Marcello Dallapiccola

Malleus Proletarum - Der Proletenhammer


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werd' vorläufig nur den Mutl holen, sonst niemanden. Solange wir nicht wissen, wo wir zuschlagen, reicht der erstmal völlig. Und dann warten wir ab, bis die Lieferung auch wirklich da ist, danach sehen wir weiter. Glaub mir: Hektik ist genau das, was wir jetzt nicht gebrauchen können.”

      „Da könntest du Recht haben…“, stimmte der Luis zu.

      „Ich hab' immer Recht!“, grölte Frasther, dem im Moment so ziemlich alles wurscht war, vergnügt.

      10 – Garstmuth

      Nachdem sie den Transporter an Zurnfrieds Tankstelle abgeholt hatten, fuhren sie hintereinander, der Luis im Ersatzbenz voran, Frasther am Steuer der Kiste dahinter, zu Prag-Luis' Villa zurück. Im abendlichen Licht wirkte die Verwüstung, welche die Reifen von Bertls Schrottkarre in Luis' gepflegtem Garten angerichtet hatten, besonders barbarisch. Nachdem er den Transporter in die Garage gefahren hatte, bat der Luis Frasther, in der Nacht die Kontrollrunde zu fahren und ein Auge auf die Weiber zu haben. Er selber habe ein Treffen mit seinem Steuerfuzzi, das er ums Verrecken nicht aufschieben könne und sei deshalb zu beschäftigt.

      Während Frasther in seinen Jeep stieg, blieb der Luis an der Haustüre stehen und sah ihm zu. Deshalb konnte Frasther es sich nicht verkneifen, seinerseits nochmal ordentlich durch das Beet zu donnern. Der Luis begann entsetzt zu fluchen und zu gestikulieren, versuchte sich dann aber blitzartig in Sicherheit zu bringen, als Frasther einen eleganten Slide fabrizierte und dabei eine Mords-Dreckfontäne aufwirbelte. Er lachte amüsiert, als er den hochroten Kopf auf dem viel zu dicken Körper im blütenweißen Anzug sah, der verzweifelt einer Dreckwolke aus schwarzer Blumenerde zu entkommen versuchte. Dann fuhr er stracks Richtung Hauptstraße, den Hardrock voll aufgedreht, die ganze urtümliche Kraft des Jeeps in seinen Händen, das Vibrieren der Pferdestärken, wenn er das Gaspedal drückte und die erschrockenen Blicke der anderen Verkehrsteilnehmer, wenn er sie durch seine riskanten Überholmanöver zu Notbremsungen nötigte. Sein hoher Promillepegel verlieh ihm die notwendige Kühnheit und Übersicht für solche Manöver – doch er spürte bereits, dass dieser Pegel wieder im Sinken begriffen war. Es wurde langsam auch wieder Zeit für ein Bierchen.

      Wenige Minuten später zischte er am anderen Ende der Stadt wieder aus einer Seitenstraße heraus und fuhr dann langsam, den Sound aber immer noch voll aufgedreht, an einer Marktstraße entlang auf einen alten Platz, der von baufälligen Arkaden umgeben war. Hier waren andere Gerüche in der Luft als im Rest der Stadt, es duftete nach Knoblauch, Zwiebeln und dem Blut frisch geschächteter Schafe. Auch die Musik war ungewohnt, aus jedem halboffenen Fenster drang einem das von orientalischen Klängen untermalte, sülzende Gewimmer irgendeines anatolischen Popstars entgegen. Frasther liebte den Duft und hasste den Sound.

      Mit schweren Schritten trat er auf die kleine Holzveranda der 'Balkan-Stube' und stieß die Tür mit einem wuchtigen Ellbogenhieb auf. Als er derart den Schuppen betreten hatte, verstummten natürlich die meisten Gespräche. Er baute sich im Türrahmen auf, warf einen prüfenden Blick in die Runde. Viel konnte er im Halbdunkel nicht erkennen, nur etwa sechs oder sieben Augenpaare, die sich ihm neugierig zugewandt hatten. Doch ein penetrant süßlicher Geruch lag in der Luft – ein untrügliches Zeichen. Frasther grinste.

      „Na, das ist aber nicht zu glauben, was für eine eklige Visage da auf einmal auftaucht!”, dröhnte ihm vom Tresen her ein mächtiger Bass entgegen. „Dass sie dich immer noch nicht erschlagen haben, grenzt an ein Wunder – so verdammt hässlich wie du bist!”

      Frasthers Miene erhellte sich weiter – war ja schon beim Grasgeruch klar gewesen, dass Garstmuth hier sein musste. Und dass der alte Knabe ganz offensichtlich gut drauf war, freute ihn um so mehr.

      Lässig schlenderte er zum Tresen hinüber, steckte sich unterwegs einen Tschick an. „Gut, dass du so leicht zu finden bist, mein Alter!”, begrüßte er das beinahe zwei Meter große, breitschultrige Kaliber, das gemütlich auf einem Barhocker lümmelte und ihn angrinste.

      Garstmuth trug eine zerschlissene Jeans mit der obligatorischen Sicherungskette für die Geldbörse an der Seite, Cowboystiefel und ein schwarz-grün kariertes Holzfällerhemd. Auf seiner Oberlippe wucherte der Standard-Schanuzer, sein halblanges Haar begann sich zu lichten und war schlampig nach hinten geschleckt. Mächtige, feuerspeiende Drachen und Totenschädel zierten seine Arme und auf die Fingerknöchel seiner rechten Hand – seiner Schlagfaust – waren die Buchstaben KRPR eintätowiert.

      Das war die Abkürzung für „Krepier“, sein Lieblingswort, das er besonders gerne benutzte, wenn er einen Gegner auf die Bretter schickte. Er trug das Tattoo schon seit seiner frühen Pubertät, Frasther persönlich hatte es ihm damals gestochen. Als sie beide zwölf oder dreizehn gewesen waren, hatten sie versucht, zum ersten Mal Sex zu haben, also waren sie einer Maturantin aufgelauert. Frasthers Aufgabe wäre gewesen, sie am Schreien zu hindern, doch das Biest hatte ihn übel gebissen. So hatte er versagt, einige Klassenkameraden des Mädchens hörten ihre Schreie und waren wie die Irren auf die beiden Freunde losgegangen. Garstmuth hatte sich damals hervorgetan, indem der gleich drei der um etliche Jahre älteren Maturanten auf die Bretter geschickt hatte. Damals hatte er zum ersten Mal „Krepier!“ gebrüllt, während er sich mit verzweifelten Schlägen gewehrt hatte. Am Tag danach hatte er darauf bestanden, dass der damals zwölfjährige Frasther ihm dieses Zeichen des Triumphes in die Haut ritzte. Ihren ersten Sex hatten sie dann wenige Tage später mit einer professionellen Dame gehabt, die sie mit Geld bezahlten, das sie bei Einbrüchen in diversen Vereins- und Klubheimen zusammengerafft hatten.

      Heutzutage ging jeder seinen eigenen Weg; es war schon einige Wochen her, dass sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Jeder hatte seine eigenen Geschäftchen laufen, aber immer wenn es ums Feiern, ums Geld verdienen oder darum ging, ein paar Ärsche aufzureißen, waren sie zusammen unterwegs. Dass sie sich nicht so oft sahen, lag nicht etwa daran, dass sie auf längere Zeit nicht miteinander gekonnt hätten, sondern vielmehr daran, dass beide vom Naturell her eher Einzelgänger waren. Alpha-Rüden ohne festes Rudel, immer kurzfristig dort dabei, wo es am meisten Beute zu reißen gab. Auf unterschwelliger Ebene – vermutlich der Reptilien-Teil des Gehirns – hatten sie diese Eigenschaft des jeweils anderen immer schon erkannt; gerade deshalb war so ein offener und lockerer Umgang miteinander möglich geworden. Zwei dominante Männchen, die sich gegenseitig als solche akzeptierten und bei Bedarf ihre Kräfte vereinten. Die Krone der Schöpfung, sozusagen.

      Sie begrüßten sich mit einem mächtig klatschenden Handschlag, gefolgt von einigen herzlichen Schulterhieben, die einem Normalsterblichen vermutlich das Genick gebrochen hätten. Der Hüne wies mit der Linken auf den freien Barhocker neben ihm und mit der Rechten den Barkeeper an, seinem Gast sofortigst ein Bier hinzustellen.

      „Mutl, gut schaust' aus – rauchst du immer noch dieses dämliche Hippiekraut?”, grinste Frasther seinen Kumpel an.

      „Mecker nicht immer an meinem Kraut rum, du bist ja bloß angefressen, weil du’s nicht verträgst. Wahrscheinlich wirst du drum auch nie fetter, Alter – dir bleiben die Fressattacken erspart!”, dröhnte Garstmuth und wieherte drauflos.

      „Na, du weißt schon, gesund essen, viel trinken und immer ein wenig in Bewegung bleiben!”, Frasther machte eine Zuschlag-Geste und sie lachten dröhnend auf.

      „Und, was gibt’s Neues im Frastherland? Oder hattest' nur Sehnsucht, mein hübsches Gesicht zu sehen?”, grinste Garstmuth und musterte seinen Kumpel mit glasigen Augen.

      Frasther sog einen Lässigkeitszug in sich hinein und ließ den Rauch langsam und genüsslich durch die Nasenlöcher entweichen.

      „Du kennst doch den Luis, oder?”, fragte er dann.

      „Den Pferdewetten-Luis, na klar…”

      „Nein…”

      „Den Bsuff-Luis, vom Kehrhof drüben?”

      „Nein…”

      „Den schasaugerten* Luis, der immer die Enten füttert?”

      Frasther beendete die Raterei: „Den Prag-Luis, Alter!”

      „Ach soo, den Prag-Luis, ja klar, wer kennt den nicht? Lebt die noch, die fette Qualle?”

      „Ja,