Christine Boy

Sichelland


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konnten.

      Die Hufe des schwarzen Hengstes schlugen wie Donnerhall auf dem Erdboden auf, ebenso mächtig und schnell wie die Schläge, die sie in ihren Schläfen spürte. Trotzdem drosselte sie das Tempo nicht. Nur ein wenig noch, bis sie genug Abstand hatte, der ihr eine kurze Zeit der Ruhe brachte.

      Es tat dem Tier gut, zu laufen. Dieses Pferd war wie reines Feuer - einmal entfacht, war es nicht zu bändigen. Im Augenblick war der Hengst das einzige Lebewesen, dessen Nähe sie ertrug. Sie ließ ihn über einen umgestürzten Baumstamm springen, obwohl sie auch daran hätte vorbeireiten können, nur um noch mehr von der Kraft zu spüren, die von ihm ausging. Noch einmal über einen dornigen Strauch. Es machte ihm Spaß und er beschleunigte seinen Galopp weiter, nicht ahnend, dass das Hämmern im Kopf seiner Reiterin dadurch noch verstärkt wurde. Vielleicht wäre es ihm auch gleichgültig gewesen.

      Erst als das Gelände wieder anstieg und kaum noch Bäume Schatten spendeten, wurde er langsamer. Lennys lenkte ihn zu einem schmalen Bachlauf und stieg dort ab. Unter dem dichten Blätterdach einer letzten verbliebenen Kastanie ließ sie sich in das fast verdorrte Gras sinken und sah dem Mondhengst zu, wie er seinen Durst löschte. Es war ein schönes Bild. Trotz der Sonne.

      Lennys hasste das Licht. Und an Tagen wie diesen hasste sie es ganz besonders. Sie fühlte sich noch schlechter als an dem Morgen nach Balmans Fest. Zumindest körperlich. An den Rest wollte sie sich lieber nicht erinnern.

      Sie wusste, was die Cas hinter ihrem Rücken tuschelten. Dass sie es übertrieben hatte mit dem Blut am Abend zuvor. Lächerlich. Sie war eine Batí, das was sie getan hatte, war ihre Bestimmung. Sie hätte gar nicht anders gekonnt, der Durst und das Verlangen waren ebenso wenig zu bändigen gewesen wie der Galopp des Mondhengstes - nahezu unstillbar.

      Selbst wenn sie darüber nachgedacht hätte, ob sie am nächsten Tag die Folgen zu spüren bekam, hätte sie es nicht verhindern können. Und auch gar nicht verhindern wollen. Der einzige Fehler war gewesen, dass sie Rahor nicht weggeschickt hatte, als er zu ihr auf den Steg gekommen war.

      Und das war es auch, was sie ihm nicht verzeihen konnte. Er hätte wegbleiben sollen. Oder zumindest sofort wieder gehen, in dem Moment, da er gemerkt hatte, dass sie einen gewissen Teil ihrer Kontrolle geopfert hatte, zugunsten des Blutdurstes, der wiederum sie kontrollierte. Aber er war geblieben. Hatte mit ihr gesprochen. Und dadurch das eine oder andere Wort vernommen, das nie für ihn bestimmt gewesen war.

      Nur ein einziges Mal hatte sie Einspruch erhoben, aber da war es schon zu spät gewesen.

      Natürlich musste sie nicht befürchten, dass er die Erinnerung an diese Begebenheit mit jemandem teilte. Das würde er nicht tun, dafür war er zu klug und zu zuverlässig. Dass er allein sie kannte, war schon schlimm genug. Sie wollte ihn nicht sehen. Zumindest im Moment nicht. Sie wollte niemanden sehen. Niemanden hören.

      Der Hengst schnaubte leise.

      'Dich meine ich nicht.' dachte sie.

      „Ein wundervolles Tier.“ Die Stimme eines alten Mannes riss sie aus den Gedanken. Er stand hinter ihr, war also denselben Weg entlanggekommen wie sie selbst. Hatte sie ihn überholt? Nein, das hätte sie gesehen.

      „Wer sonst als die Herrscherin des Nordens könnte ihn reiten?“ fragte der Alte. Und er fiel tatsächlich auf die Knie und verneigte sich tief.

      Lennys kam gar nicht erst auf die Idee, nach ihrer Sichel zu greifen. Wer sich so gekonnt anschlich und sie derartig anredete, konnte kein Feind sein.

      Er stand jetzt mit dem Rücken zur Sonne, so dass sein Gesicht unter der hochgezogenen Kapuze im Schatten verborgen blieb. Sein Umhang war schmutzig und zerschlissen, der graue Stoff stumpf und ausgeblichen. Und der Stock, auf den sich der Mann beim Gehen stützte, war nichts weiter als ein splittriger Ast, weder zurechtgeschnitzt, noch poliert.

      Er warf einen neuen bewundernden Blick in Richtung des Pferdes.

      „Eine wirkliche Schönheit. Wie seine Herrin. Meine Erinnerung hat mir keinen Streich gespielt.“

      Plötzlich wusste Lennys, wer vor ihr stand. Sie sprang auf.

      „Bist du wahnsinnig, hierher zu kommen? Ich habe dir ausdrücklich...“

      „Ich weiß, meine Herrin, ich weiß.“ Der Alte ließ sich nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen. „Aber leider musste ich mich diesem Befehl widersetzen. Nicht, weil ich nur so mein Leben retten konnte – nein. Das ist ohnehin nichts wert. Sondern, weil ich euch sonst nicht hätte berichten können. Es ist für einen einzelnen cycalanischen Boten momentan sehr schwer, unerkannt durch das Mittelland zu reisen, müsst ihr wissen. Aber mich kennt man seit vielen Jahren und niemand würde auf die Idee kommen, ich könne etwas anderes sein, als ein alter verschrobener Mittelländer, der seine Zeit am liebsten inmitten noch älterer Bücher verbringt.“

      „Wie hast du mich gefunden?“

      „Um ehrlich zu sein, Herrin, habt ihr mich gefunden. Ich bin schon längere Zeit unterwegs, war in Goriol und in Elmenfall. Aber niemand konnte etwas berichten, was mir weitergeholfen konnte. Also habe ich beschlossen nach Thau weiterzuziehen. Es war nicht schwer zu erraten, dass ihr und die Cas bald in unsere Gegend kommen würdet. Und dann hörte ich plötzlich das Hufeschlagen eures Hengstes. Da wusste ich noch nicht, dass ihr es seid, also habe ich mich hinter einem Baum versteckt. Als ich erkannte, wer da vorüberritt, habe ich mich gleich wieder auf den Weg gemacht und gehofft, euch bald einzuholen, wenn ihr rastet. Das Glück scheint auf meiner Seite zu sein, denn wie ihr seht, ist es mir sehr schnell gelungen.“ Er sah sich suchend um. „Aber …ihr seid doch nicht allein gekommen, oder?“

      „Die Cas sind ganz in der Nähe.“ erwiderte Lennys, ohne eine Spur von Freundlichkeit.

      „Ah, ich verstehe.“ Der Alte lächelte. „Soll ich mit meinem Bericht warten, bis sie ebenfalls zuhören können? Oder wünscht ihr, gleich zu erfahren, was mich zu meinem Aufbruch bewegt hat?“

      „Ich hoffe für dich, dass es wirklich gewichtige Gründe sind. Meine Befehle für dich waren eindeutig.“

      „Und ich hätte sie auch weiterhin befolgt, so wie all die Jahre, wenn ich es gekonnt hätte. Leider ergab es sich aber, dass ich...“

      Erneut ertönte Hufgetrappel und gleich darauf brach ein weiteres Mondpferd zwischen den Sträuchern hervor. Rahor wäre fast an ihnen vorbeigeritten, erspähte aber dann Lennys' Hengst aus einem Augenwinkel und riss seinerseits an den Zügeln. Als er den alten Mann bemerkte, zog er sofort seine Sichel und sprang zu Boden.

      „Mach dich nicht noch lächerlicher. Glaubst du, ich könnte mich nicht selbst gegen ihn wehren?“

      Rahors Wangen färbten sich rot.

      „Musste das sein?“ fragte er verärgert.

      „Es ist sicher besser, wenn du jetzt nichts mehr sagst.“ Lennys sah ihn bei diesen Worten nicht an, sondern wandte sich wieder dem Alten zu.

      „Das ist Rahor, Oberster Cas des Sichellandes und mein ständiger Verfolger.“ stellte sie bissig und ohne besondere Wertschätzung vor.

      „Es ist mir eine Ehre.“ Wieder verneigte sich der Alte tief, diesmal in Rahors Richtung.

      „Genug der Unterbrechung. Sag mir, was du zu sagen hast.“

      „Gestattet ihr mir zunächst, mich zu setzen, Herrin? Der weite Marsch hat mich doch sehr angestrengt...“

      Lennys nickte, dann reichte sie ihm ihre Wasserflasche.

      „Zu gütig, Herrin.“ Gierig nahm der Alte einige Schlucke, dann besann er sich aber, gab die Flasche zurück und räusperte sich.

      „Darf ich.. fragen, ob der Herr Oras euch erreicht hat?“ fragte er dann etwas schüchterner.

      „Das hat er.“

      Der Mann wirkte erleichtert.

      „Nun, es geschah drei Tage, nachdem ich den Boten Eskjat, der sich in den vergangenen Wochen übrigens als sehr nützlich und zuverlässig erwiesen hat, zu dem Herrn Oras ausgesandt hatte. Eskjat kam