Constant Kpao Sarè

Tschinku im Gastland


Скачать книгу

Opas, weit, sehr weit über Horizonte, Böden, Gebirge, Flachländer, Plateaus, Küsten, Wälder, Grenzen, Flüsse, Meere, Gewässer vorbei in ein Land auswandern, in dem mein Idol durch Reinkarnation ein neues Leben bekommen sollte.

      Mein lieber Barka, wie du mich damals in unserer Jugend gekannt hattest, glaubst du ehrlich, dass ich an dieses Märchen glauben würde?“

      - „Nein“ antwortete ich kurz und knapp, weil ich mehr über diese Geschichte erfahren wollte.

      Im Überfluss vorhanden waren solche erfundenen Gerüchte, dass verstorbene Menschen in anderen Weltteilen gesehen worden seien. Meine eigene Kusine ist eines Tages nach Iboland aufgebrochen, auf der Suche nach ihrer verstorbenen Mutter, nachdem irgendein Spinner, der dort eine kurze Zeit verbracht hatte, ihr erklärt hatte, er habe ihre Mutter dort getroffen und sich sogar mit ihr unterhalten können. Aus diesem Grund wollte ich der Erzählung meines Freundes bis zum Ende zuhören. So sagte ich: „Natürlich weiß ich, dass du daran nicht glaubst“.

      „So wenig wie ich die ganze Geschichte geglaubt hatte, genauso wenig hatte ich geglaubt und glaube dieser letzten Prophezeiung heute noch weniger, dass ich dorthin umsiedeln würde, wo mein verstorbener Opa sich befindet. Blödsinn.

      Ich will glauben, dass nicht das ausgezeichnete Bestehen meiner Grundschulprüfung, sondern meine spitze Vermutung, dass der Tod meines so geliebten Opas drei Jahre später eintreffen könnte, mich dazu bewegt hatte, meine arme Oma im Stich zu lassen, um auf die Sekundarstufe I zu gehen. Ich akzeptiere, dass das Bestehen dieser Prüfung keine Rolle dabei gespielt hatte, meine Kindheitsfreunde zu verlassen beim Spielen mit dem Kreisel, beim Klettern auf Bäume, beim Rauben von Früchten, beim Schwimmen in kleinen Bächen, bei der Jagd auf kleine Tiere und Vögel usw.

      Ich will vorgeben, dass mein Opa mir dann egal wurde, als es darum ging, meine immer schwächer werdenden Großeltern zu verlassen, um wieder zu meinen Eltern zu gehen, damit ich weiterhin die Schule besuchen konnte. Ich will annehmen, dass ich doch so herzlos geworden war, um mein Idol von Baaba zu verlassen, im Pflügen, Säen, Pflanzen, im Jäten von Unkraut und Streuen von Dünger sowie Insektiziden, im Beten um die Regentropfen und im unermüdlichen Versuch, wilde Tiere und Vögel aus den Äckern zu vertreiben usw. Ich will akzeptieren, dass ich mich freiwillig von meiner Oma getrennt habe bei der Ernte von Baumwolle, Mais, Hirse, Sorgho, Maniok, Jamswurzeln, Bohnen, Erdnüssen, Bananen usw., im Sammeln von Brennholz, Shea-Nüssen, Cashewnüssen, Palmnüssen, Mangos usw.

      Ich will denken, dass ich ganz bewusst meine altgedienten Großeltern in die Situation versetzt habe, auf meine Hilfe zu verzichten und ausschließlich auf die Dorfsolidarität zu zählen, um ihre tägliche proteinarme Kost aus Maniokstärke, Maismehl und Gemüse aus dem harten Boden auszugraben, während ich mein täglich Brot von unserem Vater im Himmel bekam, vorausgesetzt, ich deklamierte das vorgeschriebene Gebet, das ich auf der Konfessionsschule gelernt hatte. Ja, das alles will ich glauben. Ich will glauben, dass das Ganze geschah, nicht weil ich auf die Sekundarschule gehen musste, sondern weil ich geahnt habe, dass mein geliebter Opa bald sterben würde.

      Ich will auch daran glauben, dass das Bestehen meiner Prüfung zur Mittleren Reife, bei der ich die beste Note im ganzen Distrikt bekam, mich nicht dazu motivierte, meinen Ehrgeiz so zu treiben, dass ich vom Gymnasium träumte, das die meisten so genannten Intellektuellen meiner Provinz, die Akowe, aus­gebildet hatte. Meine verständliche Motivation, immer höher und schneller in der Schule voranzukommen, mag keine Rolle für meine Entscheidung gespielt haben, mich für die Aufnahmeprüfung dieses begehrten, aber vom Wohnort meiner Großeltern weit entfernten Gymnasiums zu melden.

      Ich will denken, dass das Verhalten meiner Stiefmutter mir gegenüber - der Nebenfrau meines Vaters, der Cleopatra, deren junger Charme, Liebreiz und Schönheit meinen Vater in die Polygamie trieben, obwohl er katholisch war - keine große Rolle bei dieser Entscheidung gespielt hatte.

      Dass meine Stiefmutter allerlei Tricks eingesetzt hatte, damit das Vertrauen und die versteckte kindliche Liebe, die ich für meinen Vater mittlerweile entwickelt hatte, verschwand, das mag keine Rolle in meiner Entscheidung gespielt haben. Dass sie es geschafft hatte, den Stolz auf meine schulischen Leistungen und auf mein Verhalten überhaupt, den die Augen meines Vaters ausstrahlten, sinken zu lassen, damit das heimliche Einverständnis, das zwischen Vater und mir nun herrschte, zugunsten ihrer eigenen Töchter wich. Das alles mag mein Fernweh nicht verschärft haben.

      Ich bin bereit zu glauben, dass die drei mühsamen und höchsterfolgreichen Jahre, die ich in diesem Bouke-Gymnasium, dieser Kaderschmiede par excellence, verbracht hatte, nicht dazu beigetragen hatten, dass ich mein Abitur auf Anhieb bestand - diese Abschlussprüfung, die für die meisten von uns damals eine Gedenkfeier geworden war, die jedes Jahr erfolglos zelebriert werden musste. Ich will annehmen, dass mein Bestehen dieser Prüfung mit einer Eins, der begehrten Mention très bien, die Entscheidung der zuständigen Behörden auf keinerlei Art und Weise beeinflusst hatte, damit mir ein Stipendium fürs Wirtschaftsstudium in Deutschland gewährt wurde.

      Ich will denken, dass dieses sehr willkommene Stipendium mir gleich war, als ich sowohl meine Geliebte Laadi als auch meine von meiner Oma kurz vor ihrem Tod und ohne meine Zustimmung auserwählte Verlobte Assiou abservieren musste, weil mir klar war, dass ich nicht vor fünf Jahren zurückkommen würde und dass mein quasi fast vorprogrammierter Harem somit ein aussichtloser Hauch von Abenteuer sein sollte, in diesem Land der Vielweiberei, wo der Brautpreis - der Kopfpreis von Frauen - angesichts der offenen und manchmal unfairen Konkurrenz zwischen Männern aller Generationen immer höher getrieben war. Wie es auch sein mag, vielleicht hatten das Stipendium und das Studium mit meiner rücksichtslosen und kaltblütigen Entscheidung gar nichts zu tun.

      Aber, Barka, glaubst du selbst, dass die Natur gerecht und fair wäre, wenn ich mir damals so viel Mühe gegeben hätte, damit ich bei meinem Opa aufwachse, und er mir dann nicht helfen würde, wenn er hier wäre und ich in unlösbaren Schwierigkeiten stecke und, auf gut Deutsch „vor Dreck starre“?

      Diese Formulierung verstand ich als rhetorische Frage, also schwieg ich und wartete darauf, dass mein Gegenüber entweder weitersprach oder eine richtige Frage formulierte. Da allerdings auch Jakubu schwieg, als würde er tatsächlich von mir eine Antwort erwarten, beschloss ich etwas zu unternehmen. Ich berührte den silbernen Ring, den er auf dem linken Ringfinger trug und sagte:

      „Schöner Ring!“

      Meine Absicht war eigentlich, die trüben Gedanken meines Freundes auf eine andere Idee, auf ein anderes Thema, zu lenken. Insbesondere wollte ich, dass er über seine eigene Familie sprach. Warum sprach er denn nicht von seiner jetzigen Situation? Das waren die Fragen, die ich mir innerlich stellte in der Hoffnung, dass er meinen billigen Psychotrick entdeckte und mir sagte: „Netter Versuch, ich weiß, dass du darauf brennst, etwas über meine Ehe zu erfahren“. Doch sowas kam nicht von seiner Seite. Ich verstand, dass ich jetzt etwas sagen musste, um das Gespräch am Laufen zu halten. Also sagte ich:

      „Jakob, was ist los? Warum sprichst du nicht mehr?“

      „Weil ich Jakubu heiße und nicht etwa Johannes der Täufer, die Stimme, die in der Wüste ruft. Ich spreche nur, wenn ich einen Gesprächsteilnehmer habe. Du weißt nicht mal, worüber ich bisher gesprochen habe.“

      „Natürlich weiß ich das. Ich wollte dich nur nicht unterbrechen. Du sprachst gerade von deinen damaligen Freundinnen und wolltest gerade von deiner Frau sprechen. Natürlich höre ich dir zu.“

      Das mit seiner Frau war natürlich gelogen. Ich wollte meinen Gesprächspartner nur auf dieses Thema bringen. Entweder hatte er mir gar nicht zugehört oder er wollte mir diesen Gefallen nicht tun. Denn anstatt von seiner Familie in Deutschland zu reden, erzählte er weiter über das Märchen mit dem Scharlatan, das mir mittlerweile peinlich war:

      „Ich bin bereit, die Prophezeiung des erfreulicherweise niemals mehr aufgetauchten, namenlosen und unbekannten Scharlatans zu akzeptieren. Aber bei aller Hochachtung vor eurem Glauben und vor unserer Tradition kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich mein Opa in irgendeiner Form irgendwo hier im Wind, in der Natur, im kalten Winter herumtreiben könnte. Ich kenne doch meinen Opa. Angenommen, er wäre tatsächlich nach seinem Tod