Constant Kpao Sarè

Tschinku im Gastland


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sind wie eine zweite Natur“, das wusste ich.

      Apropos Gewohnheiten: weißt du, dass ich heute noch meinen Reis ganzschön sauber wasche, bevor ich ihn koche? Stell dir vor, ich nehme mir schön Zeit, um meinen teuren Basmati-Reis aus dem Pandschab oder meinen Riz parfumé auszusuchen, und trotzdem kann ich vor dem Kochen nicht vermeiden, das ganze Aroma wegzuwaschen. Meine Frau fragt natürlich immer: „Warum kaufen wir eigentlich diesen teuren Reis, wenn du sowieso den Beigeschmack wegwäschst?“. Aber die ganze Operation läuft bei mir im Unterbewusstsein. Sobald ich mit dem Reiskochen anfange, gellen mir die Worte meiner Oma im Gehirn, wie ein kategorischer Imperativ. Jedes Mal, wenn Oma ihren mit allerlei Steinsorten versetzten Bergreis kochen wollte, hatte sie ihn nicht nur stundenlang aussortieren, reinigen und waschen müssen, sondern auch immer wieder laut hörbar und eindringlich über die Lebensgefahr berichtet, die man eingeht, wenn man den ungewaschenen Reis isst. Obwohl sie im Grunde sehr wenig Ahnung vom Verdauungsapparat hatte - das Wort Appendizitis bedeutete bei ihr gewiss genauso viel wie Penizillin oder Aspirin - hatte Oma ständig und unermüdlich darauf hingewiesen, dass der Reis nie sauber genug sein konnte und dass man auf das Waschen nie verzichten sollte.

      Mein Freund, das war nur eine Klammer über die Macht der Gewohnheiten. Aber kommen wir zu meinen belegten Brötchen zurück. Nicht nur weil Gewohnheiten eine zweite Natur sind, sondern auch weil die „Wiederholung pädagogisch ist“, hatte ich zugegebenermaßen ab und zu doch mein belegtes Brötchen gegessen. Und zwar wenn ich sehr hungrig von der Arbeit zurückkam. Wenn ich ehrlich bin muss ich zugeben, dass ich am Anfang sogar froh über das belegte Brötchen war. Auch wenn es fast immer gleich belegt war. Und wenn meine schwangere Frau bei meiner Rückkehr von der Arbeit nachfragte, ob ich noch ein Butterbrot wollte, war ich von ihrer Fürsorge berührt. Mussten manche meiner Kollegen, besonders die, die noch gattenlos waren, in der Kantine nicht jedes Mal Geld für genau dieselben belegten Brötchen ausgeben? Es waren wirklich dieselben Brötchen, die ich von meiner Frau bekam. Belegt mit Lyoner, Bierwurst, Fleischwurst, Fleischkäse, Käse, oder Salami, oder Frikadelle – je nachdem.

      Ich schätzte mich somit eigentlich glücklicher als die anderen, die dieselben Brötchen für teures Geld in der Kantine kauften, die ich stattdessen einfach in meiner Arbeitstasche fand, ohne mir darüber Sorgen zu machen, wie sie dort gelandet waren. Die Frage, ob ich noch ein belegtes Brot wollte, wurde allerdings auf die Dauer sinnlos, da ich sie ohnehin sehr selten bejaht hatte.

      Aber Barka, hab‘ keine Angst. Uta ist nicht mehr so. Jetzt kann sie gut kochen und tut es auch gern. Wenn du zu uns kommst, wird sie dich bestimmt mit ihrer Kochkunst begeistern. Manchmal überrascht sie mich sogar mit unseren Spezialitäten.

      Uta hat mit dem Kochen angefangen, als ich eine Zeit lang krank war und für zwei Wochen ins evangelische Krankenhaus aufgenommen wurde. Ich wurde wegen eines Leistenbruchs operiert. Apropos Krankenhaus, das war das erste und bis jetzt überhaupt das einzige Mal, das ich beim Arzt war. Und wie es so schön bekannt ist, lernt man nie aus. Auch in meiner Lage als Patient musste ich unsere guten Manieren lernen. Ich hatte vorher zum Beispiel gar nicht gewusst, dass man einen Termin vereinbaren muss, bevor man zum Arzt geht. An dem besagten Tag war ich jedenfalls allein zu Hause. Uta war mit den Kindern auf einer Kinderparty, bei Burger King. Gott weiß, wie viele Mal ich meine Frau oder die Kinder zum Arzt gebracht hatte. Stell dir vor, Uta hat immer vorher angerufen, um Termin zu vereinbaren, und dein Afrikaner hat das nie mitbekommen.

      Jedenfalls war ich diesmal allein zu Hause, als ich mich plötzlich schwach fühlte. Irgendwas hinderte mich daran, normal zu laufen. Ich zog mich aus und merkte, dass der Körperteil zwischen Oberschenkel und Bauch irgendwie geschwollen war. Ohne zu zögern fuhr ich direkt zu unserem Hausarzt. Als ich da ankam, fragte mich die Arzthelferin natürlich, ob ich Termin hatte. Und ich konnte meinen Ohren nicht glauben.

      Ich: „Ich sagte gerade, ich bin krank und muss den Arzt sehen.“

      Sie: „Ja, ich habe gehört. Aber Sie sollten immer zuerst anrufen, um einen Termin zu vereinbaren.“

      In dem Moment fing ich an, die Geduld zu verlieren.

      Ich: „Hören Sie zu, ich habe ja auch keinen Termin mit der Krankheit vereinbart. Wie kann ich denn vorher wissen, dass ich heute krank sein werde und vorher einen Termin vereinbaren?“

      Sie: „Herr ...? Wie ist ihr Name, noch einmal?“

      Ich: „Tschinku, T-s-c-h-i-n-k-u.“

      Sie: „Ja, Herr Tschinku. Wie Sie sehen, klingt ihr Name für uns ganz anders. Ich hoffe, sie sind mir deswegen nicht böse.“

      Ich: „Nein.“

      Sie: „Okay, was ich sagen wollte: es ist nicht schlimm. Sie müssen nur ein bisschen warten.“

      „Warten? Das ist sowieso der tägliche Lorbeer eines Afrikaners, dachte ich. Dafür könnte ich ganz locker die goldene Medaille bekommen“. Ich war entschlossen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und auf keinen Fall die Nerven zu verlieren.

      Im Warteraum angekommen hatte ich allerdings meine Geduld auf die Probe stellen müssen. Ohne zu wissen, was auf mich zukommen sollte, saß ich geschlagene zwei Stunden lang auf glühenden Kohlen und schmökerte durch alle Prospekte und Kataloge des Allgemeinarztes. Ich las alle Lebensmottos, Bildstreifen und Witze, die aufs Papier gedruckt und an der Wand geklebt waren, um meine sich immer steigernde Nervosität zu verstecken. Ich blätterte durch Modezeitschriften, Comichefte, Boulevardpresse, Tageszeitungen, Wochenmagazine, um dadurch die Langeweile zu bekämpfen. Ich zählte alle Patienten auf, die kamen, und ohne zu warten zum Arzt gingen und entweder glücklich oder mit einem angsterfüllten Blick wieder rauskamen. Endlich durfte ich das Lächeln der Arzthelferin sehen, die mich bat, in den Untersuchungsraum einzutreten. Ich brauchte mich dann nur auszuziehen, und schon diagnostizierte der Arzt einen „Leistenbruch“:

      - Sie haben Glück, dass Sie direkt zu mir gekommen sind. Waren Sie bei der Arbeit? Haben Sie schweres Material gehoben? Hätten Sie so weitergearbeitet oder wären Sie noch lange gelaufen, hätte es sein können, dass die hügelartige Beule die Sie hier sehen, aufgeplatzt wäre. Das wäre dann deutlich komplizierter. Ich werde Sie sofort ans Krankenhaus verweisen. Ich gehe davon aus, dass der Spezialist vor Ort Sie sofort operieren wird.

      Das Wort, das ich so gefürchtet hatte, war gefallen: Operation. Und ob ich gelaufen war? Natürlich war ich bis zur Bushaltestelle und wieder von der Bushaltstelle bis in die Klinik gelaufen. Ich weiß nicht, ob die ganze Angstmacherei meines Hausarztes nur dazu diente, mich für die Operation vorzubereiten und meine Krankenkasse zum Trauern zu bringen. Jedenfalls waren nicht nur diese beiden Ziele erreicht, sondern auch ich war nun ausdrücklich darüber belehrt, dass ein Familienvater - auch wenn er Tschinku heißt - in diesem Land einen Führerschein besitzen musste. Denn nachdem ich sehr teuer für das Taxi bezahlt hatte das mich zum Krankenhaus fuhr, war ich entschlossen, in die Fahrschule zu gehen, wenn alles vorbei war. Und das tat ich auch, sobald ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde.

      Das war also der Tag, an dem ich lernen musste, dass ich sowohl einen Termin mit der Krankheit und dann einen mit dem Arzt vereinbaren musste, wenn ich überhaupt krank sein wollte. Das war der Tag, an dem meine Frau lernen musste, dass das Wort „Handy“ die umgangssprachliche Form von „Mobiltelefon“ war und deswegen so genannt wurde, weil man es immer mitschleppen musste, um überall erreichbar zu sein. Da das kleine Gerät aber stattdessen ausgerechnet an diesem Tag ins Autotelefon verwandelt wurde, musste ich ganz geduldig darauf warten, dass Uta nach Hause zurückkam, bevor sie darüber informiert wurde, dass ihr Mann voll narkotisiert auf einem Operationstisch wie ein Stück Fleisch lag, nachdem er zwei Liter Wasser in einer Stunde trinken musste, damit sein Blut dünner wurde.

      Das war der Tag, an dem Uta erfahren musste, dass die großen, imposanten Krankenhäuser schwächer als die immer winzigeren und leicht zerbrechlichen Handygeräte waren und deswegen die Priorität genossen, genauso wie die Fußgänger auf den Zebrastreifen das Vorzugsrecht vor den Autos besaßen. Nachdem sie meine verpassten Anrufe bemerkt hatte, hatte sie mehrere Male erfolglos versucht, mich zu erreichen und musste jedes Mal vollbremsen, wenn Fußgänger vorbeigingen, die es mindestens genauso eilig wie meine Chirurgen hatten.

      Ehe