Michael Hackethal

Stille Herzen


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heftige Probefahrt bestätigte den guten Eindruck. Als sie wenig später wieder auf dem Hof hielten, tickte der Motor vor Hitze.

      „Die Reifen machst du mir neu.“

      „Aber nicht umsonst.“

      Sie vereinbarten, die Kaufsumme mit dem Bus zu verrechnen, und Lokman zahlte die Differenz sofort. Dann zählte er dreihundert Dollar ab und legte sie auf die Motorhaube.

      „Mach mir das Auto fertig, mit Anmeldung, Reifen, Versicherung und allem. Ich will einen vollen Tank. Und eine von diesen Fünfliter-Wasserflaschen aus Plastik. Leer.“

      Der Türke zuckte die Schultern.

      „Klar, leer. Kein Problem.“

      „Ich komme morgen Vormittag zwischen zehn und elf wieder. Dann will ich sofort los.”

      Der Händler riss die Arme hoch.

      „Völlig unmöglich! So schnell kann ich keine Zulassung besorgen. Gegen Mittag, frühestens.“

      Lokman hielt ihm zweihundert Dollar hin.

      „Du bist ein Erfolgsmensch, das sehe ich.”

      Der Verkäufer grinste. Lokman holte tief Luft.

      „Das hätten wir also geklärt. Jetzt habe ich noch eine spezielle Bitte.“

      Der Mann sah ihn mit einem merkwürdigen Blick an.

      „Ich bin Spezialist für spezielle Fälle. Das müsstest du doch langsam kapiert haben.”

      Lokman zog ihn in den hintersten Winkel des Hofes.

      „Ich brauche eine Pistole und Munition“, flüsterte er. „Nicht zu groß. Kannst du mir helfen?“

      Der Verkäufer schien nicht sonderlich überrascht. Er hatte verstanden, dass diese verrückte Kuh gemolken werden wollte, die ihm da mitten in der Nacht auf den Hof gestolpert war. Und er würde jede Hilfestellung geben, solange man ihn bezahlte.

      „Wenn es bis morgen sein soll, kann ich was besorgen.“

      „Hört sich gut an. Pack ein paar Schachteln Munition dazu.“

      „Kostet sechshundert Dollar.”

      Lokman gab sie ihm. Das Geld verschwand ungezählt.

      „Eine letzte Frage: Wie komme ich von hier am schnellsten über den Bosporus?”

      Der Mann erklärte es ihm.

      „Aber du brauchst eine Mautkarte für die Brücke.“

      „Besorg mir eine. Ich habe keine Zeit, das zu erklären.”

      Lokman drückte ihm weitere fünfzig Dollar an die Brust.

      „Das hier“, sagte der Verkäufer und zog mit einem Grinsen die Scheine glatt, „erklärt alles zu meiner vollsten Zufriedenheit.“

      Er steckte das Geld ein und blickte Lokman erwartungsvoll an. Der war zu sehr in Fahrt, um seine Bemerkung lustig zu finden.

      „Morgen Vormittag bin ich wieder hier. Verarsch mich nicht, das wäre ein Fehler.“

      Der Verkäufer hob die Hände hoch und zog ein Gesicht, das wohl entrüstet wirken sollte. Lokman entspannte sich.

      „Ich heiße Lokman“, sagte er und reichte ihm die Hand. „Danke für deine Hilfe.“

      „Kemal,“ sagte der Autohändler und schlug ein.

      Er tippte Lokman auf die Brust.

      „Ich hoffe, du machst keine Dummheiten.“

      „Zu spät. Da läuft eine Sache, die mir nicht gefällt. Und dagegen muss ich etwas unternehmen.“

      Kemal sah ihn mit einem schiefen Blick an.

      „Was bist du für ein komischer Vogel?“ fragte er und fingerte wieder an seinem Schnurrbart herum.

      Er holte eine Visitenkarte aus der Jackentasche und hielt sie Lokman hin.

      „Falls du mal in der Klemme steckst.”

      Lokman nahm die Karte entgegen und betrachtete sie. Es gefiel ihm, dass Kemal half, ohne dumme Fragen zu stellen.

      „Wie wär’s mit einem Tee?“ fragte Kemal.

      Lokman überlegte, doch ihm fiel nichts ein, das er noch klären musste.

      Seine goldene Uhr zeigte halb drei, aber er konnte jetzt unmöglich schlafen.

      „Gerne“, sagte er.

      Kemal verriegelte sein Büro und schlug Lokman auf den Rücken.

      „Hier lang“, sagte er und wies mit dem Kopf die Richtung.

      Dann holte er sein Handy heraus.

      Ein Fernseher blökte die albernen Dialoge einer TV-Serie in den Raum, es war warm und stickig. Durch den Eingang und ein offenes Fenster irgendwo im Hintergrund zog ein Windhauch, der Kühlung brachte. Ein Vorhang aus Holzperlen raschelte im Wind.

      Mit einem tiefen Seufzer nahm Kemal Platz und steckte sein Handy ein. Er nickte Lokman zu, während er die Krawatte lockerte.

      „Erzähl“, sagte er. „Wie tief steckst du in der Scheiße?“

      Lokman schwieg. Er sah Kemal in die Augen. Der hielt seinen Blick fest. Schließlich nickte er und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.

      „Ziemlich tief.“

      Sie bestellten Tee, dann begann Lokman zu erzählen. Kemal blieb stumm, nachdem Lokman fertig war. Er blickte in sein Teeglas.

      „Ich kenne jeden in diesem Viertel, auch die Werkstatt, in der du den Wagen abgibst.“

      Er dämpfte seine Stimme.

      „Sie arbeitet für Banden, die auf den Schmuggel von Heroin spezialisiert sind. Dein Auto hat garantiert einen doppelten Boden. Und der ist voll mit Stoff, wenn du hier einläufst.“

      Lokman schlug die flache Hand auf die Tischplatte.

      „Tejen! Da war ich in der Werkstatt. Die müssen den Wagen beladen haben.“

      „Hattest du eine Panne?“

      „Nein, ich fahre da jedes Mal die Werkstatt an.”

      Kemal nickte.

      „Tejen ist nahe an der Grenze zu Afghanistan. Idealer Umschlagplatz.“

      „Aber der Wagen fuhr sich genauso wie vorher. Ich habe keinen Unterschied bemerkt!“

      „Wahrscheinlich haben sie Ballast herausgenommen, den du sonst im Auto hast, so dass es nicht auffällt.“

      „Möglich“, sagte Lokman nachdenklich und starrte auf seine Hände. „Mir scheint, es gibt eine ganze Menge, wovon ich keine Ahnung habe.“

      Kemal drehte sein Glas zwischen den Fingern.

      „Und jetzt hast du beschlossen, das zu ändern. Warum?“

      Lokman sah auf. Ihre Blicke begegneten sich. Genau das war die Frage. Und erst jetzt, in diesem Moment, wusste er die Antwort.

      „Weil ich neu anfangen will. Weil Zhanna dabei ist. Weil ich eine solche Schweinerei nicht mitmachen kann.“

      „Du weißt, was du riskierst?”

      Lokman nickte.

      „Alles.“

      Kemal beugte sich vor. Er drückte Lokmans Arm.

      „Möge Allahs Segen dich leiten und dir Kraft und Weisheit verleihen.“

      Als sie einander die Hände schüttelten wie alte Freunde, erhellte das Morgenrot den Himmel.

      Lokman fuhr zum Hotel zurück. Er wusste jetzt, was zu tun war. Und es fühlte sich gut an, obwohl es ihn noch viel Geld kosten würde. Aber das war gleichgültig. Es gab kein Zurück.