Michael Hackethal

Stille Herzen


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würde man Rauschgift im Auto finden, drohte die Todesstrafe. Ausländer, die Drogen schmuggelten, wurden im Iran oft ohne Gerichtsverhandlung gehängt. Lokman fuhr lieber durch Aserbaidschan und nahm den Umweg über Georgien in die Türkei in Kauf. So blieb man wenigstens am Leben.

      „Und du bist nie weiter als Istanbul gefahren?“

      Zhanna wollte wissen, welche Rolle Lokman bei dem Frauentransport spielte. Sie stellte manche Fragen mehrmals, um herauszufinden, ob seine Antworten sich widersprachen.

      „Nie“, sagte Lokman. „In Istanbul ist meine Fahrt zu Ende.“

      „Möchtest du nicht mal rüberfahren und dir Europa ansehen?“

      Lokman warf ihr einen amüsierten Blick zu.

      „Ich bin doch nicht zum Spaß unterwegs. Meistens hänge ich noch ein, zwei Tage in Istanbul dran, aber dann fahre ich wieder zurück.“

      „Wartet gleich die nächste Tour auf dich?“

      „Eigentlich will ich nicht länger diese großen Touren fahren. Ich möchte endlich an einem Ort bleiben können, nach so vielen Jahren auf der Straße. Vielleicht ein Gasthaus aufmachen, mal sehen. Ich rede nicht gerne darüber.“

      Sie lächelte.

      „Ich werde es für mich behalten.“

      Sie schaute eine Weile nach vorne auf die Straße, die sich durch die weite Landschaft auf sie zu schlängelte und unter dem Auto verschwand. Dann sah sie zu Lokman hinüber, der sich an das wackelnde Lenkrad klammerte, um den Bus auf Kurs zu halten. Und vielleicht auch sich selbst.

      „Kann ich verstehen, dass du sesshaft werden willst.“

      Lokman lächelte. Es war schön, verstanden zu werden.

      „Und du?“ fragte er spontan. „Warum willst du weg aus deiner Heimat?“

      Sie zögerte, kramte in seiner Musiksammlung und hielt ihm eine CD hin.

      „Lass uns Musik hören, ja?“

      Er legte die CD ein und stellte die Lautsprecher an, so dass die anderen Frauen ihrer Unterhaltung nicht folgen konnten. Falls das bei dem Motorengebrumm überhaupt möglich war.

      Neugierig blickte er zu ihr hinüber. Warum machte sie es so spannend?

      „Hast du jemals davon gehört, dass Frauen aus unserer Region als Prostituierte verkauft werden?“

      Er sah sie entgeistert an.

      „Was hat das mit dir zu tun?“

      „Mit mir nichts, hoffe ich. Aber –“ sie machte eine Pause, „– vielleicht mit dir."

      „Mit – mir?"

      Zhanna machte eine beschwichtigende Geste mit der Hand.

      „Ich habe von Frauen erfahren, dass sie über eine Agentur Arbeit in Europa suchten und dann mit Gewalt in ein Bordell gezwungen wurden.“

      „Glaubst du im Ernst, dass ihr in einem Bordell landen werdet?”

      Sie sah ihn an und schluckte.

      „Kann ich dir vertrauen?“

      Er hielt seinen Blick auf die Straße geheftet.

      „Klar.”

      „Ich weiß nicht, was an den Behauptungen dran ist. Ich hoffe nichts. Aber die Möglichkeit besteht. Und wenn es so sein sollte, will ich es rausfinden.“

      Sie bereute sofort, dass sie es gesagt hatte. Sie brachte damit nicht nur sich selbst in Gefahr. Und sie wusste, wie brutal diese Männer vorgingen.

      „Das – das glaube ich nicht. Das kann ich mir nicht vorstellen. Glaubst du etwa, ich würde bei einer solchen Schweinerei mitmachen?“

      „Nein. Aber kannst du sicher sein, dass es nicht so ist? Du hast keine Ahnung, was in Europa passiert. Und du hast selbst gesagt, dass du keine der Frauen je wieder gesehen hast.“

      Lokman wehrte sich, suchte Argumente und Hinweise, die sie entkräften sollten. Sie hielt dagegen. Er fand keine Beweise, die eindeutig waren. Schließlich musste er zugeben, dass zumindest die Möglichkeit bestand.

      „Was weißt du?“, fragte er sie.

      Sie erzählte, was sie von den Frauen erfahren hatte. Dass sie nie wieder dieselben waren, obwohl sie selbst keine Schuld traf.

      Schweigend fuhren sie weiter.

      Lokman fühlte sich elend. Er hatte nie gewusst, was seine Auftraggeber wirklich machten. Er wurde dafür bezahlt, die Augen zu schließen und zu tun, was man ihm sagte. Jeder schlug seinen Vorteil aus gewissen Dingen, musste irgendwie zurecht kommen. Das taten doch alle! Und was im einen Land bestraft wurde, war im anderen kein Problem. Alles eine Frage der Perspektive.

      Aber Frauenhandel, das war keine Kleinigkeit.

      Er ahnte, dass jetzt alles anders werden würde. Und diese Ahnung würde ihm den Schlaf rauben.

      Als ich noch in Köln war, hatten wir einen Seelsorger, ein guter Mann. Er half uns, den Druck abzulassen, wenn wir nicht mehr konnten. In unserem Job kommt jeder an diesen Punkt, irgendwann. Dann brauchst du einen, der dir hilft, einen Sinn in der Scheiße zu finden, die jeden Tag passiert.

      Unser Job ist es, im Dreck der Gesellschaft zu wühlen, um die Ratten aufzustöbern, die sich darin einnisten. Und wenn du keinen Sinn mehr in deinem Job siehst, dann haben sie gewonnen. Weil du dann keine Gefahr mehr darstellst für sie. Weil du fertig bist mit deinem Job, fertig mit der Welt und mit dir selbst.

      Es wird immer Verbrechen geben, und immer mehr, als wir aufklären können. Und es wird immer einen Dreckskerl geben, der dich am Ende auslacht, weil er mit seiner Schweinerei davongekommen ist.

      Ist das ein Grund, das Handtuch zu werfen? Ich finde, es ist ein Grund weiterzumachen.

      Der Mann im Treppenhaus der alten Villa ließ sein Handy in die Tasche des Jacketts gleiten. Er tippte mit dem Zeigefinger der rechten Hand nachdenklich an seine Unterlippe, bevor er eine getäfelte Tür öffnete und das dahinter liegende Büro betrat.

      Ein groß gewachsener Mann Ende fünfzig in maßgeschneidertem Anzug blickte von seinem Mahagonischreibtisch auf. Geschmeidig erhob er sich und kam seinem Besucher entgegen. Zwei Leoparden, die sich in der Steppe begegneten.

      Mit einem Lächeln bat der Ältere seinen Gast, in einem der Ledersessel Platz zu nehmen, die um einen Glastisch standen.

      „Was gibt es Neues, Sergeij?“ fragte er. „Aber entschuldige, zuerst sollte ich fragen, ob du etwas trinken möchtest.“

      „Danke, Wladimir, jetzt nicht.“

      Sergeij Abramow betrachtete sein Gegenüber. Wladimir Strashin war sein Chef, dem er seit drei Jahren zuarbeitete. Er behandelte Sergeij wie seinen eigenen Sohn. Diese Ehre war noch niemandem in der Firma zuteil geworden. Sergeij Abramow wusste um die Verantwortung, die damit einher ging. Sie bedeutete auch, dass er nicht versagen durfte.

      „Wladimir, es gibt eine Störung.“

      Strashin nahm die Meldung scheinbar entspannt auf. Dennoch wäre einem aufmerksamen Beobachter nicht entgangen, dass Sergeij seine ungeteilte Konzentration hatte.

      „Was ist es?“

      „Ich habe gestern einen Anruf aus Odessa erhalten. Eines der Mädchen aus dem Lager im Gimaj-Gebiet hat eine Freundin angerufen. Die Wachen haben sie telefonieren lassen, weil sie sagte, sie hätte versprochen, sich zu melden, und man würde zur Polizei gehen, wenn man nichts von ihr hörte.“

      „Und das Problem?“

      „Sie muss einen Code vereinbart haben, mit dem sie signalisieren konnte, dass sie Probleme hat. Ihre Freundin ist gleich am nächsten Tag zur Polizei gegangen. Glücklicherweise hatte einer unserer Leute Dienst und konnte die Sache melden.“

      Strashin blickte ihn an, ohne eine Frage zu stellen.

      „Noch