Lene Levi

Nordwest Bestial


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… also gut“, erwiderte Robert, nachdem er sich mit dem Gedanken angefreundet hatte. „Unter einer Bedingung.“

      „Und die wäre?“

      „Kriminalmeister Jan Onken, der zwar noch als unerfahrener Polizist gilt, aber dennoch einen ganz erheblichen Beitrag zur Aufklärung des letzten Falles beigesteuert hat, sollte bei der Beförderung nicht übergangen werden. Ich bestehe darauf.“

      „Einverstanden. Ich hatte ohnehin Gleiches im Sinn.“

      Robert gab sich damit zufrieden.

      Joachim Radunski atmete erleichtert aus und murmelte: „Wenn das alles ist.“ Ein Ausdruck ungläubigen Erstaunens breitete sich auf seinem Gesicht aus.

      „Das ist alles“, meinte Robert. „Datenbanken zu füttern, aufzubauen und zu pflegen, das ist alles nicht so mein Ding, wissen Sie? Das gehört zu Jans Stärken. Er ist quasi mit dem modernen technischen Krimskrams aufgewachsen.“

      Radunski lächelte. „Schön, dass Sie einen jungen Kollegen protegieren. Gerade heutzutage, wo jeder nur noch an die nächsthöhere Besoldungsstufe denkt.“

      Als er das Büro verließ, entdeckte er zufällig an der Wand ein zweites gerahmtes Foto. Diesmal stand neben dem dicken, teigigen Mann mit der winzigen, kindlichen Nase ein großer blonder Typ in lächerlichen Gala-Klamotten, den er zweifelsfrei als einen bekannten Schlagersänger identifizierte. Robert wusste, dass der TV-Promi in seiner Jugend das hiesige Wirtschaftsgymnasium im Stadtteil Haarentor besucht hatte. Und ihm war klar, dass in Oldenburg nicht gerade ein Überangebot an Prominenz herrschte, da machte selbst ein peinlicher Schlagerstar was her. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Radunski sah auf dem Foto aus wie ein Ochsenfrosch, der zufällig auf einem roten Sofa neben einem Nymphensittich gelandet war. Offensichtlich war der oberste Polizist Oldenburgs abhängig von der Prominenz anderer Leute.

      ***

      Am nächsten Tag war es schon soweit: neue Schulterstücke, Händeschütteln, ein Fototermin für die Lokalpresse, erneutes Händeschütteln, großer Bahnhof.

      Die örtliche Regionalzeitung wusste immerhin am darauffolgenden Tag, die beiden beförderten Kripo-Beamten mit einem Artikel auf der dritten Seite zu würdigen. Als Robert die NWZ aufschlug, bereute er allerdings schon jetzt, den Job angenommen zu haben. Tröstlich war lediglich der Gedanke, dass dieses Bild ganz bestimmt nicht in einem Goldrahmen an der Wand in Radunskis Büro landen würde. Das Pressefoto zeigte ihn und Jan, beide in Uniform. Neben ihnen der amtierende Oberbürgermeister der Stadt. Dahinter der Polizeipräsident und ganz rechts im Bild ein aufgeblasener Landrat. Unter dem Foto war eine dieser typisch nichtsagenden Wortmeldungen abgedruckt:

      »Begrüßt wurden Robert Rieken und sein junger Kollege Jan Onken auch von Oldenburgs Oberbürgermeister Detmar Schindler und Landrat Siegmar Schulte. Der Oberbürgermeister lobte die traditionell gute Zusammenarbeit mit der Polizei und bot dem frischgebackenen Ersten Kriminalhauptkommissar an, diese auch in Zukunft fortzusetzen. Ähnlich äußerte sich Landrat Schulte, der außerdem betonte, dass er hoffe, Robert Rieken in seiner Funktion als Chefermittler nur zu offiziellen Anlässen im ruhigen und beschaulichen Landkreis begrüßen zu müssen.

      Fast alle zeigten ein fotogenes Lächeln, nur Robert hatte dem Pressefotografen ein künstlich aufgesetztes Grinsen verweigert.

      3

      Der weihnachtlich dekorierte Lamberti-Markt war um diese Zeit gut besucht. Obwohl es noch am Morgen und den ganzen Vormittag über wie aus Kübeln gegossen hatte, zeigte sich jetzt plötzlich das unberechenbare norddeutsche Wetter wieder von seiner schönsten Seite. Der strahlend blaue Himmel verbreitete zwar keine vorweihnachtliche Stimmung, inspirierte aber dafür viele Oldenburger zu einem Spaziergang über den Markt.

      Über hundert Verkaufsbuden boten zwischen Rathausmarkt und Schlossplatz ihre Waren an. Weil kein echter Schnee zur Verfügung stand, wurde dieser auf den Dächern der Holzbuden durch künstliche Imitate ersetzt. Geboten wurde auch in diesem Jahr wieder das übliche: Glühwein und Kinderpunsch, gebrannte Mandeln, kandierte Früchte und andere überzuckerte Leckereien. Die Leute drängten sich über die Achtern- und Lange Straße in Richtung Schlossplatz. Die ganze Innenstadt schien auf den Beinen zu sein. Unbeeindruckt von der an ihm vorüberziehenden Menschenmenge stand an einer Hausecke einer der wenigen noch existierenden Oldenburger Originale. Der hagere Mann hatte sich über seine Schulter einen roten Umhang und eine halbakustische Gitarre gehängt und vor seinem Gesicht baumelte eine Mundharmonika an einem Halterungssteg. Der Straßenmusikant erinnerte mit seiner Sonnenbrille und seinem blassen Gesicht ein wenig an jenen blonden Schlagersänger, der mit unsagbar vielen Schrammel- und Schunkelliedern bereits jahrzehntelang ein Millionenpublikum beglückte. Aber dieses stadtbekannte Original gab an der Häusing keine nachgespielten Rocksongs oder deutsches Liedgut von sich. Es waren vielmehr feingewebte, manchmal in sich unschlüssige Eigenkompositionen, die er mit eigenen Texten ausstaffierte, die aber kaum jemand verstand, weil seine geheimnisvolle Lyrik durch den mickrigen, batteriegespeisten Verstärker ständig übertönt wurde. In der ganzen Stadt war er unter dem Namen Friedemann bekannt. Manchmal spendierten die Geschäftsinhaber in der Fußgängerzone ihm einen kleinen Obolus, unter der Bedingung, dass er weiter zur nächsten Straßenecke ziehen sollte, da sie seine Auftritte nicht länger aushielten. Als Robert ihn vor der Häusing entdeckte, warf er ihm eine Zwei-Euro-Münze auf den Pinketeller.

      Jan und Robert waren auch auf dem Weg zum Lamberti-Markt. Dort sollte ein offizielles Treffen mit niederländischen Kollegen stattfinden. Robert freute sich auf Frau Commissaris Kuperus von der Regiopolitie Groningen. Die Polizeidienststellen von Oldenburg und Groningen pflegten eine gemeinsame Tradition. Jedes Jahr zur Adventszeit fand ein Kollegenaustauch statt. In Oldenburg patrouillierten einige niederländische Streifenpolizisten durch die Fußgängerzone und in Groningen versahen im Gegenzug Oldenburger Beamte ihren Dienst. Ähnlich hielten es auch viele Weihnachtsmarktbesucher. Unzählige Oldenburger bevölkerten an den Adventstagen die Innenstadt von Groningen, währenddessen Niederländisch auf dem Lamberti-Markt zur Hauptsprache wurde.

      „Sag mal, kennst du dich zufällig in der Hierarchie der niederländischen Polizei aus?“ Jan nickte und begann sofort aus dem Effeff die Dienstgrade aufzusagen: „Agent, Hoofdagent, Brigadier, Adjudant, Inspecteur, Hoofdinspecteur, Commissaris - und ganz weit oben steht der Hoofdcommissaris.”

      Ein Ausdruck ungläubigen Erstaunens breitete sich auf Roberts Gesicht aus, was so viel wie Respekt signalisieren sollte. Dann aber fuhr er sich mit der rechten Hand über den Rand seiner Schirmmütze und blieb vor einem Ladengeschäft stehen. Einen Augenblick kämpfte er mit sich, doch dann triumphierte das Verlangen, sich mit kritischen Blicken im Spiegelbild einer Schaufensterscheibe zu betrachten. „Weißt du, ich frage mich nämlich schon die ganze Zeit, wie ich die Kommissarin korrekt ansprechen soll. Bei uns ist ein weiblicher Kommissar ja normalerweise eine Kommissarin. Wie aber spricht man eine niederländische Kommissarin an?“ Robert empfand seine Figur beim Anblick des Spiegelbildes absolut unvorteilhaft.

      „Das ist eigentlich ganz einfach“, antwortete Jan, „Wenn es sich um eine Kommissarin handelt, wird sie als 'vrouwelijke Commissaris' angesprochen. Verstehst du: 'De commissaris is een vrouw'.“

      Robert zwinkerte hinter seinen Brillengläsern. „Und das alles weißt du, auch ohne zuvor das Internet-Orakel zu befragen? - Alle Achtung!“

      Robert redete weiter. Er strich sich mit einer Hand über den Bauch.

      „Ich bin einfach viel zu fett geworden in letzter Zeit. Ich sehe aus wie eine uniformierte Presswurst!“ Dann wandte er sich von dem Spiegelbild ab und brummte frustriert: „Wenn dieser bescheuerte Anlass überstanden ist, wandert meine Uniform sofort mit ein paar Mottenkugeln in den Schrank zurück. Sowas steht mir einfach nicht.“ Aus seinem Augenwinkel sah er, wie sich Jan amüsierte.

      „Ist das dort drüben nicht unser Informationsstand?“ Jan hielt eine Hand über seine Stirn. Er hatte am nördlichen Ende des Schlossplatzes einen Zelt-Pavillon entdeckt. Nebenan waren auf beiden Seiten Einsatzfahrzeuge aufgestellt, links ein protziger blau-silberner