Constant Kpao Sarè

Tschinku im Gastland


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und meine Kinder sehen durfte. Während einem ihrer täglichen Besuche im Krankenhaus kam Uta einmal mit einem Teller Riz au gras als gelungene Überraschung vorbei. Mittlerweile muss ich um meine Rechte als Küchenchef kämpfen, bevor sie mich kochen lässt. Unsere Kochstunden waren doch nicht umsonst. Glaubst du nicht, Barka?“

      Diesmal konnte und wollte ich etwas sagen. Ich fühlte, dass ich unbedingt in meine Rolle als Kultusminister einsteigen musste, damit unsere Unterhaltung weniger privat wird. So sagte ich sprunghaft und mit dem ganzen Ernst:

      - „Mein Freund, es gibt Geschichten, auf die wir oft zugreifen, wenn es darum geht, Angst einzujagen und dadurch Respekt zu predigen: Respekt vor den Älteren, vor der Tradition und der Vergangenheit oder vor der vorgeschriebenen Zukunft, wie in deinem Fall. Ich gebe dir ein Beispiel. Jahrhundertelang hatte man es in mündlichen Überlieferungen meines Sprachgebietes geschafft, die Untreue in der Ehe mit Hilfe einer einzigen Legende zu bekämpfen. Es ist nicht meine Ansicht, dir Angst einzujagen. Aber ich erzähle sie trotzdem, damit du siehst, welche Macht das kollektive Gedächtnis gerade in den Fragen der Moral und Ethik spielen kann. Du kannst meine Erzählung eine Schöpfungslegende nennen, wenn du möchtest. So etwa spricht der Griot, der Lobsänger, der Bewahrer der mündlichen Überlieferung unserer Tradition.“:

       Der Große Gott, der Gott aller Götter, des Gottes der Meere, des Gottes des Donners, des Gottes der Fruchtbarkeit, des Gottes des Regens, ja, der Allmächtige Gott schaffte dieses gesegnete Land für uns. Er ließ alle diese Gottheiten vom blauen Himmel zu uns runterkommen, um uns alles zu gewähren, was wir brauchen. Brauchen wir Regen, so wenden wir uns an den Gott des Regens. Ist einer verzweifelt, weil er keine Kinder bekommen kann, so braucht er nur ein Opfer für den Gott der Fruchtbarkeit zu bringen.

       Und der Allmächtige Gott gab uns nur ein einziges Verbot: „Du darfst nicht mit der Frau des Anderen ins Bett gehen!“. So sprach der blaue Himmel zu unserem Ururgroßvater. Und der Griot von unserem Ururgroßvater sprach zu unseren Urgroßvätern. Und der Griot unserer Urgroßväter sprach zu unseren Großvätern. Und der Griot unserer Großväter sprach zu unseren Vätern. Genauso muss ich heute zu euch sprechen, Kinder! Denn der omnipotente Gott sprach eines Tages aus seinem olympischen Thron: „Du darfst nicht mit der Frau des Anderen im Bett landen!“.

       Und es passierte schon in der Generation unserer Urgroßväter, dass ein junger Mann - oh, wie schön war der! - von allen Frauen des ganzen Landstrichs begehrt wurde. Dieser junge Mann hieß Biti und gehörte einem Stammesverband, dessen Riten sowohl die Polygamie als auch die Polyandrie verboten. So makellos wie Biti war, war er schon mit fünfzehn mit der Prinzessin liiert. Und alle Götter segneten die Hochzeit. Durch diese Allianz wurde Biti ein Prinz und wohnte im Palast. Und die Frauen begehrten ihn immer noch.

       Dann kam es doch, dass sich Biti in ein anderes Mädchen namens Trassi verliebte, das auch Augen für niemand Anderen als für Biti hatte. Und Biti musste sich zwischen seiner frischen Liebe und seinem neuen sozialen Stand entscheiden. Ließ er sich von seiner Frau, der Prinzessin, scheiden, so würde er so bettelarm werden, dass sogar Trassi, seine neue Liebe, von ihm nichts mehr wissen wollen würde.

       Also sprach Trassi eines Tages: „Mein lieber Biti, unsere Herzen sind für immer gebunden. Und doch sind unsere Seelen getrennt. Lass mich bitte einen anderen Mann heiraten, dem ich meine Seele verschenken würde. Dir und nur dir würde für die Ewigkeit mein Herz gehören“. Diese enigmatische Sprache konnte Biti ganz schnell entziffern. Er antwortete: „Gut“.

       Und Trassi heiratete Lebahu, den Griot des Königs. Und alle Götter segneten die Hochzeit. Tage vergingen und Biti konnte keinen idealen Treffpunkt finden, an dem er seine geliebte Trassi treffen konnte, um die Liebe prächtig sprechen zu lassen. So sagte er eines Tages dem Griot des Königs: „Lebahu! Wetten, dass du es nicht schaffst, zwei Tage lang ununterbrochen die Geschichte der königlichen Genealogie in der guten Reihenfolge zu rezitieren!“. Und Lebahu nahm die Wette an. Immerhin waren zwei Kühe als Preis ausgesetzt.

       Schon am folgenden Tag, beim ersten Hahnkrähen, ging Lebahu ans Werk. „Top! Die Wette gilt!“ sagte Biti. Während der Wettpartner sich mit Ehrgeiz und Ausdauer konzentrierte, um seine Kunst möglichst lückenlos zu machen und seinen Namen in das Rekordbuch der Lobsänger schreiben zu lassen, verschwand Biti, um ganz unauffällig in die Ehewohnung des bald betrogenen Lebahus einzudringen. Dort beabsichtigte er, einen zweitägigen Urlaub mit seiner geheimen Liebe Trassi zu verbringen. Es geschah auch. Allerdings nicht, wie Biti es sich vorgestellt hatte.

       Die Beiden hatten auf diesen Moment so lange gewartet. Es ging auch ganz schnell zur Sache, ohne dass eine des Prinzenstatus würdige erotische Stimmung mit Kerzen und teuren Parfums notwendig war. Küsse wurden getauscht. Es kribbelte den Beiden irgendwo unter der Gürtellinie. Schuhe flogen. Bluse und Gewand wurden vom Körper gerissen. Es rappelte bei den Beiden. Die Folge waren hysterisches Geschrei, lustvolles Gestöhne, quietschende Betten, feuchte Zungenküsse und schließlich ununterbrochener Koitus, ewiger Koitus.

       Ja, Kinder, ihr habt richtig gehört. Das Glied blieb einfach in der Scheide stecken. Die besten Teile der beiden Sünder verwandelten sich in Hundegeschlechtsorgane. Wie bei der Hundekopulation nahm die Eichel an Volumen zu und bildete drinnen in der Scheide einen Knödel, so dass das Trennen der Beiden unmöglich war. Aufstehen ging nicht. Alle Bemühungen blieben erfolglos. So mussten die beiden Täter zwei Tage lang so aneinandergebunden bleiben, bis - Vertrag erfüllt, Wette gewonnen aber ganz erschöpft - Lebahu nach Hause zurückkam. Böse überrascht schaute er sich mit erstauntem Mund die Szene an, die da vor seinen Augen lief, ohne allen seinen Sinnesorganen vertrauen zu wollen.

       Als die Erstaunenszeit überschritten war, unternahm Lebahu erfolglos, die beiden Sünder zu trennen. Es wurden zwei Mannschaften aus den kräftigsten Ringkämpfern gebildet, die jeweils den Mann und die Frau in gegenseitige Richtungen zogen, um sie auseinander zu bringen. Nichts half. Die beiden Mannschaften hatten sich keine Siegerehrung verdienen können.

       Unter der Aufsicht des Königs wurde dann beschlossen, die Orakel zu befragen, was zu tun war, um den Fluch zu brechen. Gesagt, getan. Und der Himmel sprach abermals und legte als Sühne auf, dass beide Übeltäter jeden Tag auf den entsprechenden fünf Marktplätzen der Gegend zur Schau zu präsentieren seien, damit jedes Kind, jede Frau und jeder Mann demonstriert bekommt, was die Sünder erwartet. So wurden Biti und Trassi jeden Tag auf unterschiedliche Marktplätze transportiert und ausgestellt. „Kinder, habt ihr gesehen, was passiert, wenn man untreu ist?“ fragte jedes Mal Lebahu. Und die Kinder antworteten: „Ja, Biti ist nicht mehr unser Prinz“.

       Am Abend des fünften Ausstellungstages, als der Markt zu Ende ging, wurden die beiden Sünder, wie aus Wunder, nach sieben Tagen auseinandergerissen, und sie liefen nackt in getrennte Richtungen fort. Seit diesem Tag hatte man kein Lebenszeichen von Biti und Trassi mehr bekommen. Und der blaue Himmel sprach wieder: „Gut, so sei es!“

      „Ja, mein Lieber Jakubu. Diese Legende wurde von den Lobsängern von Generation zu Generation überliefert und weitergegeben. Man mag daran glauben oder nicht. Aber mit ausschließlich dieser Legende hatte das kollektive Gedächtnis es geschafft, mehrere Generationen so in Angst zu erziehen, dass niemand es wagte, den Schritt der Untreue zu überschreiten. Heiligt der Zweck nicht die Mittel? Aber ... ich sehe, du kennst solche Geschichten nicht mehr. Deswegen formuliere ich noch einmal meine Bitte: „Besuche uns von Zeit zu Zeit. Sogar deiner eigenen Sprache bist du jetzt unkundig geworden. Könnte es sein, dass du freiwillig entschieden hast, alles zu verlieren, uns zu verlieren?“

      Ich wusste ganz genau auf welchem Gleis ich mich da bewegte, mit der Anspielung, Jakubu würde uns vergessen wollen. Aber die Provokation war absichtlich und perfekt und der Schlag gelungen. Denn mein Freund reagierte sofort mit:

      - „Nein, um Gottes Willen. Verstehe mich nicht falsch! Ich will gar nichts verlieren. Ich will euch nicht vergessen und schon gar nicht meine Sprache. Euch vergessen? Ist das überhaupt möglich? Du hast hier auch eine Zeit lang gelebt, und du weißt genauso wie ich, dass es niemals möglich ist, die eigene Heimat zu vergessen. Im Gegenteil. Ich glaube, es ist immer die