Marcello Dallapiccola

Malleus Proletarum - Der Proletenhammer


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kapiert? Anständigen Hardrock, mit stampfendem Rhythmus, scharfen Gitarrenriffs und einem ordentlichen Sänger, der sich die Lunge aus dem Leib brüllt!“

      Der Rotbart warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. „Ich seh' mal im Computer nach, ob ich was für Sie finde“, sagte er und huschte davon.

      Frasther schüttelte den Kopf: Computer – hatte denn heutzutage keiner mehr ein eigenes Hirn? In einem Plattenladen zu arbeiten, konnte doch nicht so gottverdammt schwer sein.

      Seufzend trat er an einen Stapel, der mit “Metal S–Z“ beschriftet war und begann die Albumtitel durchzublättern. Jede Menge Totenköpfe, manchmal waren auch grimmig dreinblickende, langhaarige Typen mit weiß geschminkten Gesichtern, die ihre Gitarren wie Knarren in den Händen hielten, abgebildet. Jedoch nichts dabei, was er kannte. Hardrock war auch nicht mehr das, was er mal gewesen war: Seit so viele unterschiedliche Metal-Stile dazugekommen waren, kannte sich da doch keine Sau mehr aus. Manche von diesen Stilrichtungen bestanden nur aus wuchtigem Gedröhne und heiserem Grabes-Gegurgel, andere hackten rasend schnell auf die Trommeln und kreischten herum, als ob sie soeben einer Anstalt entsprungen wären. Es ging eben wirklich alles in den Arsch, sogar die Musik.

      „Von den Bands, die Sie genannt haben, gibt es nichts Neues, die werden hier als 'inaktiv' beziehungsweise 'aufgelöst' geführt…“, fing der Verkäufer einen Satz an und fuhr sich mit der Hand durch das Gestrüpp in seinem Gesicht.

      Der Knabe war wirklich phänomenal dünn, fiel Frasther auf – vermutlich hatte er psychische Probleme und litt an Essstörungen oder sowas; auf jeden Fall war es nicht normal, dass ein Mann mit Bart dermaßen untergewichtig durchs Leben schritt. Vielleicht hatte der arme Kerl eine Hopfen-Allergie und durfte kein Bier trinken? – Das würde das Fehlen jeglichen Bauchansatzes zumindest halbwegs erklären… Während er so sinnierte und der Hungerturm in den CD-Stapeln wühlte, schaffte es der schwarzgekleidete Kerl mit dem Elektroschocker, den laut protestierenden Brüllaffen aus dem Laden hinauszubugsieren. Kopfschüttelnd ließ er die Ladentür zuschnappen, dann verstaute er den Schocker irgendwo hinter dem Tresen.

      „… ich befürchte, dass es sehr schwierig sein wird, überhaupt etwas auf Kassette zu bestellen“, vollendete der Hippie seinen Satz. „Sie könnten aber doch auch eine CD kaufen und sie danach auf Tonband überspielen. Da hätten sie auch eine bessere Klangqualität“, fing er an, Frasther Dinge aufschwatzen zu wollen, nach denen er gar nicht gefragt hatte.

      Frasther drehte sich um und brüllte den Kerl an: „Ja, glaubst du denn, ich schaff' mir jetzt extra so ein Gerät an? Was seid ihr denn für ein Musikladen? Habt nicht mal Kassetten im Angebot und der schlaue Herr Computer da kann keine bestellen? Was sind denn das für Zustände?!“

      Der Rotbart sah ihn aus großen Augen an und sagte kein Wort. Der schwarzgekleidete Verkäufer seufzte und fummelte unter der Ladentheke herum, dort, wo er gerade den Elektroschocker verstaut hatte. Doch Frasther ließ es dabei bewenden und wartete gar nicht erst auf eine Antwort, sondern drehte sich um, marschierte zur Tür hinaus und ließ diese ordentlich hinter sich zuknallen. Dann eben keine neue Hardrock-Kassette. Scheiß doch auf die Fachgeschäfte.

      Nach diesem sinnlosen Getrödel war es jetzt höchste Zeit, sich ein Bier hinter die Binde zu kippen und mit den Ermittlungen fortzufahren – Frasther pirschte in die Seitengassen, in denen jede zweite Tür der Eingang zu einem verrauchten Kellerbeisl und jede dritte der Eingang zu einer illegalen Spielhölle war. Schnell stand er vor einem Schuppen, wo ein aus teilweise kaputten Neonlettern bestehendes Eingangsschild verhieß: 'Adi’s Bierparadies'.

      Dieser Name erschien Frasther irgendwie einladend, und er stieß aufs Geratewohl die Eingangstür auf. Erfreut bemerkte er, dass er offenbar die richtige Wahl getroffen hatte, als er das anwesende Publikum sah. Hier saßen einige gefährlich aussehende Typen herum, an ihren billigen Unterarm-Tätowierungen unschwer als Knastbrüder zu erkennen, dazwischen jede Menge billigst aussehnder Nutten, die hier bei ihren Beschützern herumlungern mussten, bis es wieder Zeit zum Arbeiten war. Auch eine interessante Melange aus Sandlern, Bsuffs und Normalbürgern vom unteren Ende des sozialen Spektrums war hier in unterschiedlichster Ausprägung zugegen.

      An der Theke war kein Platz mehr frei und so quetschte Frasther sich zwischen zwei junge Burschen, die es sich auf Barhockern gemütlich gemacht hatten und miteinander ins Gespräch vertieft waren.

      „Ein Bier!“, bestellte er und hieb mit der flachen Hand auf den Tresen.

      „Entschuldigung, aber wir waren gerade am Reden…“, versuchte einer der beiden jungen Burschen ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er sich recht ruppig zwischen ihre beiden Plätze hineingepresst hatte.

      „Ja, und? Ihr könnt ja ruhig weiterreden, stört mich nicht!“

      Der Bursche – er musste Anfang zwanzig sein und sah aus wie der typische Sozialwissenschaftsstudent – lächelte ihn verlegen an und erwiderte: „Könntest du vielleicht den Platz wieder freimachen? Da waren eigentlich wir…“

      „Pech gehabt, jetzt steh’ ich hier. Damit wirst du leben müssen!“, gab Frasther forsch zurück und ignorierte das Bürschchen.

      „Verzeihung, mein Herr, aber ich bin nicht gewillt, Ihnen diesen Platz zu überlassen! Als Pazifist betrachte ich diese Situation jetzt als eine Herausforderung an meine Intelligenz, hier eine Lösung zu finden, die uns beiden gerecht wird. Wie wäre es, wen Sie sich hier hinter mir“, er deutete auf den engen Raum hinter seinem Rücken und dem nächsten Proleten, der dort saß, „einen Platz erkämpfen würden, dann könnten mein Freund hier und ich unser Gespräch ungestört fortsetzen…?“

      Frasther blickte auf und fixierte das Kerlchen durch dessen Brillengläser hindurch mit seinem Blick: „Willst du mich verarschen oder was soll das Gequatsche?“

      „Keineswegs! Ich versuche, Sie nur dazu zu bewegen, sich wieder aus unserer Intimsphäre zu entfernen, in die Sie so rücksichtslos eingedrungen sind…“

      „Das Bier … macht drei zwanzig!“, kam die fette alte Vettel von Barfrau mit einem Krügel daher.

      Frasther kramte nach seiner Kohle und ließ den Knaben mit der Brille wieder links liegen. Er legte das Geld auf den Tresen und ergriff den Henkel – da legte sich ihm eine Hand auf den Oberarm.

      „Verzeihung, ich glaube, wir haben das nicht ausdiskutiert…“

      Frasther hatte schon seit sehr langer Zeit kein Bier mehr getrunken, deshalb hatte er sich auf dieses hier wirklich gefreut. Es war ihm auch ohne diese besonderen Umstände schon ewig nicht mehr passiert, dass jemand es gewagt hatte, ihn vom Trinken abzuhalten, während er schon das Krügel zum Schluck ergriffen hatte. Und dass so ein dahergelaufener Bettelstudent dann auch noch Hand an ihn legte…

      „Ah, ja, genau, das haben wir noch nicht ausdiskutiert!“, brachte er mit verhaltenem Zorn heraus und parkte sein leckeres Bier, immer noch jungfräulich, wieder auf dem Tresen. Dann vollzog er eine blitzartige Halbdrehung und schnalzte dem Knaben eine mit dem Handrücken, dass der rückwärts vom Hocker fiel und seine Brille wirbelnd einige Meter weit davonflog.

      Danach drehte Frasther sich wieder um und ergriff sein Bier, doch bevor er es an seine dürstenden Lippen führte, warf er dem Kollegen des Kerlchens einen Seitenblick zu; dieser war blass geworden und wich seinem Blick aus. Als er sah, dass sein nun brillenloser Freund liegenblieb, sprang er vom Barhocker und eilte ihm zur Hilfe. Frasther erklomm den freigewordenen Barhocker und nahm endlich, endlich einen langersehnten, großen Schluck Bier.

      „ADI!!!“, kreischte jetzt die Schnepfe hinter der Bar.

      Auf einmal wurde es um einiges ruhiger im Lokal; das Genöle der Bsuff verstummte ebenso wie das Gekeife der Damen, die derben Scherze der Zwielichtgestalten wurden gedämpft.

      An einem Durchgang hinter der Schank schob sich ein Vorhang beiseite. Ein grobschlächtiges, breitschultriges Viech von einem Mann, mit klodeckelgroßen Pranken, kam hereingeschlurft. Er trug eine Schankschürze und darunter ein ärmelloses Feinripp, an dessen Rändern seine wuschige schwarze Körperbehaarung dem Licht entgegenwucherte. Der Knabe durfte an die zwei Meter sein und Frasther hätte sich vermutlich locker hinter ihm