden Sümpfen wieder davon, aber gerade hier, nahe der mittelländischen Dörfer, war die Wahrscheinlichkeit groß, den Kriegern Zrundirs zu begegnen, die sich dorthin aufmachten oder von dort losgezogen waren.

      Umso erstaunlicher war es, dass sie zwar jede Menge frischer Spuren fanden, aber weit und breit kein Feind auszumachen war.

      „Ich verstehe das nicht.“ murmelte Horem so ungeduldig, als wäre die wie ausgestorben wirkende Gegend sein eigenes Verschulden. „Sie müssen doch irgendwo sein. Dass sie die Sümpfe meiden – das verstehe ich ja. Und den Wald vielleicht auch. Liegt ihnen halt nicht. Aber sogar da waren ein paar. Und hier – nichts. Weit und breit nichts. Kann doch gar nicht sein, viele der Spuren sind keine zwei Tage alt!“

      Lennys blickte in Richtung Süden, wo – noch ein ganzes Stück entfernt – die mit Lehmziegeln bedeckten Dächer des Dorfes Thau orange in der Abendsonne leuchteten.

      Es schien fast als würden sie glühen... oder brennen.

      Der Anblick erinnerte die Shaj an etwas.

      „Leben noch Sichelländer in Thau?“ wollte sie wissen.

      „Ich... ich weiß nicht. Eher nicht.“ antwortete Horem unsicher.

      „Die Hantua verstecken sich noch. Wir müssen sie aus der Reserve locken. Nur so erfahren wir, wo sie sich aufhalten und wie viele es wirklich sind.“ Sie klang plötzlich wieder fast normal. Zwar bedrohlich und ungeduldig, aber nicht mehr so zornig.

      Gerade diese Wandlung war es, die Horem alles andere als beruhigte. Ihre Augen glommen, als sich die leuchtenden Dächer darin spiegelten.

      „Lennys, du willst doch nicht...?“

      „Haz-Gor!“ rief sie knapp.

      Der alte Cas löste sich von den anderen, die etwas entfernt ihre Pferde zu Atem kommen ließen.

      „Hier bin ich.“

      „Du reitest nach Westen, über die Thau-Brücke in die Mittelebenen. Von da aus wieder am Fluss entlang nach Norden, bis du den Wald erreichst, der ans Westufer des Flusses grenzt. Ich will wissen, ob dort schon berittene Sicheltruppen in Stellung sind.“

      Haz-Gor nickte gehorsam, auch wenn er nicht begeistert wirkte, sich von der Gruppe trennen zu müssen.

      „Wenn sie dort sind – was soll ich ihnen sagen?“

      „Nichts. Du bringst sie hierher. Bis in die Senke kurz vor der Brücke. Wenn ihr euch beeilt, könnt ihr noch heute nacht dort sein. Wir werden dort ab Mitternacht auf euch warten.“

      „Willst du... das Dorf angreifen?“ fragte Haz-Gor ahnungsvoll.

      „Horem, du wirst versuchen, unerkannt nach Thau hineinzukommen. Ich will wissen, ob dort noch Cycala sind. Wenn ja, bring sie von dort weg. Danach kommst du sofort hierher zurück. Wenn dich jemand als Sichelländer erkennt, wirst du ihn töten.“

      Horem atmete geräuschvoll durch.

      „Ganz nach deinem Wunsch.“ Und schon stob er in Richtung Süden davon.

      „Haz-Gor, worauf wartest du?“

      „Lennys... Thau ist... kein Dorf der Krieger...“

      „Ich werde dir nicht alle aufzählen, die durch die Hand von Bauern und Hirten gefallen sind, Haz-Gor. Gerade du solltest das wissen, als einer der wenigen, die nicht zum ersten Mal jenseits der Grenzen in einen Kampf ziehen.“

      Pechschwarz war die Senke westlich der Thau-Brücke, jedoch nicht, weil sie im Schatten gelegen hätte. Der Mond erstrahlte direkt darüber, aber sein Licht wurde fast vollkommen verschluckt. Mehr als zweihundert cycalanische Krieger bedeckten sich mit ihren Umhängen und kauerten stumm und reglos nebeneinander. Ihre Pferde hatten sie weiter oben bei ein paar verbliebenen Wachen zurückgelassen.

      Sie gehörten zu den ersten Kämpfern, die den Westbogen überwunden hatten und schneller als alle anderen waren sie in der Tat schon entlang des Westufers des Flusses bis in den Wald vor Thau gelangt, als Horem sie erreichte. Ihre Selbstbeherrschung hinderte sie an großen Jubelrufen, aber der Cas sah sofort, dass nicht nur sein Erscheinen, sondern auch seine Nachricht in ihnen Freude erweckte.

      Sie sollten sich also in der Senke bereithalten. Vor Morgengrauen. Mehr