Marcello Dallapiccola

Malleus Proletarum - Der Proletenhammer


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Hintern ein allzu menschliches Bedürfnis in ihm. Klar, er hatte die Sitzung nach dem Frühstück vergessen – da war sicher das Weibsstück dran schuld, das ihn abgelenkt hatte. Und jetzt begann es ihn zu drücken.

      Doch schlau, wie er war, fand er im Nu eine Lösung für das Dilemma: Er hatte ohnehin ein paar erste Nachforschungen in Sachen Prag-Luis anstellen wollen. Da diese logischerweise in den Spelunken der Halb- und Unterwelt stattzufinden hatten, ließ sich das Notwendige gerade perfekt mit dem Nützlichen verbinden.

      Also kam der Jeep wenig später quietschenden Reifens vor dem 'Ali Baba' zu stehen, einem Etablissement, das offiziell den Titel “Teestube” führte, inoffiziell wurden dort jedoch jede Menge Geschäftchen getätigt, von denen das Finanzamt nie etwas erfuhr. Das war seiner Mission insoweit dienlich, als dass das 'Ali Baba' unter ausländischer Direktion stand. Zwar nicht unter der von Russen, doch die Türken, Araber und Libanesen, die hier verkehrten, hatten vielleicht auch das eine oder andere läuten hören. Vielleicht würde sich ja ein Gespräch ergeben, im Zuge dessen er einige unverfängliche Fragen stellen könnte.

      Also marschierte Frasther im 'Ali Baba' ein und schnurstracks auf das Scheißhaus zu. Dass der Schuppen nicht von Einheimischen geführt wurde, merkte man sofort; doch auch ansonsten lief es hier ein wenig anders ab als in den Beizen*, die Frasther ansonsten zu frequentieren pflegte. Das fing bei den Gerüchen, die in der Luft hingen an, setzte sich fort in der Dekoration, es war an der Form der Tische und Stühle zu erkennen und man konnte es vor allem an den Besuchern des Schuppens deutlich sehen; der orientalische Prolet sah einfach optisch ein wenig anders aus als der inländische. Jünger, wenn auch nur um ein paar Jahre. Nicht ganz so gezeichnet vom Alkoholmissbrauch. Und, obwohl sie meistens viel verzweifeltere, hoffnungslosere Mienen an den Tag legten, wirkten Gastarbeiter doch immer noch etwas… würdevoller in ihrer Erscheinung als die Einheimischen.

      Als Frasther die Klinke der Scheißhaustür schon in der Hand hatte, landete an der Bar klatschend eine flache Hand auf dem Tresen: „Was darf es denn sein, mein Freund? Ich nehme nicht an, dass du meinen schönen Laden nur betreten hast, um dir auf dem Klo schnell das Näschen zu pudern?” Ein braungebrannter, muskelbepackter Sunnyboy mit einer unsäglichen Italo-Disco-Frisur blitzte ihn fröhlich aus mahagonibraunen Augen an.

      „Ein Bier, und es darf ruhig auch ein anständiger Schnaps dazu sein”, bestellte Frasther, drückte die Klinke und verschwand auf dem Scheißhaus. Er war froh, dass er endlich die Hosen runterlassen und seinen edlen Arsch auf einem Kackthron parken konnte. Sein Bedürfnis, endlich abkacken zu können, war schon beinahe ins Unermessliche gestiegen, der Schiß hatte ihn schon dermaßen gedrückt, dass es nicht mehr feierlich war. Wie eine Urgewalt entlud sich sein Darm in die Muschel, ein mächtiger Haufen plumpste in das Auffangbecken, begleitet von langgezogenen, dumpf grollenden Fürzen. Das Abkacken war eine derartige Wohltat, dass Frasther sich zur Feier des Moments gleich noch einen Tschick anzündete und genussvoll durchzog. Der Rauch der Kippe vermischte sich in der Luft mit den bestialischen Giftdämpfen aus Frasthers Innereien zu einer kaum beschreibbaren Duftnote.

      Als das erledigt war, setzte er sich im Gastraum an ein kleines Zwei-Mann-Tischchen am Fenster, ein Bier und ein Glas Raki vor sich. Der fürsorgliche Barmann hatte ihn weder vergessen, noch aus den Augen gelassen, als er aus dem Klo gekommen war, grinste jedoch stets freundlich.

      Der Geräuschpegel im 'Ali Baba' war durchschnittlich um einiges höher als in den herkömmlichen Beizen, und er erreichte auch in den Spitzen eindeutig höhere Werte – sprich, die hier verkehrenden ausländischen Proletarier neigten dazu, mehr Wirbel zu machen. Doch nach Streit sah es hier nicht aus, wenngleich sich doch an einigen Tischen sehr angeregt unterhalten wurde. Frasther erhaschte einen kurzen Blick auf einen Nebenraum, als der Sunnyboy-Barmann kurz dort drin verschwand; einen unmerklichen Sekundenbruchteil lang erkannte er einige Typen mit Karten in der Hand im schummrigen Licht.

      In diesem Lokal gab es keine richtigen, versifften Bsuff, fiel ihm zu seiner Verwunderung plötzlich auf. Wahrscheinlich hatten sie sich getarnt, überlegte er. Vielleicht wurde es in fremden Kulturen ja als unschicklich angesehen, wenn jemand die eigene Alkoholabhängigkeit zum permanent zelebrierten Lebensinhalt machte. Oder vielleicht duldeten sie keine Bsuff in ihrer Mitte? – Er hatte mal gehört, dass manche Araber an einen Gott glaubten, der ihnen Alkohol verbot.

      Bei diesem grausamen Gedanken schüttelte es ihn; er persönlich hatte Religionen, ganz gleich welche, schon immer für überflüssigen Mist gehalten.

      Ein plötzliches Gerumpel und ein Geräusch, das wie ein paar schnelle Pracker hintereinander klang, riss ihn aus seinen Gedanken. Es kam aus dem Nebenraum und der Sunnyboy an der Bar zuckte sichtlich zusammen, als er es hörte. Er wagte jedoch nicht hineinzugehen, angesichts der vielen fragenden Blicke, die sich nun auf die Tür zu diesem Nebenraum richteten. Nach den paar kurzen Poltergeräuschen herrschte dort nun reges Geschrei in einer Sprache, die Frasther nicht verstand. Mehrere aufgeregte Männerstimmen brüllten wie wild durcheinander. Gelassen beobachtete er, wie der Barmann versuchte, seine Nervosität durch Gläserspülen zu überspielen. Einige der fragenden Blicke begannen sich gerade wieder abzuwenden, als auf einmal dumpf zwei, drei Schüsse fielen. Frasther zuckte zusammen. Ein Schuss und dann gleich noch zwei ganz schnell hinterher, entschied er. Sein Körper begann augenblicklich, die Kampfsysteme hochzufahren; sofort wurde ihm warm, als das Adrenalin sein Nervensystem gepumpt wurde.

      Den Barmann hielt es nun nicht mehr und nicht nur ihn: Die Hälfte aller Anwesenden floh in Richtung Ausgang, die andere Hälfte stürmte ihm nach auf die Tür zum Nebenraum zu. Schnappmesser klackten auf, Schlagringe wurden übergestreift, es wurde mit Butterflys herumgewedelt und Knarren wurden gezückt. Aus dem Nebenraum drang ein Gerumpel, das sich nach heilloser Flucht anhörte, als der Barmann die Tür aufriss und mit lauten Flüchen hineinstürmte. Gelassen holte Frasther ein paar Kröten heraus und legte sie auf den Bieruntersetzer. Hier gab es definitiv keine Probleme mit Invasoren von außerhalb, diese Leute waren viel zu beschäftigt mit sich selber, entschied er. Dann machte er sich vom Acker, bevor die Blauen mit ihrem Tatütata aufkreuzten.

      Aber so leicht wollte er mit seinen Ermittlungen nicht aufgeben: Er wusste mehrere Beisln in der Nähe, die es sich zu besuchen lohnen könnte. Irgendwo musste doch irgendwer was gehört haben, und wenn er sich lange genug von Beiz zu Beiz bewegte, würde er diesen Jemand früher oder später aufstöbern.

      Es war langsam die Zeit, wo die ganzen Idioten aus ihren Büros heraus- und in ihre Autos hineinkrochen, um nach Hause zu fahren und dort vor der Glotze zu versauern. Frasther schlenderte aufs Geratewohl drauflos und besah sich kopfschüttelnd die ganzen Krawattenträger mit ihrem elektronischen Krimskrams, den sie immer mitführten. Der Fummler-Karli hatte ihm mal erzählt, dass man diesen Dingern viel Geld machen konnte, aber man musste sich verdammt gut damit auskennen, wegen der Diebstahlsicherungen und so – und Frasther hatte keinen Bock, zu lernen wie man mit diesem ganzen neumodischen Kram umzugehen hatte.

      „Entschuldigen Sie, darf ich Sie was fragen?”, riss ihn eine Frauenstimme aus seinen Gedanken.

      Er blickte sich um – eine nicht unhübsche, wenngleich auch etwas zu bieder gekleidete Schnepfe lächelte ihn freundlich zurückhaltend an.

      „Logo, was willst'n wissen?”, zeigte Frasther sich höflich, in der Annahme eine verirrte Touristin vor sich zu haben.

      „Ich wollte Sie fragen, ob Sie schon einmal über Gott und den Sinn unserer Existenz nachgedacht haben?”

      Jetzt war Frasther aber baff. Mit allem möglichen Schwachsinn war man ihm schon gekommen – Amnesty, Greenpeace, Asylantenhilfe – doch mit Gott hatte er nun wirklich nicht gerechnet. „Gott? Um den brauchst' dir keine Sorgen machen, der is' eh allmächtig”, brummte er und schickte sich an weiterzugehen.

      Die Schnecke lief neben ihm her. „Natürlich muss man sich um Gott keine Sorgen machen, aber er macht sich Sorgen um uns. Wie sieht es zum Beispiel mit ihrem Seelenheil aus? Auch Sie sind ein Kind Gottes…”

      „Irrtum, Mädchen, das stimmt nicht – ich bin ein Kind von Frastgar und Trudhild, und nicht von Gott!”, protestierte Frasther.

      „Und doch hat Gott das Wunder ihrer Menschwerdung erst möglich gemacht…“

      „Dachte