Constant Kpao Sarè

Tschinku im Gastland


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in einem Schäferhund oder in einem Dobermann, so wäre er längst von hier weg, um seine Lebensgefährtin nach deren Tod ausfindig zu machen. So unzertrennbar waren die beiden. Ich kenne doch meine Großeltern.

      Wie auch immer, ich weiß nur eins: Mein Großvater ist nicht hier in Ommersheim. Der einzige Großvater, den es hier in Deutschland gibt, ist Opa Wagner, der Großpapa meiner Kinder, der Vater von Uta, mein Schwiegervater. Und der kann mir in meiner Ehekrise auch nicht helfen. Er darf nicht. So läuft es hier. Hier kommt der Herkules nie vorbei. Hier muss jeder Mensch seinen Augiasstall selbst reinigen. Auch hier wird die schmutzige Wäsche in der Familie gewaschen, allerdings ausschließlich in der Familie und nicht etwa in der Großfamilie. Egal wie lieb Opa Wagner seine Tochter hat, egal wie verständnisvoll er mir gegenüber ist, er darf nicht in meine Ehe eingreifen. Das nennt man hier Privatleben. Und das ist auch gut so. Denn er war auch nicht da, als ich mich mit Uta das erste Mal getroffen hatte. Als wir uns liebten, da waren weder Opa noch Oma, noch Vater, noch Mutter, noch Geschwister, noch Verwandte dabei. Soll ich Dir unsere kurze Liebesgeschichte erzählen?“

      Bevor ich auf diese Frage antwortete, musste ich nachdenken, weil ich nicht wollte, dass mein Freund die erwähnte Ehekrise erläuterte. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm helfen konnte. Es war mir klar, dass unsere Tricks der Großfamilie, auf die Jakubu offensichtlich anspielte, hier nicht funktionieren würden: Diese Alibis in Richtung „bleibt zusammen wegen der Kinder“ oder „unsere Familien wollen, dass wir weiterhin verheiratet bleiben“ oder „ihr seid schon zu alt, um euch eine Scheidung zu leisten“ usw. - alle diese Ausreden waren hier, in dieser Gesellschaft und in diesem Zeitalter der individuellen Selbstverwirklichung, inadäquat. Das wusste ich. Deswegen überlegte ich mir eine diplomatische Formulierung:

      „Ja, wenn du das nicht zu privat findest“, antwortete ich ganz schnell. „Darauf habe ich die ganze Zeit gewartet. Es interessiert mich sehr, über deine Frau und über eure Liebesgeschichte zu erfahren. Wie habt ihr euch kennen gelernt?“

      - „Eigentlich gibt es nichts Interessantes zu erzählen. Unsere Liebe fing mit großer Intensität an, aber auch ganz einfach, mit mehr Bescheidenheit als Ansprüchen, wie jede Beziehung, die in einer Diskothek anfängt. Ja, ok, nun ist das Wort schon gefallen. Wir haben uns bei einem meiner seltenen Discobesuche getroffen. Eigentlich bin ich nie Nachtschwärmer gewesen, aber an dem besagten Tag konnte ich der Versuchung nicht widerstehen. Damals wohnte ich in einem Studentenwohnheim. Es war Weihnachtszeit. Je näher der Heiligabend kam, desto leerer wurde unser Heim. Ich hatte vorher irgendwo gelesen, dass dieser Abend auch als Familienabend gefeiert wird. Auch ich hatte mir gar keine Sorgen darüber gemacht, weil ich immer wieder nach Hause geflogen war, um dort Weihnachten und Neujahr zu feiern.

      Dieses Mal entschied ich allerdings, hier zu bleiben. Ich hatte freilich nicht damit gerechnet, dass alle Hausgenossen diesen Abend in ihren Familien feiern wollten. Die anderen ausländischen Freunde, die diese Erfahrung schon gemacht hatten, hatten sich jeweils eine Gastfamilie ausgesucht, bei der sie Heiligabend verbrachten. So musste ich ihn allein im vierstöckigen Gebäude verbringen: keine Familie, kein Fest, keine geschmückte Umgebung, kein Weihnachtsbaum, keine Wünsche, keine Krippe, kein Geschenk vom Weihnachtsmann, keine Weihnachtsgans. Draußen war ohnehin niemand zu treffen. Da ich nicht einmal daran gedacht hatte, eine CD mit Weihnachtsliedern zu kaufen, war der Traum vom Christfest ausgeträumt. Ich musste mich nämlich damit begnügen, mir den Kaktus minutenlang anzuschauen, den ich auf dem Weihnachtsmarkt erworben hatte, wodurch mich der Schlaf ganz schnell überfiel. Die ganze feierliche Stimmung hatte ich somit verpasst. Immerhin konnte ich weihnachtlich schlafen, ganz tief, ungestört, ohne Alptraum, ein wohltuender Schlaf.

      Am Ersten Weihnachtsfeiertag wollte ich auf keinen Fall dieselbe Erfahrung machen. Deswegen beschloss ich, in die Disco zu gehen. Ich denke, das war sogar das erste und einzige Mal überhaupt, dass ich hier in der Disco gewesen bin und, wie Uta mir später erzählte, war dies auch bei ihr der Fall. Ich dachte, ich hätte sie zuerst bemerkt, als sie unter vielen anderen Frauen in die Disco eintrat. Doch wie ich später von Uta erfuhr, soll ich ihre Aufmerksamkeit schon vor dem Eingang zur Disco auf mich gelenkt haben. Ist es nicht das, was man zuverlässig als Liebe auf den ersten Blick bezeichnet? Jedenfalls genügten ein „Hallo, ich heiße Jakubu“ und ein „Ich bin die Uta“, um uns näher zu bringen, inmitten von schrillem Tohuwabohu, lautem Blabla, mächtigem Geschrei, aggressiven Schimpfereien, Dutzenden von Dezibel usw. Die für uns beide ungewöhnliche Discostimmung hatte es nicht geschafft, unseren Flirt, unsere Annäherungsversuche, unseren gemeinsamen zögernden und zaghaften Tanz, das Austauschen von Telefonnummern und die schmerzhafte, aber höfliche Verabschiedung zu stören. Am folgenden Tag mussten sich unsere jeweiligen Telefongesellschaften und Handyanbieter auf unsere Kosten gefreut haben, so oft waren wir ans Telefon. Obwohl es Sonntag war, vereinbarten wir doch endlich ein Treffen in einem noch offenen Café; so verrückt und voneinander angezogen fühlten wir uns. Den Rest des Abends verbrachten wir dann bei Uta.

      Ach! Da du mich schon vor dem Erzählen des Privatlebens gewarnt hattest, fängt es jetzt aber an, privat zu werden und ich höre hier auf.

      Auf jeden Fall dauerten unser Flirtabenteuer, unsere Freundschaft, unsere Affäre, unsere Beziehung, unsere Liebe kaum drei Monate. Kaum hatte das Liebesglück angefangen, uns zuzulachen, erfuhren wir, dass wir enger miteinander verbunden waren, als wir dachten: Uta war schwanger und sie wollte das Kind behalten. Wie es mit mir aussah? Wurde ich nicht mit dem wunderlichen Gedanken erzogen, ein Kind zur Welt zu bringen, sei die Seligkeit auf Erden? Ich war nur ein armer Student, na und? Sagte man nicht: „Gott pflanzt Getreide in jeden Mund, den er meistert?“. Warum soll ausgerechnet mein Kind nichts zu essen bekommen?

      Ich war nicht nur mit der Entscheidung von Uta einverstanden, das Baby nicht abzutreiben, sondern ich war auch entschlossen, alles zu tun, damit das Kind nicht unehelich zur Welt kam. Ich hatte keine andere Wahl. Ich fürchtete, dass mein Kind zur Welt kommen würde, bevor wir heirateten. Ich war damals ganz frisch aus Afrika gekommen. Du weißt selber, was es bei uns bedeutet, ein uneheliches Kind zu sein: eine Missgeburt, ein Bastard. Das wollte ich meinem Kind unbedingt ersparen. Ich war naiv und dumm.

      Meine Hochzeit war ein Fehler. Wir hatten alles in einem Monat geplant, von der Liebe über die Verlobung und die Hochzeit im Standesamt bis über die kirchliche Trauung hinaus, wobei die Flitterwochen kaum eine Woche dauerten. Es war ein Notfall und ich hatte keine Zeit, meiner Jugend nachzutrauern. Da die Formalitäten in Saarbrücken schwieriger zu sein schienen, waren wir nach Ommersheim umgezogen und hatten dort geheiratet. Alles war so schnell geschehen, dass ich vergessen hatte oder besser gesagt: Ich war nicht geistesgegenwärtig genug gewesen, meine Freunde einzuladen oder sie zumindest zu informieren. Ich glaube, ich wollte es im Grunde auch nicht. Ich weiß nicht, warum ich es vermieden hatte. Am Tag meiner Hochzeit war ich unglücklich. Alles geschah ohne große Feierlichkeiten: ohne Brautraub, ohne richtigen Brautwagen, ohne Brautstrauß, ohne Brautgeschenk, ohne Brautkranz. Viele Freunde von Uta waren da. Alle waren mir unbekannt. Ich war fremd in meinem eigenen Haus. Noch mehr, ich war der einzige Schwarze in einer Gruppe von mehr als dreißig Personen.

      Mein Trauzeuge, so sollte ich später erfahren, war ein Ex-Freund meiner Frau. Ich konnte nichts tun. Ich hatte keine Wahl, ich verstand sowieso wenig vom Ganzen, ich wollte nur den Skandal vermeiden. Ich war damals noch Student und wurde durch die heftige Neuigkeit in Angst und Schrecken versetzt. Ja. Ich hatte Angst davor, dass Uta Klage gegen mich erheben könnte und fürchtete Schwierigkeiten zu bekommen. Unter diesen Umständen hatte ich geheiratet. Unter diesen Umständen verkaufte ich mich und meine damalige Idealvorstellung vom Leben. Ich musste auf alles verzichten, sogar auf mein Heimatland, weil ich auf keinen Fall zurückkehren wollte, ohne mein Studium abgeschlossen zu haben. Ich hatte meine eigene Familie vergessen müssen, weil ich nicht sagen wollte, dass ich verheiratet war. Ich hatte mein Stipendium verloren, weil ich während der Ferien nicht nach Hause geflogen war, um es erneut zu beantragen. Du weißt, dass dies die einzige Bedingung war. Aber ich konnte nicht anders. Ich konnte nicht nach Hause fliegen, ohne dass meine Familie Bescheid wusste. Ich konnte meine Familie nicht besuchen, ohne ihr von meiner neuen Situation zu berichten, ohne von diesem Kind zu erzählen, das mich bald zum glücklichen Vater machen sollte, und ohne zu verraten, dass ich hier von Amors Pfeil getroffen wurde. Und selbst wenn ich das Ganze hätte geheim halten können, so hätte ich doch damit die Behörden, meine Familie,