Frank Strick

Null Jahreszeiten


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ihm am meisten von allen taugt.

      „Und, wie heißen Sie?“, wendet sich Schleyer an die Frau, die mit den Zigaretten zurück ist. Sie ignoriert seine Frage. „Maria“, sagt Schleyer, „ist ein hübscher Name.“

      Ihr Handy klingelt. Die Frau gleitet vom Barhocker und holt es aus der Handtasche. Sie zögert und nimmt dann auch die Handtasche an sich. Auf dem Weg nach draußen nimmt sie den Anruf entgegen. Die beiden Freunde sehen sich an. „Du trinkst das Bier aus“, sagt Sailor, „dann suchst du dir ein anderes Lokal.“

      „Wir waren verabredet“, erwidert sein Freund, „und überhaupt, du hast bei solchen Frauen keine Chance.“

      „Das Bier, und dann lässt du uns allein, jawohl.“

      „Und unser Geschäft“, sagt Schleyer, „wir wären wohl kaum hier, wenn du nicht was am Haken hättest.“

      „Zigaretten“, sagt Sailor, „können warten, und du kannst noch ein paar Tage gärtnern.“ Seine Stimme transportiert Spott.

      „Es ist ein ehrenhafter Beruf.“

      Sailor packt ihn erneut an der Schulter. „König des Laubes.“ Er spürt, wie sich die Muskeln unter seinem Griff verspannen. „Wer hätte das gedacht?“

      „Kann nichts Verkehrtes daran finden.“

      „Du machst das, wofür die Leute dich bezahlen“, sagt Sailor, „und nennst es ehrenhaft.“

      „Was ist mit Fronzek?“, weicht Schleyer aus, „und mit dem Dicken?“ Sein Blick dreht eine Runde durch das Lokal, gerade so, als würde er die beiden suchen. „Und wo übernehmen wir die Ware, komm schon, lass endlich was raus.“ Er tut jetzt großspurig, aber eigentlich will er von Sailors Geschäften nichts wissen. „Zigaretten“, macht er weiter, „die lohnen sich nur im großen Stil.“ Sailor nickt. „Zwei Container im Monat, und jetzt kannst du rechnen.“ Schleyer rechnet. In einen Container passen fünfzigtausend Stangen. Eine Stange wirft für den, der sie am Hafen abnimmt, fünf Euro ab. Vorausgesetzt, er findet einen, dem er sie verkaufen kann. Macht Zweihundertfünfzigtausend. Im Monat. „Holland?“

      „Hamburg. Die Chinesen suchen neue Soziusse.“

      „Soziusse? Sie wollen mich zu ihrem Sozius machen?“

      „Zum Partner, wenn dir das besser passt.“

      „Hört sich weniger gefährlich an“, sagt Schleyer, „wie kommt so einer wie du an die Chinesen?“

      „Tut jetzt nichts zur Sache.“ Hamburg behält er für sich. Er wird hinfahren und die Sache klarmachen, und morgen holt er die anderen mit ins Boot.

      „Mafia auch dabei?“

      „Na, ohne die wirst du wohl kaum Geschäfte machen.“ Sailor beugt sich zu ihm hin. „Du kennst mich. Ich suche mir einen raus, und das ist dann mein Partner, kapiert? Der Rest kann dich sonst wo.“ Schleyer weicht zurück. „Einer gegen alle, das funktioniert nicht.“

      „Es ist die Art von Geschäft, die sich lohnt.“

      „Hast du deinen Partner schon ausgemacht?“

      „Hab ihm auf der Cap Tiger den Arsch gerettet.“

      „Und jetzt ist er dir was schuldig.“

      „Kann man so sehen.“

      „Du weißt, dass ich so etwas für keine gute Sache halte.“

      „Ich weiß.“

      „Jeder zweite setzt sich ab, sobald er seine Schuld beglichen hat.“

      „Der nicht. Ich hab ihm seinen Arsch vor seinen chinesischen Freunden gerettet, und jetzt lass es gut sein.“

      „Vor seinen eigenen Leuten?“ Sailor sagt nichts. „Das ist nicht okay, Sailor, das ist alles andere als okay. So einem vertraut man nicht.“ Sailor fixiert seinen Freund. „Er zwinkert mit den Augen, wenn du verstehst, was ich meine.“ Schleyer stellt sein Glas mit einer Heftigkeit ab, die Flüssigkeit hochspritzen lässt. „Eine Nervenkrankheit?!“ Er wischt sich das Bier vom Handrücken. „Und deshalb vertraust du ihm, verstehe ich das so richtig, wegen einer Nervenkrankheit?“

      „Chinesen zwinkern nicht mit ihren Augen, kapiert, weil es Schlitzaugen sind, und wenn sie es tun, dann kriegst du davon nichts mit.“

      „Ein Chinese, der keiner ist“, fasst Schleyer zusammen, „jetzt richtig?“

      „Kann man so sagen.“ Schleyer wartet auf mehr. „Es ist seine Familie, er will da raus, sie haben ihm seine Familie zerstört, und mehr brauchst du nicht zu wissen, nicht jetzt.“

      „Wieso habe ich ihn nicht schon wo kennengelernt, die Cap Tiger wäre da als Beispiel zu nennen?“

      „Seine Landsleute haben ein Auge auf ihn. Und jetzt lass es gut sein.“

      „Ein Chinese also, der kein Chinese ist und neue Partner sucht.“ Schleyer will von der Sache nichts wissen und weiß nicht, wie er das seinem Freund beibringen soll. Die beiden anderen, die sind kein Problem, aber bei Sailor, da muss er vorsichtig sein. Der Flipperspieler drängt sich an die Bar, um einen weiteren Schein zu wechseln. „Scheußliches Wetter“, sagt er an Schleyer gewandt, „und es soll noch scheußlicher werden.“

      Schleyer antwortet nicht.

      „Er will Bestätigung“, stellt Sailor fest, als der Mann wieder weg ist.

      „Wollen sie alle“, bestätigt Schleyer, „und was willst du?“

      „Die Frau, und morgen weiß ich mehr, und dann reden wir, du, Fronzek, Albers und ich.“

      „Es ist nicht so, dass ich etwas gegen das Gärtnern habe.“

      Sailor Blick wird hart. „Wie meinst du das?“

      „Kann nichts Verkehrtes daran finden, zu arbeiten und dafür bezahlt zu werden.“

      „So redet der König des Laubes.“

      „Wenn ich im Baum stehe und der Wind streicht durch das Blattwerk, dann habe ich ganz und gar nichts dagegen, dafür bezahlt zu werden.“ Sailors Blick ist immer noch hart. „Ich brauche jemanden, auf den ich mich verlassen kann.“ Schleyer hält dem Blick stand. „Man kann es mit einem Ausflug in die Takelage vergleichen.“

      „Vergleiche sind was für Leute, die nicht wissen, wo es langgeht.“ Sailor zieht seinen Freund zu sich ran. „Zum Teufel mit deinen Takelagen, zum Teufel mit Gestrüpp und Wind in deinen Bäumen.“ Er stößt ihn von sich. Schleyer kann nicht sagen, woher es kommt, aber er weiß jetzt mit großer Bestimmtheit, dass er auf dem richtigen Weg ist. Das Gärtnern ist eine ehrenhafte Sache, und jeder, der etwas anderes behauptet, will ihn davon abbringen, und das ist alles andere als ehrenhaft. Er prostet seinem Freund zu. „Jedem das seine, jawohl.“ Sailor will etwas entgegnen, seine Hand ballt sich zur Faust, doch dann sieht er, dass die Frau zurückkommt. Sie stellt die Handtasche ab und geht auf die Toilette. Sailor tut einen Schritt auf die Tasche zu, biegt die Schlaufen zur Seite und öffnet den Reißverschluss. Er passt auf, dass der Kellner nichts mitkriegt. Er arbeitet schnell. Er nimmt jedes Teil einzeln raus und steckt es sofort zurück. Am Boden findet er einen Revolver. Er ist nicht überrascht. Er weiß nicht, warum er nicht überrascht ist. Er greift mit beiden Händen in die Tasche und holt die Patronen aus der Trommel, ohne dass er die Waffe rausnimmt. Er weiß, wie man so etwas macht. Er war vierzig Jahre lang Matrose. Er steckt die Patronen ein, ohne dass sein Freund es mitkriegt. Er weiß nicht, warum er will, dass Schleyer nichts davon mitkriegt. Ich will ihn da raushalten, denkt er, ich will diese Sache für mich. Irgendetwas stimmt hier nicht, überlegt er weiter, erst nimmt sie die Tasche zum Telefonieren mit nach draußen, und jetzt geht sie auf die Toilette und lässt die Tasche hier stehen. Bedeutet das, dass sie jetzt will, dass ich den Revolver entdecke? Warum nicht schon vorher? Sie hat da draußen etwas erfahren, überlegt er weiter, etwas, was sie veranlasst hat, die Handtasche stehen zu lassen. Sie hat da draußen zweimal telefoniert.