normalerweise vom »Bischöflichen Stuhl« oder vom Referenten des Weihbischofs und Offizials geregelt. Über eine Handvoll Umweltschützer, die mit Pappschildern oder selbstgebastelten Transparenten etwas Lärm veranstalten, darüber macht man sich hier mit Sicherheit keine großen Gedanken.“
Kaum hatte Hinnerk Bloemer seinen Satz ausgesprochen, jagte eine weitere Windböe direkt über das Dach des Tanzsaals und ließ den Dachstuhl erzittern. Die Polizisten zogen instinktiv ihre Köpfe ein, als rechneten sie mit dem Schlimmsten. Auch Wim hob erschrocken seinen Kopf und spitzte die Ohren. Eine Rauchwolke stob aus dem glühenden Kanonenofen, der in einer Ecke des Saales vor sich hinbrütete und inzwischen dem ganzen Raum eine wohlig warme Atmosphäre spendete.
„Gibt es in der näheren Umgebung des Hauses der Familie de Groot keine weiteren bewohnten Gebäude? Irgendwelche Nachbarn?“
Hinnerk Bloemer dachte kurz nach.
„Doch. Es gibt da eine kleine Firma, gleich in der Nähe, die abgebauten Torfabstich mischt, abpackt und als Komposterde an Gartenbaubetriebe verkauft. Aber die ist im Winter geschlossen, ebenso das »Haus im Moor«, das vom Naturschutz- und Informationszentrum Goldenstedter Moor e.V. als Bildungseinrichtung betrieben wird.“
Er nippte gemütlich an seinem Kaffee und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Dann ließ er ganz unerwartet seine Faust auf die Tischplatte krachen.
„Mein Gott! Beinahe hätte ich jemanden vergessen!“ Bloemer krempelte sich einen seiner Hemdsärmel hoch. „Es gibt da noch einen merkwürdigen Kauz, einen Einzelgänger, der etwa drei Kilometer entfernt vom Anwesen der de Groots mitten im Moor in einem alten Kotten haust. Er selbst bezeichnet sich als Wahrsager und Heilmagnetist.“ Bloemer konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Sogar als Künstler gibt er sich aus. Aber die Leute hier halten ihn eigentlich für einen harmlosen Spinner.“
„Wie heißt der Mann?“, wollte Robert wissen.
„Calv von Calveslage.“
„Ist das sein richtiger Name?“, fragte Robert weiter.
Bloemer lachte herzhaft. „Calveslage, verstehen Sie? Das ist ein Kuhkaff, gleich hier in der Nähe. Calv stammt aus diesem Ort. Das »von« ist hier im Südoldenburgischen keine Seltenheit, hat aber nichts mit einem Adelstitel zu tun.“
„Aha ja, verstehe“, räumte Robert ein.
„Also, wenn ihr mich fragt, der Kerl hat nicht alle Tassen im Schrank. Ich kann euch ja den Weg zu seiner Behausung zeigen. Ist etwas schwer zu finden.“
„Prima Idee“, sagte Robert. „Vielleicht, wenn wir mit unserer Arbeit fertig sind.“
***
Als Robert und Jan kurz darauf aufbrechen wollten, mussten sie erst die Windschutzscheiben ihres Streifenwagens auftauen. Über Nacht war ein Eisregen niedergegangen und die Außentemperatur hatte sich erheblich abgekühlt, sogar etwas Schnee war gefallen.
Dröge und Holzkämper hatten einen Vorschlag unterbreitet, sie wollten unbedingt im Büro der kleinen Goldenstedter Polizeidienstelle bleiben, um ungestört die Fundstücke des gestrigen Tages zu untersuchen und auszuwerten. Robert hatte nichts dagegen einzuwenden. Damit wären sie vermutlich den ganzen Tag beschäftigt. Für die Spurensicherer würde es ganz sicher nochmal ein ziemlich anstrengender und langer Tag werden.
Die Kolonne wollte gerade aufbrechen, als jemand die Haustür öffnete und Wim schwanzwedelnd direkt auf sie zusprang.
„Du kommst natürlich mit“, rief Robert. „Ein bisschen was hast du ja schon von einem Polizeihund.“ Jan öffnete die Tür und Wim sprang auf die Rückbank des Streifenwagens.
Als sie die Zufahrt zum Haus der de Groots hinauffuhren, sahen sie die zerrissenen Trassierbänder, die sie gestern zur Absperrung des Tatorts aufgespannt hatten. Sie waren nur noch fragmentarisch vorhanden und flatterten jetzt sinnlos im Wind umher.
Als Robert die Versiegelung entfernte und die Tür zum Haus aufschloss, bemerkte einer der Spurensicherer lakonisch: „Ich liebe ätzenden Güllegestank am Morgen!“
„Wenn es in der Nase brennt und sich ein leichter Würgereiz einstellt, weiß man zumindest, dass man nah am Ziel ist", spottete ein anderer Kollege. Gutgelaunt begannen sie ihr Tageswerk.
Robert rieb sich verlegen den Nasenrücken. Etwas Motivation, dachte er, konnte nicht schaden.
Der orkanartige Sturm hatte auch im Goldenstedter Moor seine Spuren hinterlassen. Auf dem Anwesen der de Groots lag einer der Bäume entwurzelt quer über dem Teil des Grundstücks, der von seinen Besitzern im asiatischen Stil angelegt worden war. Die herausgerissenen Wurzelballen hatten einen Krater im Erdreich entstehen lassen, der sich bereits mit Grundwasser gefüllt hatte. Auch der Faltpavillon, den die Spurensicherungsleute am Vortag über den Bereich des Whirlpools gespannt hatten, war aus seinen Verankerungen herausgerissen und fand sich in einer Dornenhecke wieder, die das ganze Anwesen umsäumte. Der wenige Schnee und die darüber entstandene dünne Eisschicht hatten die graue Landschaft in eine unwirklich erscheinende Kulisse verwandelt. Einzig der penetrante Güllegeruch, der sich überall festgesetzt hatte, erinnerte daran, dass dieses scheinbar idyllische Bild trügerisch war.
Jan und Robert hatten sich neue Schutzoveralls übergezogen und sahen sich zunächst im Erdgeschoss des Hauses um. Der verschobene Teppichläufer vor der Terrassentür und auch der umgekippte Küchenstuhl waren ihnen bereits am Vortag aufgefallen. Außer diesen beiden Details erweckte der ansonsten stilgerecht eingerichtete Wohnbereich eher den Eindruck eines alltäglichen Zustands, gerade so, als wäre im Haus nichts Außergewöhnliches geschehen. Verwüstungsmerkmale oder andere typische Auffälligkeiten, die nach Raubüberfällen oder Kampfhandlungen üblicherweise entstehen und häufig Rückschlüsse auf einen möglichen Tathergang zulassen, waren nicht auszumachen. Es gab auch keinerlei Anzeichen eines gewaltsamen Eindringens. Das Haustürschloss war unversehrt, ebenso alle Fenster und die gläserne Terrassentür. Entweder verfügte der oder die Täter über die Möglichkeit zum freien Zugang in das Haus, oder er, bzw. sie, wurden von den de Groots selbst eingelassen. Robert dachte darüber nach, ob das Verbrechen von einer, oder doch von mehreren Personen durchgeführt werden konnte. Er war sich hierüber noch nicht ganz im Klaren. Diese seltsame Ordnung im ganzen Gebäude irritierte alle, auch die Spurensicherungsleute.
Auf einem Sessel lag ein aufgeschlagenes Buch. Jan warf einen flüchtigen Blick auf das Cover. Es war ein Kriminalroman des Schriftstellers Janwillem van de Wetering. Vermutlich hatte noch jemand kurz vor seinem Tod in diesem Buch gelesen. Unter den gegebenen Umständen kam ihn der Titel »Eine Tote gibt Auskunft« recht seltsam vor. Hoffentlich geben die Toten tatsächlich Auskunft, dachte Jan. Einer der Spurensicherer machte sich gerade mit einem Spezialpinsel über das Buch her, um die Fingerprints auf dem Einband zu fixieren.
„Also, ein Raubmotiv schließe ich schon mal aus“, erklärte Robert. Er deutete auf einen höheren Geldbetrag, der in einer Glasschale auf der Garderobe lag.
Während Jan noch darüber nachdachte, wer das Buch gelesen haben könnte, konzentrierte sich Robert dagegen nun auf ein modernes Sideboard, das neben einem rotbezogenen Designersofa stand und irgendwie nicht zum Interieur des alten Bauernhauses passen wollte. Ein am Kopfende des Sofas zusammengedrücktes Kissen ließ darauf schließen, dass hier jemand lang ausgestreckt und entspannt gelegen haben musste. Ein Großbildfernseher war in passender Distanz zu dem Sofa an einer der Außenwände des Raumes angebracht und eine Fernbedienung lag direkt in greifbarer Nähe auf dem Sideboard, auf dem auch ein leeres Cognacglas abgestellt war. Auch hier machten sich die Beamten an den Gegenständen zu schaffen. Robert hörte plötzlich eine sonore Stimme. »Papa Dopo« stand oberhalb der alten aber renovierten Eichenholztreppe und hatte seinen Mundschutz kurzzeitig abgenommen und rief ihm zu: „Herr Kommissar. Kommen Sie bitte mal. Ich denke, das dürfte Sie interessieren.“
Der Chef der Spurensicherung war gebürtiger Grieche. Er lebte bereits seit Ende der 80er Jahre in Deutschland und war etwas jünger als Robert. Da offenbar niemand in seiner neuen Heimat seinen vollständigen Namen Evángelos Themistoklís Papadopoulos aussprechen konnten, hatte man ihm den Nicknamen