Michael Hackethal

Stille Herzen


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Männer standen im Hof, zwei hatten Dobermänner an der Leine. Die Tiere hechelten laut, ihre rosafarbenen Zungen hingen weit aus den offenen Mäulern. Sie schienen zu lachen, als wüssten sie, was gleich geschehen würde.

      Der Mann, offenbar der Anführer, wandte sich an die Frauen, die sich eng zusammendrängten.

      „Ich habe Eva erlaubt, nach Hause zu telefonieren. Aber sie hat meine Großzügigkeit ausgenutzt. Sie hat versucht, eine Freundin zu warnen.“

      Er öffnete seine Gürtelschnalle und zog das Leder langsam durch die Schlaufen seiner Jeans.

      „Jetzt zeige ich euch, was passiert, wenn man uns reinlegt.“

      Er schlug mehrmals auf Eva ein. Dann ließ er seine Hose zu Boden gleiten und schritt lässig darüber hinweg. Er legte sich die wimmernde Frau zurecht, riss ihr die Kleider vom Leib und vergewaltigte sie. Dabei schlug er sie mehrmals ins Gesicht. Die übrigen Männer stießen sich in die Rippen und grinsten.

      Eva presste sich die Faust auf den Mund. Sie hatte gelernt, dass sie nicht schreien durfte. Erst als der Mann fertig war, ließ sie den Arm sinken. Sie wollte sich auf die Seite drehen, doch eine harte Hand packte sie und riss sie herum. Schon machte sich der nächste Kerl über sie her. Und danach vier weitere.

      Der Anführer, der seine Jeans wieder gegürtet hatte, wartete, bis seine Männer wieder beisammen standen. Er packte Eva am Handgelenk, zog sie von der Bank und ließ sie vor ihm niederknien. Nur mühsam fand sie die Kraft, sich aus dem Staub zu erheben. Der Mann schritt langsam um sie herum, bis er hinter ihr stand. Dann zog er einen Revolver und schoss sie in den Hinterkopf. Eva sackte ohne einen Laut in sich zusammen.

      „Ich denke, ihr habt verstanden“, sagte er, ohne die Stimme zu heben, und nahm sich viel Zeit, jede der Frauen anzusehen.

      Niemand sagte ein Wort. Nur die Hunde lachten lautlos.

      Nach dem Frühstück fuhren sie zum vereinbarten Treffpunkt, einem Parkplatz an der Küçüksu Kavşağı, einer Ausfallstraße am nördlichen Rande der Innenstadt. Von dort war es weniger als ein Kilometer zur Autobahn, die auf die Brücke über den Bosporus führte.

      Ein heißer Wind ließ die Temperaturen gegen Mittag auf über dreißig Grad im Schatten steigen. Lokman stellte den Bus in einer Parkbucht ab und wartete. Die abgewetzte Armeekappe thronte auf seinem Schädel, eine Sonnenbrille verdeckte seine Augen. Er wischte zum wiederholten Male die Hände am T-Shirt ab. Es lag nicht allein an der drückenden Hitze, dass er schwitzte.

      Einige Minuten später fuhr ein blauer Ford Transit mit dunklen Scheiben heran und blieb nur wenige Meter voraus mit laufendem Motor stehen. Der Wagen hatte, wie Lokmans Bus auch, ein erhöhtes Dach, so dass man darin stehen konnte. Er sah fast neu aus.

      Zwei Männer stiegen aus, einer groß, der andere breitschultrig, beide mit Sonnenbrillen und dunkel gekleidet.

      Wieder zwei von der Sorte, mit denen er nichts zu tun haben wollte, das sah er gleich. Lokman merkte sich das Kennzeichen. Der Wagen war in Rumänien zugelassen.

      Er hielt seinen linken Arm aus dem Fenster heraus und winkte kurz. Der Große antwortete mit einer lässigen Bewegung der Hand und kam langsam herüber.

      Lokman stieg aus.

      „Alles ok?“ fragte der Mann auf Russisch, mit einem harten Akzent.

      Er war zwei Köpfe größer als Lokman und tat, als wäre er ihm sehr überlegen.

      Seine mächtigen Oberarme hatten im Laufe der Jahre sicher einige hundert Tonnen an Gewichten gestemmt, aber das hatte offenbar nichts an seiner Unsicherheit ändern können. Oder an seiner Dummheit.

      „Keine Probleme, alles gut gelaufen.“

      Der Mann nickte bedächtig, unternahm aber keinerlei Anstalten, die Frauen in seinen Bus zu bringen. Er schaute Lokman nicht an, sondern blickte sich um, als sei er mit Wichtigerem beschäftigt.

      „Zwölf, richtig?“ fragte er schließlich.

      „Richtig.“

      Lokman hoffte, dass man ihm nicht ansah, wie wenig er von dem Typen hielt. Der zweite Mann stellte sich mit einem kurzen Nicken zu ihnen. Auch er gab ihm nicht die Hand. Die Kerle taten, als hätten sie nichts mit ihm zu tun. Zwei Gründe mehr, den Job endlich hinter sich zu bringen.

      „Guten Tag, die Herren. Sie werden uns weiterfahren?“

      Zhanna stand plötzlich neben Lokman und sprach die schweigsamen Gestalten einfach an.

      „Ja.“

      „Das ist gut. Im Bus ist es so heiß, dass man es nicht aushält. Sollen wir unser Gepäck schon mal rüber tragen?“

      Der Transit hatte eine Klimaanlage und war angenehm kühl. Die Frauen verabschiedeten sich von Lokman und stiegen ein. Zhanna wartete bis zuletzt. Sie drückte ihn für einen Moment an sich, bevor auch sie einstieg.

      Lokman winkte ihr nach. Dann wandte er sich an den großen Schweiger.

      „Ich kriege noch was von dir, Kollege.“

      Er hatte bei der Abfahrt in Bishkek nur die Hälfte seines Lohns erhalten.

      „Hm.“

      Der Kerl war so sparsam mit Worten, dass er rumänischer Meister im Dauerschweigen werden konnte. Er holte einen Umschlag aus der Türablage und gab ihn dem kleinen Asiaten, der ihm nicht von der Seite wich. Er schaute schweigend auf ihn hinunter. Lokman zählte das Geld und nickte zufrieden, ebenfalls schweigend. Fünftausend Dollar.

      Er hatte sich die nächste Frage lange überlegt.

      „Welche Route nehmt ihr jetzt?“ fragte er beiläufig, während er den Umschlag in seiner Hosentasche verstaute.

      Der Typ schaute ihn misstrauisch an.

      „Was geht’s dich an?”

      „Bin selbst schon die Tour gefahren. Wollte nur wissen, ob ihr auch über Plovdiv fahrt oder südlich über Thessaloniki.“

      „Plovdiv.“

      Lokman nickte wissend.

      „Na dann, gute Fahrt.“

      Er winkte noch einmal zu den Frauen hinauf und ging zu seinem Bus. Er stieg ein, startete sofort und wendete den Wagen. Dann gab er Gas. Er hatte keine Sekunde zu verlieren.

      „Danke, dass Sie sich Zeit nehmen, meine Fragen zu beantworten“, sagte die Frau.

      Sie war Mitte vierzig, trug zur Jeans eine hellblaue Bluse unter einer grauen Leinenjacke. Mit einer kurzen Bewegung des Kopfes warf sie ihr Haar zurück und reichte dem jungen Mann, der ihr gegenüber saß, die Hand.

      Er saß ungelenk auf dem Holzstuhl und lächelte schief. Seine Haut war blass, er hatte in letzter Zeit nicht viel Sonnenlicht gesehen. Die Häftlingskleidung spannte um seinen mageren Körper wie ein zu klein gewordener Konfirmandenanzug. Aber seine Augen verrieten einen wachen Geist.

      „Sie glauben gar nicht, wie gerne ich aus dieser beschissenen Zelle rauskomme“, sagte er. „Ich hocke mit neun Männern auf ein paar Quadratmetern, und keiner von denen ist die Sorte Mensch, die ich als Freund haben wollte.“

      „Wurden Sie geschlagen?“ fragte die Frau. Sie hatte bemerkt, dass die linke Hälfte seines Gesichts gerötet war.

      „Halb so wild. Da ist ein Kerl bei uns, der um jeden Preis der Boss in der Zelle sein will. Jetzt liegt er auf der Krankenstation, da kann er nachdenken, wenn sein Schädel wieder funktioniert.“

      Die Frau lehnte sich zurück und musterte den Burschen. Sie schob ihre Locken mit einer schnellen Bewegung der Hand zurück, doch sie drängten gleich wieder nach vorne. Sie war überrascht, einen so jungen Mann vor sich zu sehen. Er wirkte mehr wie ein Junge, der zu schnell gewachsen war. Vielleicht musste er deshalb erst einmal klarstellen, was für ein harter Brocken er war.

      „Ist es ok, wenn ich unser Gespräch aufzeichne?“

      „Sie wollen