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ganz großen liegen mit den Politikern in einem Bett. Aber meistens liegt da sowieso nur einer, der beides ist.“

      Er lachte heiser, setzte sich wieder aufrecht und nahm einen weiteren tiefen Zug aus seiner Zigarette.

      „Gegen den Kosovo ist sogar Russland ein Rechtsstaat.“

      Er schüttelte den Kopf. Die Finger, zwischen denen die Zigarette klemmte, zeigten auf sie.

      „Sie wissen gar nichts, Lady. Sie glauben zu wissen, und das ist gefährlich. Viel gefährlicher als nicht zu wissen.“

      Signora Corletti ließ sich nicht anmerken, ob sie von seiner Schilderung eingeschüchtert war.

      „Du scheinst gerne zu philosophieren.“

      Er lehnte sich zurück, betrachtete sie mit einem Blick, den sie nicht einschätzen konnte.

      „Stellen Sie sich vor: Ich habe Bücher gestohlen und gelesen, habe mir aus lauter Neugier Vorlesungen angehört: Psychologie, Philosophie, Wirtschaftslehre. Aber hier können Sie kein Geld verdienen, wenn Sie arm und ehrlich sind. Also habe ich mit dem Schmuggeln angefangen, um Bücher und vielleicht mal ein Studium zu finanzieren. Das war mein großer Traum: Studieren und später Lehrer werden. Oder Manager. Was man halt so träumt als kleiner Junge, wenn man keine Ahnung hat.“

      Boris rieb seine Zigarette an der Unterseite des Tisches aus.

      „Ich habe hier viel Zeit zum Nachdenken, und ich habe herausgefunden, dass es fünf Arten von Wissen gibt“, sagte er und schnippte die Kippe in eine Zimmerecke.

      Er blickte Signora Corletti mit einem prüfenden Blick an.

      „Erstens: wenn ich weiß, dass ich etwas weiß. Das ist unser normales Wissen, mit dem wir durch den Alltag gehen und unsere Ziele verfolgen. Zweitens: Ich weiß, dass ich etwas nicht weiß. Das sind die Grenzen des eigenen Wissens. Drittens: Ich weiß nicht, dass ich etwas nicht weiß. Das ist der unbekannte Teil der Welt, die Überraschungen. Viertens: Ich weiß nicht, dass ich etwas weiß. Da spielt das Unbewusste eine Rolle, Verdrängung. Und fünftens: —“

      Boris sah Signora Corletti eindringlich an.

      „— Ich glaube zu wissen, aber ich weiß nicht. Das ist die gefährlichste Art des Wissens, weil es gar kein Wissen ist. In meinem Geschäft führt es geradewegs ins Verderben.“

      Die Signora wusste nicht, was sie antworten sollte. Diese Worte klangen so unpassend und altklug aus dem Mund dieses jungen Burschen, der die besten Jahre seines Lebens in einer überfüllten Zelle in einem beschissenen Gefängnis verbrachte.

      „Du redest wie ein alter Mann.”

      Boris lachte freudlos.

      „Meine Eltern sind gestorben, als ich vier Jahre alt war. Ich musste mich als Straßenkind durchschlagen. Haben Sie auch nur eine Ahnung davon, was das bedeutet? Viele schnüffeln Benzin oder Klebstoff, um die Scheiße um sich herum, den Schmerz, den Hunger wenigstens für ein paar Augenblicke zu vergessen. Ich habe lieber lesen gelernt und mich in Bücher vertieft. Hier im Knast sehe ich all die Typen um mich herum, die für ihre Probleme nur eine Lösung kennen: Gewalt. Auch ich bin damit aufgewachsen. Aber zum Glück weiß ich, dass es andere Dinge gibt, die wichtig sind, und auch andere Wege, etwas zu erreichen. Nur eben nicht in diesem Gewerbe.“

      Signora Corletti schwieg.

      „Ich bin zwar noch jung, Lady, aber ich habe schon einiges erlebt. Und es war nicht viel Schönes dabei.“

      Dieser Junge war erstaunlich. In einer geordneten Umgebung und mit ein wenig Hilfe konnte er viel erreichen. Er war intelligent, dachte nach. Aber bislang hatte er mit keinem Wort gezeigt, dass er irgendetwas von dem bereute, was er getan hatte. Und das waren keine Kleinigkeiten. Er war Menschenhändler. Ein professioneller Verbrecher, der seinen Gewinn aus der Arbeit und dem Leid anderer zog. Selbst wenn er nur ein Handlanger war.

      Zugleich bedauerte sie ihn. Seine Intelligenz hatte unter diesen Umständen kaum eine Chance, sich in etwas Anderes als Verschlagenheit zu entwickeln. Aber dahinter steckte auch die Absage an jede Form von Recht und Respekt. Dem eigenen Vorteil fiel alles Mitmenschliche zum Opfer. Der Stärkere nahm sich jedes Recht, den Schwächeren auszunutzen. Ohne die geringste Scham. Und ohne Grenzen.

      Diese Art zu denken war es, die ihren Mann getötet hatte. Ihr gegenüber war man als Mensch mit Respekt vor den Rechten des Anderen immer im Nachteil.

      „Ein philosophischer Frauenhändler“, sagte sie, „wer hätte das gedacht.“ In ihrem Tonfall schwang mehr als nur ein wenig Sarkasmus mit. „Ich hoffe, dass ich Gelegenheit haben werde, auch meine Philosophie darzulegen.“

      Er machte eine Geste mit der Hand. Sie fuhr fort.

      „Es ist manchmal schwierig, Wissen und Glauben zu unterscheiden. Was ich von Anderen lerne, kann ich zunächst nur glauben. Zu Wissen wird es erst, wenn ich es in der wirklichen Welt einer Prüfung unterziehe und bestätigt sehe. Dazu besteht nicht immer die Möglichkeit. Aber genau das ist mein Job und der Grund meiner Nachforschungen.“

      Ihre schmalen Hände waren in Bewegung geraten. Boris sah, dass sie aufgebracht war. Es ging ihr nicht nur um die Story für irgendeine Zeitschrift. Er wollte etwas sagen, kam aber nicht dazu.

      „Ich will wissen, was dran ist an den Behauptungen, die ich von so vielen Menschen gehört habe. Und dazu muss ich selber sehen, wie die Dinge liegen. Verstehst du das, Boris?”

      „Sicher“, sagte er. „Aber dadurch begeben Sie sich in Gefahr. Das sollte Ihnen klar sein. Wir spielen hier nicht Boccia in Bologna. Hier geht es um ein verschwiegenes Geschäft, bei dem sehr, sehr viel Geld verdient wird. Niemand hat Lust auf eine Diskussion mit Ihnen. Und kaum jemand nimmt sich Zeit für einen Warnschuss. Wer den Betrieb stört, wird eliminiert.“

      „Ich weiß, wie wenig ein Menschenleben zählt. Spätestens seit dem Tod meines Mannes.“

      Ihre Stimme hatte nicht länger den unbeteiligten Tonfall der Reporterin. Sie griff nach den Zigaretten. Nach einigen ungeduldigen Zügen fuhr sie fort.

      „Es gibt nämlich noch eine weitere Form des Wissens: Wenn man eine persönliche Erfahrung gemacht, eine Erkenntnis gewonnen hat. Dann wird das Erlebte zu einer Art innerem Wissen, das man nicht vermitteln oder beweisen kann. Intuitives, unerschütterliches Wissen. Die einzige Wahrheit, die es gibt. Du weißt bestimmt, was ich meine. Jeder erlebt das irgendwann.“

      Sie lehnte den Kopf in den Nacken und blies eine Rauchwolke in Richtung der Zimmerdecke. Ihre Augen waren geschlossen.

      Boris beobachtete sie schweigend. Leid und Wut hatten sich in ihre Züge eingegraben, auch Verbissenheit. Er kannte diese Spuren in den Gesichtern der Menschen nur zu gut.

      „Dieses Wissen ist in meinen Augen das einzige, das jeden Zweifel übersteht. Es ist tausendmal wertvoller als all das Zeug, das wir von anderen Leuten übernehmen. Mit diesem Wissen sind die Dinge nicht mehr dieselben, die sie vorher waren.“

      Ohne ihre Haltung zu verändern, öffnete sie die Augen und sah ihn an.

      „Und auch wir selbst nicht.“

      Der Rauch ihrer Zigarette zog langsam kreisend nach oben, verlor allmählich alle erkennbare Form. Der Blick ihrer halb geschlossenen Augen folgte dem Tanz der weißgrauen Schlieren und verlor sich in einem Himmel, den sie nicht sehen konnten.

      „Ich habe mit Dutzenden Frauen gesprochen, die verschleppt worden sind. Viele haben geweint aus Verzweiflung, aus Ekel vor sich selbst. Ich weiß, dass ich nicht einfach zuschauen kann, wie jeden Tag mehr als Tausend Frauen entführt, geschlagen, vergewaltigt und verkauft werden, während kaum jemand etwas dagegen unternimmt. Die Polizei läuft euch nur hinterher, hat kaum eine Chance. Die Mafia hat so viel Macht, dass sie in manchen Ländern die Gesetzgebung beeinflusst. Die Politiker sind im besten Falle nur ignorant, im schlimmsten Falle stecken sie mittendrin. Es war schon immer so, ja, aber es widert mich an. Natürlich weiß ich, dass ich die Welt nicht retten werde. Ich schaue bloß, was ich tun kann. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“

      Sie schnippte die