Frank Strick

Null Jahreszeiten


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Weihnachten“, sagt der Mann, „ich will mit dir schlafen, und wenn es nicht das ist, was du dir vorstellst, dann hören wir wieder auf damit.“ Er spürt die Vorfreude. Er sieht sie an und wartet auf ihre Zustimmung. Sie stimmt ihm nicht zu. „Ich muss mit dir schlafen“, sagt er und denkt sich, dass er sie bald so weit hat, denn wenn ein Mann etwas muss, dann kann ihm das keiner verwehren.

      „Wo kämen wir hin, wenn das alle müssten?“ Es ist wieder nur ihre Stimme, die spricht, und er fragt sich, was mit ihr los ist, weil die Stimme das einzige ist, was nicht zu ihr passt, und vielleicht noch dieser Graben über der Nase, der die Stirn in eine untere und eine obere Hälfte teilt. Er winkt dem Kellner. „Einen Bloody Mary, und natürlich auf Eis.“ Sailor schiebt ihm sein leeres Bierglas hin. „Das auch nochmal vollmachen, und sobald die Dame ihr Glas leer hat, machen Sie ihr ein neues.“ Der Kellner sieht sie beide an, und man erkennt an seinem Blick, dass er die Gäste, die in seinem Lokal verkehren, weder für Damen noch für Gentlemen hält. „Haben Sie mich verstanden?“, hakt Sailor nach, „ich will, dass diese Dame immer ein volles Glas Bloody Mary vor sich stehen hat.“ Der Kellner nickt. „Ich werde darauf achten.“ Er wirft sich ein Handtuch über die Schulter und beginnt, die Gläser vom Abtropfgitter zu nehmen und in das Wandregal zu stellen. Sailor ist sich jetzt sicher, dass die Frau nicht ohne Getränk sein wird. Er könnte ihr Geld anbieten, aber lieber macht er sie betrunken. Er sieht an ihr runter und stellt fest, dass ihre Kleidung die einer Nutte sein könnte. Eine eng anliegende Bluse, die keinen tiefen Ausschnitt hat, aber alles zeigt, was ein Mann an einer Frau begehrt, und die so kurz ist, dass man den Bauchnabel sieht, und dazu trägt sie einen Rock, der so tief auf der Hüfte sitzt, dass er glaubt, die Farbe ihres Schamhaares zu erkennen, und Stiefel aus rotem Leder mit Absätzen trägt sie, die nicht größer sind als ein Centstück. Vielleicht ist es das, was mir an ihr gefällt, überlegt Sailor, die Nutte an ihr. Er bietet ihr kein Geld an.

      „Du hast telefoniert?“ Er erkennt sofort, dass er die falsche Frage gestellt hat. „Ich habe dich gesehen“, versucht er die Frage zu erklären, „wie du mit dem Handy hier rein bist.“ Er deutet auf die Tür und sucht gleichzeitig nach der richtigen Frage. Es gibt viele Fragen, überlegt er, du musst nur eine finden, die richtig ist. Du musst sie hier rausmanövrieren, überlegt er weiter, das wäre richtig. Sie zeigt keine Reaktion, auch nicht auf die falsche Frage, und er denkt sich, dass sie vielleicht doch nicht falsch war. Vielleicht ist es das, worüber sie reden will. Der Anruf, der sie enttäuscht oder verletzt oder sonst wie berührt hat.

      03. Dienstag, 24.12.2013 |

      03. Dienstag, 24.12.2013 |

      Henry Schleyer betritt das Lokal. „Sailor“, sagt er und verbeugt sich kurz aber höflich zur Frau hin, „da hat so einer wie du keine Chance.“ Er wendet den Blick seinem Freund zu. „Außer, du hast sehr viel Geld.“

      „Und wenn so einer wie ich das hat“, entgegnet Sailor, „und sei es nur für einen Abend?“ Es ist allen dreien klar, dass die Frage nicht an den Freund, sondern an die Frau gerichtet ist. Die Frau reagiert nicht.

      „Ich spreche von viel Geld“, sagt Schleyer, „von sehr viel Geld, und das hat man nicht für eine Nacht.“

      Corinna leert ihren Drink. Der Kellner hat einen neuen vorbereitet. Er füllt mit einer Greifzange Eis in das Glas.

      „Du bist früh dran“, sagt Sailor.

      „Tut das etwas zur Sache?“

      Und ob es das tut, denkt Sailor, du kommst mir hier in die Quere, jetzt, wo ich sie fast so weit habe. „Trinkst du einen mit?“, fragt er laut und legt vier zerknitterte Hundert-Euro-Scheine auf den Tresen.

      „Deine Miete für nächsten Monat?“

      „Und wenn schon, heute ist es das Geld, mit dem ich einen ausgebe.“ Sailor nimmt einen Hunderter und glättet den Schein, indem er ihn über den Rand des Tresens zieht. Schleyer bestellt ein Bier.

      „Flasche oder Hahn?“, will der Kellner wissen.

      „Na gezapft, solange du deine Anlage sauber hältst.“

      „Zu Ihren Diensten, jawohl.“

      Schleyer wendet sich Sailor zu. „Gibt nicht viel, was einem gezapften Bier den Garaus macht, aber die unsaubere Leitung, die wäre da als Beispiel zu nennen.“

      „Und ein schlecht gespültes Glas“, ergänzt der Kellner und hält ein Glas ins Licht. „Wir mussten unsere Spülmaschine abstellen, weil wir uns nicht mehr auf sie verlassen konnten.“

      „Aha“, sagt Sailor, der die Konversation mit dem Kellner kurz halten will, „und jetzt spült die Bedienung.“ Corinna nimmt den Strohhalm aus dem Glas und legt ihn zu den anderen in den Aschenbecher. Sailor deutet auf den Drink. „Ein damenhaftes Getränk, auch ohne Strohhalm, jawohl.“ Schleyer nimmt das gezapfte Bier entgegen und hält es zu einem Prost in den Raum, der sowohl Sailor als auch der Dame gilt, und dem heutigen Tag, denn schließlich ist Heiligabend. „Der Dicke und Fronzek, sie kommen auch?“ Sailor erwidert den Prost, ohne auf die Frage einzugehen. „Blutig oder nicht“, sagt Schleyer, „Maria war schon immer eine Dame. Also: Ist das ein Weihnachtstreffen oder hast du was am Haken?“ Schleyer ist nicht dumm. Ihn für dumm zu halten wäre ein Fehler. Als sie noch aktive Matrosen waren, da konnte er sich auf ihn verlassen. Beim letzten Geschäft haben sie gutes Geld verdient, und es wäre sehr gutes Geld gewesen, wenn nicht der Container über Bord gegangen wäre. Seit dem Unfall hat Sailor Schwierigkeiten, in das Geschäft zurückzufinden. Die Frau entfernt sich, um Zigaretten zu ziehen. Der Unfall ist jetzt zwei Jahre her.

      „Nicht die schönste Schönheit“, sagt Schleyer, „aber sie hat was.“

      „Eine Dame, meine Dame, und wer will schon die perfekte Frau. Was hast du mit deinem Gesicht gemacht?“

      „Ein Vollbart, kann nichts Verkehrtes dran finden.“

      „Trägt man das so als Gärtner?“

      „Guck dir die modernen Männer an. Brad Pitt wäre da als Beispiel zu nennen.“

       „Beispiele sind was für Leute, die nicht wissen, wo es langgeht.“ Sailor packt den Freund an der Schulter. „Du leckst anderer Leute Speichel, Henry Schleyer, tust das, wofür andere Leute dich bezahlen.“

      „Auslieferung von Weihnachtstannen wäre da als Beispiel zu nennen.“

      „Der Weihnachtsmann. Schleppt Tannen durch den Heiligen Abend.“

      „Ich bin Gärtner, Herrgott, ich habe Kunden, und ja, es gehört dazu, einen gepflegten Eindruck zu machen.“ Schleyer fährt sich mit der Hand über den auf einen Zentimeter gestutzten Bart. „Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann raus damit, aber lass mein Äußeres aus dem Spiel.“

      Sailor legt den Kopf in den Nacken. Lampenschirm und Glühbirne sind mit Fett und Nikotin überzogen. „Halt dein Maul, bärtiger Mann“, spricht er zu dem Schirm, „wir wollen uns nicht streiten wie die Weiber.“ Er wird klein anfangen, mit Zigaretten, vielleicht auch Schnaps, und wenn die Sache läuft, dann wird sich mehr ergeben. Die Chinesen wollen ihn in Hamburg sehen, heute Abend, und er ist bereit, hat den Wagen eine Straße weiter geparkt. Vögeln, Zigarette, Hamburg, das ist der Plan, und morgen ist er wieder hier. „Auf dem Schiff, auch da hast du mehr Wert auf Körperpflege gelegt als die anderen, und ich habe mich da schon gefragt, warum, bärtiger Mann, für die Takelage, für die See, oder etwa für die Matröschen?“ Schleyer antwortet nicht. „Hast dich schon als Kind schwer getan mit den Weibern.“

      „Du hältst mich für schwul“, sagt Schleyer und stellt fest, dass es ihm egal ist. „Du hast mich schon damals für schwul gehalten, weil ich das Mädchen nicht mit reinziehen wollte.“

      „Marianne wollte alles, was wir auch wollten.“

      „Und heute?“

      Sailor schüttelt den Kopf. „Hab sie seit damals nicht gesehen.“

      „Du