Christine Boy

Sichelland


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Aber dann geschah etwas viel Einschneidenderes. Ein Besucher kam zu uns in den Nebeltempel.“

      „In den Nebeltempel?“ fiel Rahor ein. Obwohl Lennys ihn mit einem vernichtenden Blick bedachte, konnte er seine Frage nicht zurückhalten. „Aber... dann bist du... Gromuit? Der Säbelwächter aus Askaryan?“

      Der Alte verzog sein Gesicht.

      „Ich habe den Namen lange nicht gehört. Es ist, als sprächet ihr von einem Fremden. Heute nennt man mich Baramon.“

      „Rahor, halt den Mund und lass ihn reden.“ wies Lennys den Cas erneut zurecht.

      Baramon fuhr fort.

      „Nun, dieser Besucher... Ich erfuhr zufällig von ihm, als die Oberin Beema mit einer Novizin darüber sprach. Sie sagte, es wäre ein sehr hoher Gast, der in der Sache des gestohlenen Amuletts ermitteln wolle. Ich dachte zuerst an Algar, Logs Kundschafter, aber...“

      „Algar ist tot.“ sagte Lennys knapp. Baramon nickte nur.

      „Also verbarg ich mich in der Eingangshalle, um zu beobachten, wer denn da käme. Herrin, ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten. Sehr schlechte.“

      Lennys schloss einen Moment lang die Augen.

      „Iandal.“ sagte sie nur.

      „Oh... ihr wisst von ihm?“

      „Natürlich. Iandal war also bei Beema. Ist er immer noch dort?“

      „Ich weiß es nicht sicher, Herrin, aber ich glaube eher nicht.“

      „Was wollte er?“

      „Auch das kann ich nur vermuten, Herrin. Als ich ihn sah, wusste ich, dass ich verschwinden muss. Er... er hätte mich erkennen können. Ich bin ihm damals mehrmals begegnet. Und ich wusste ja nicht sicher, wie lange er bleiben will. Aber ich habe gehört, wie er sich bei seiner Ankunft schon bei den Novizinnen nach Sara erkundigte. Seltsam, nicht wahr? Dieses Interesse... Ich habe auch keine Erklärung, woher er von ihr weiß.“

      „Ich schon, aber das tut nichts zur Sache. Weiter. Was noch?“

      „Wie gesagt, ich hielt es für das Beste, den Nebeltempel zu verlassen und euch so schnell wie möglich zu informieren. Anderenfalls wäre meine Tarnung wohl durchschaut worden. Ich hinterließ eine Nachricht, dass mein Bruder im Sterben läge und ich deshalb für längere Zeit nach Elmenfall reisen müsse. Ob Beema mir dies glaubte, weiß ich nicht. Ich hoffe es.“

      „Ich kann mich daran erinnern, dass du es schon einmal sehr gut verstanden hast, dich zu verbergen, als ein Sichelländer im Tempel wohnte.“ wandte Lennys sarkastisch ein.

      „Oh... Herrin, möget ihr mir dies verzeihen. Aber... wie hätte ich euch gegenüber treten sollen, ohne euch die rechte Ehre erweisen zu dürfen? Und... ich hatte auch Angst, ihr könntet mich wegen meiner Feigheit...“

      „Im Mittelland zu bleiben, war nicht feige. Du warst nicht der Einzige.“

      „Inzwischen, Herrin, weiß ich das. Aber zu diesem Zeitpunkt...“

      „Lassen wir das. Das beantwortet meine Frage nicht. Du hättest in deinen Katakomben bleiben können.“

      „Herrin, Iandal erkundigte sich nach Sara. Und Sara hielt sich oft in der Bibliothek auf. Er hätte mich sicher auch zu ihr befragen wollen, wenn ich dort geblieben wäre.“

      Lennys wirkte nachdenklich

      „Möglich. Hast du sonst noch etwas zu berichten?“

      „Vielleicht nur Gerede. Aber es heißt, dass die Stadt Thau in letzter Zeit viel Gold einnimmt. Anscheinend betreiben sie regen Handel mit Hantuas, die von Norden her kommen. Möglicherweise aus dem Verlassenen Land.“

      „Ja, ich habe schon einmal davon gehört. Wieso gehen die Hantua nicht nach Gahl?“

      „Gahl ist selbst zu arm an Lebensmitteln. Die Gegend um Thau ist fruchtbarer. Außerdem wagt sich kaum noch jemand nach Gahl, seit die Sichelheere über den Westbogen kommen.“

      „Ja, natürlich. Sonst noch etwas?“

      „Nun ja....“ Er warf Rahor einen unsicheren Blick zu.

      „Etwas, was nur für meine Ohren bestimmt ist?“ fragte Lennys ahnungsvoll.

      „Das... solltet ihr selbst entscheiden, Herrin.“

      „Rahor, sieh nach, wo die anderen bleiben.“ Auch jetzt sah sie den Cas dabei nicht an, sondern wartete, bis sie sein Pferd davontraben hörte.

      „Also?“

       „Mein alter Freund Menrir hat es geschafft, mir noch eine Botschaft aus dem Norden zu senden. Er hat sie einem der Kämpfer mitgegeben, die mit den ersten Sichelgruppen durch den Westbogen zogen. Gestern hat sie Eskjat in Gahl erreicht und es ist keine Stunde her, dass er sie mir überbrachte.“

      „Und?“

      „Ich... ich habe Menrir vor einiger Zeit gebeten... Nun ja, also ihr müsst wissen, dass ich Sara sehr mochte. Es tat mir leid, dass sie fortging, und ...“

      „Deshalb hast du ihr auch dieses Tagebuch geradezu unter die Nase gehalten.“

      „Verzeiht, Herrin, wenn euch das verstimmt hat.“

      „Es war eine riesige Dummheit. Aber das wolltest du mir jetzt wohl nicht sagen, oder?“

      „Äh.. nein. Also, ich habe mir natürlich Sorgen um Sara gemacht. Sie kannte ja nichts außer dem Tempel und ich war mir nicht sicher, wie gut sie draußen zurechtkommt. Also habe ich Menrir gebeten, mich auf dem Laufenden zu halten.“

      „Warum erzählst du mir das alles?“ Lennys sah den alten Baramon scharf an.

      „Nun, Menrir schreibt hier, dass... dass er nicht weiß, wo Sara jetzt ist. Er hat sie getroffen, kurz nachdem ihr mit den hohen Cas ausgezogen seid, aber dann ist sie wohl ihre eigenen Wege gegangen. Seitdem ist sie verschwunden.“

      „Ich verstehe.“ Mehr sagte Lennys nicht dazu. Nur hatte Baramon jetzt den Eindruck, dass sie noch kälter und abweisender wurde, als ohnehin schon. Er war klug genug, es dabei zu belassen und nicht weiter auf das Thema einzugehen.

      Aus der Ferne hörten sie eine Reitergruppe nahen. Die Cas hatten sie also eingeholt.

      „Ich will, dass du in den Tempel zurückkehrst.“ befahl Lennys, während sie dem Mondhengst ein Zeichen gab, woraufhin er gehorsam auf sie zutrottete. „Finde heraus, ob Iandal noch dort ist und wenn nicht, wirst du so tun, als ob du von deinem Krankenbesuch zurück seist. Und dann wirst du herausfinden, was Iandal wollte. Mit wem er gesprochen hat und was er dabei erfahren hat. Ich will alles wissen, verstanden?“

      „Sehr wohl, Herrin. Und... und wenn jemand misstrauisch wird?“

      „Dann lässt du dir etwas einfallen.“

      „Möchtet ihr denn gar nicht wissen, wo Iandal als nächstes hingegangen ist?“

      Lennys schnaubte verächtlich.

      „So dumm ist nicht mal er, dass er das überall herumposaunen würde. Aber natürlich wirst du mich informieren, wenn du doch etwas hören solltest.“

      „Natürlich.“

      „Und noch etwas! Du wirst mit niemandem – hörst du – niemandem! - über diese Sache sprechen. Weder über Menrirs Nachricht, noch über das, was du jetzt für einen Auftrag hast. Keine Ausnahmen!“

      „Wie ihr wünscht. Und wenn ich anderweitig etwas von Menrir oder über Sara....“

      „Dann wirst du mich auf dem Laufenden halten! Ohne Verzögerung! Wie gut ist dein Kontakt zu Eskjat zur Zeit?“

      „Er sucht mich so oft wie möglich auf. Er will auch kein Gold mehr für seine Dienste, er sagt, es sei ihm eine Ehre, weil sein Leben nun endlich einen Sinn hätte. Er meint, er käme schon irgendwie zurecht. Im Augenblick ist er auf dem Rückweg nach Gahl, um dort Neuigkeiten aus Cycalas