Michael Hackethal

Stille Herzen


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war Marja anzusehen, dass sie stolz war. Auf das Lob, aber vor allem auf ihre Arbeit.

      „Sie wissen, dass ich Ihnen einen sehr guten Preis gemacht habe, nicht wahr?“

      Hagen warf ihr einen dankbaren Blick zu, in dem allerdings auch Sorge über den weiteren Verlauf des Gesprächs lag. Wollte sie jetzt über Kosten reden? Doch Marja lächelte und sagte nichts. Hagen war beruhigt.

      Noch vier Wochen, dann wollte er seinen besten Kunden etwas ganz Besonderes präsentieren. Hagen hatte ihnen in persönlichen Gesprächen angekündigt, in Kürze ganz exquisite Positionen anbieten zu können. Nun stand noch ein letztes Stück auf seiner Wunschliste, die Sensation, die ihn zum Triumph führen würde. Damit wäre er endlich einer der führenden Ikonengaleristen.

      Er sah Marja eindringlich an.

      „Glauben Sie, dass ich in den nächsten drei Wochen die Auferstehung noch erwerben kann?“

      „Nun, darüber müssen Sie mit dem Papst verhandeln“, sagte Marja mit gespieltem Ernst. „Ich kann Ihnen nur Ikonen besorgen!“

      Hagen war einen Moment lang irritiert, dann lachte er nervös.

      „Machen Sie es mir nicht so schwer, meine Liebe.“

      „Geduld, Horst. Solche Objekte brauchen Zeit.“

      Hagen nickte.

      Marja verabschiedete sich und ging hinaus.

      Auf dem Bürgersteig vor der Galerie wandte sich Marja entschlossen nach rechts, Richtung Bonner Innenstadt. Mit dem Gewinn aus der Vermittlung der Ikone würde sie problemlos das nächste Jahr überstehen, ohne sich einschränken zu müssen. Ihre Entlohnung war nicht eben gering kalkuliert, schließlich war sie eine der Besten in diesem Geschäft. Bei einem Marktwert von 480 000 Euro für die Muttergottes von Tbilissi konnten sie beide zufrieden sein. Sehr zufrieden.

      Sie beschloss, sich mit einem guten Essen zu belohnen. Danach würde sie sich um ihre Schwester kümmern. Sie hatte viel zu lange nichts von ihr gehört, und der Detektiv hatte noch keine Ergebnisse gemeldet. Marja machte sich Sorgen. Große Sorgen.

      Die ersten Tage kamen sie schnell voran. Ihre Route führte sie durch die – für kirgisische Verhältnisse – dicht besiedelte Hochebene nach Taschkent in Usbekistan und von dort weiter über Turkmenistan nach Aserbaidschan.

      Sie fuhren auf der alten Seidenstraße Richtung Westen. Die Städte lagen inmitten endlos scheinender Felder entlang der Überlandstraßen. Vom Treiben in den Ortschaften bekamen sie kaum etwas mit, sie fuhren nur hindurch oder streiften die Ausläufer der Vorstädte. Die waren am Reißbrett geplant, in rechtwinklig angeordneten Vierteln, die alle gleich langweilig aussahen.

      In Turkmenbashi am Kaspischen Meer sollte ein Boot auf sie warten, um sie auf die aserbaidschanische Seite zu bringen. Das würde die lästigen Zollformalitäten umgehen und Zeit sparen. Von Aserbaidschan aus ging es über Georgien durch die Türkei nach Europa.

      Lokmans Aufgabe bestand darin, die Frauen bis Istanbul zu bringen. Dort sollte er sie an andere Fahrer übergeben.

      Es lief immer gleich ab. Die Männer, die sie dort in Empfang nahmen, waren stets zu zweit. Und nie dieselben. Lokman übergab ihnen die Pässe, sie zählten die Frauen und ließen sie in ihren Bus einsteigen. Dann erhielt er die andere Hälfte seines Lohns. Anschließend musste er den Bus in eine Werkstatt fahren und auf den Anruf warten. Danach konnte er ihn abholen und zurückfahren.

      Für die Grenzübergänge brauchte Lokman Bakschisch. Das kürzte die Wartezeiten erheblich ab und ermöglichte ansonsten Unmögliches. Er wusste genau, wer wie viel verlangte. Und keiner würde leer ausgehen.

      Dafür war das Geld der Organisation vorgesehen. Die Beträge waren fast gleichgültig. Jede Summe war besser als in einem dieser Gefängnisse zu landen, wo man nicht mehr derselbe war, wenn man wieder rauskam. Falls man wieder rauskam.

      Die Notiz von Jenna steckte ihm den ganzen Tag über in den Knochen.

      Wie dünn die Verbindung zwischen zwei Menschen werden konnte, bevor sie abriss. Sie waren sehr unterschiedlich, hatten sich oft aneinander gerieben, aber nicht so, dass es nicht mehr weitergehen konnte. Er jedenfalls sah kein Problem, das ihnen unüberwindbar im Weg gestanden hätte. Aber sie hatte das wohl ganz anders empfunden.

      Zuhause griff er zum Telefon. Es dauerte fast eine Minute, ehe der Hörer abgenommen wurde.

      „Hannes, ich bin’s. Koller. – Naja, deshalb rufe ich an. Hast du heute Abend Zeit? – Passt. Bis dann.“

      Er hatte das Gefühl gehabt, dass es wieder besser werden würde, dass es nur eine Phase war, die man überstehen musste. Geduld, hatte er sich immer wieder gesagt, hab’ Geduld.

      Aber es war nicht besser geworden. Sie hatten sich wohl nur an die Distanz gewöhnt.

      Das Obdachlosenheim war in einem alten Haus mit mehreren Stockwerken untergebracht. Roleder ging über den gepflasterten Weg auf das Gebäude zu. Auf Bänken längs des Wegs saßen Männer mit ungepflegten Bärten und wirrem Haar, die meisten älter als vierzig, in abgewetzten Klamotten, viel zu warm für die Jahreszeit.

      Roleder hielt Abstand, als er an ihnen vorbei ging.

      „Ich suche Volker Eckmeier“, sagte er zu dem jungen Mann am Empfang.

      Der Sozialarbeiter sah gelangweilt auf.

      „Versuchen Sie’s hinten im Garten. Geradeaus durch.“

      Der Geruch von altem Schweiß, Seife und Bieratem begleitete Roleder durch den hohen Korridor. Er beschleunigte seine Schritte und gelangte in einen großen Garten, der von alten Kastanien und hohen Mauern umgeben war. Im hinteren Teil erblickte er ein kleines Rondell mit einer Laube aus Holz, von wildem Wein überwachsen. Vor dem dunklen Grün leuchtete ein heller Trenchcoat im Licht der Nachmittagssonne.

      „Grüß dich, Ecki. Hast du mal Zeit für mich?“ fragte er.

      Der Alte richtete sich langsam auf und drehte seinen Kopf mitsamt den Schultern.

      „Der kleine Eric!“ japste er heiser. „Das hätte ich ja im Traum nicht gedacht.“

      Er lächelte dünn, ein gelber Zahn lugte zwischen den blassen Lippen hervor. Die papierdünne, dunkel gegerbte Haut rund um seine Augen legte sich in hundert Fältchen.

      „Setz dich!“ Er klopfte neben sich auf die Steinbank. „Was führt dich in diesen Palast des Elends?“

      Roleder ließ sich neben ihm nieder.

      „Jemand hat eine tote Frau in einem Schiffsanleger gefunden. Ich muss mit dem Mann reden, der sie gefunden hat. Kannst du mir helfen?“

      Der alte Mann nickte langsam.

      „Unter einer Bedingung.“

      „Und die wäre?“

      „Dass ich aus der Sache rausgehalten werde.“

      „Versprochen.“

      Eckmeier schien beruhigt.

      „Der Mann, den du suchst, heißt Arnold Breckler. Er ist im Sommer in der Stadt unterwegs, kommt alle paar Wochen her, wäscht seine Klamotten und bleibt ein paar Tage.“

      „Wie sieht er aus?“

      „Anfang sechzig, breite Schultern, kleiner als du. Seine Hose ist dunkelblau. Manchmal trägt er eine Weste und einen Strohhut. Sein Zeug hat er in einem Einkaufswagen.“

      „Hat er einen Hund?“

      Der Alte schüttelte den Kopf

      „Er ist immer allein. Ziemlich eigenartiger Kerl, ich komme nicht gut klar mit ihm.“

      „Wieso, ist er aggressiv?“

      „Er brabbelt pausenlos vor sich hin. Es macht einen ganz verrückt. Aber er kann auch schnell mal aufbrausen.“

      „Ist er nicht ganz richtig im Kopf, oder was?“

      „Ich